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An der anderen Seite des umschlossenen Plateaus konnte er Davys Abteilung sehen, die mühsam im Gänsemarsch vorging. Die Scharfschützen der Marineinfanterie schritten mit geschulterten Musketen wie Jäger voran.»Ja«, antwortete er auf Alldays Frage,»aber wir müssen mit den Wasserrationen sparen.»

Ihm kam es so vor wie der Gipfel der Welt. Die gekrümmten Ränder des Plateaus verbargen alles außer der Sonne und dem leeren Himmel. Wie er an den langgestreckten, schwankenden Schatten sehen konnte, war hinter ihm einer der Männer in den mehrere Zoll hoch liegenden Vogelmist gefallen; Bolitho brauchte sich nicht umzudrehen; er wußte auch so, daß es Armitage war.

Heiser rief ein Matrose:»Hier, fassen Sie meine Hand! Mensch, Sie sehen vielleicht aus… Pardon, Sir!»

Der arme kleine Armitage! Bolitho starrte blicklos die gelblichweißen Kniehosen des Marineinfanteristen vor ihm an, der vor Staub und Hitze förmlich qualmte. Vor dem Seesoldaten lagen ein paar Felsen; wahrscheinlich war die Hochebene dort zu Ende. Da konnten sie Rast machen, eine kurze Ruhepause im Schatten; sich ein bißchen erholen.

Er wandte sich um und sagte zu dem Matrosen, der Armitage aufgeholfen hatte:»Hast du noch Atem genug, um der Vorhut einen Befehl zu überbringen, Lincoln?»

Eifrig nickte der Mann. Er war klein und drahtig; sein Gesicht entstellte eine schreckliche Narbe — sie konnte von einem Seegefecht stammen oder auch von einer Kneipenschlägerei. Auf alle Fälle mußte er an einen Pfuscher von Wundarzt geraten sein, denn der eine Mundwinkel war ständig in schiefem Grinsen hochgezogen.

«Aye, Sir«, sagte er und beschattete seine Augen.

«Dann sag ihnen, sie sollen am Felsen haltmachen.»

Schon eilte Lincoln vorwärts. Seine flatternden, zerfetzten Hosenbeine wirbelten Wolken von Staub hoch.

Sie brauchten dann noch eine Stunde bis zu dem felsigen Rand der Hochebene, und es kam Bolitho vor, als machten sie immer einen Schritt vor und zwei zurück.

Davys Abteilung erreichte den Plateaurand fast zur gleichen Zeit; und während die Männer sich keuchend und hustend in den wenigen Schattenstellen zu Boden warfen, winkte Bolitho den Leutnant beiseite und sagte:»Wir wollen uns umsehen. «Müde nickte Davy. Sein Haar war so gebleicht, daß es aussah wie Stroh in der Sonne.

Jenseits der Felsen hockte ein Seesoldat und musterte mit zusammengekniffenen Augen und sachverständigem Interesse den sanft abfallenden Abhang, der sich ungebrochen bis zum Meer erstreckte. Und dort, an der schmälsten Stelle der Insel, dem» Schwanz des Walfisches«, lag der Schoner versteckt.

Er lag so weit landeinwärts, daß Bolitho im ersten Moment dachte, er wäre im Sturm aufgelaufen. Dann aber sah er Rauch von einem Feuer am Strand und hörte gedämpfte Hammerschläge — anscheinend führte die Mannschaft Reparaturen aus. Vielleicht hatten sie den Schoner sogar trockenfallen lassen, um Schäden an Rumpf oder Kiel auszubessern. Doch jetzt schien das Schiff ganz in Ordnung zu sein, soweit auf den ersten Blick zu erkennen war.

Winzige Gestalten bewegten sich an Deck, andere waren am Strand und zwischen den Felsen verstreut. Anscheinend war die Hauptarbeit inzwischen getan.

Davy sagte:»Sie stochern in den Priels zwischen den Felsen herum, Sir. Suchen wohl Muscheln oder dergleichen.»

«Wieviele, meinen Sie, sind es?«fragte Bolitho.

Davy runzelte die Stirn.»Zwei Dutzend, schätzungsweise.»

Bolitho sagte nichts darauf. Es war eine lange Strecke den Abhang hinunter, und gänzlich ohne Deckung. Man mußte seine Männer bemerken, lange bevor es zum Nahkampf kam. Nachdenklich biß er sich auf die Lippen. Ob der Schoner wohl einen Tag oder auch länger hier bleiben würde?

Carwithen war zu ihnen gekommen und sagte heiser:»Die sind noch nicht fertig, Sir. «Er flüsterte, als sei die Mannschaft des Schoners in Hörweite.»Ihre Boote haben sie mächtig weit auf den Strand gezogen.»

Davy hob die Schultern.»Müssen sich wohl sicher fühlen.»

Bolitho zog ein kleines Teleskop aus der Tasche und stützte es sorgfältig auf einen Fels. Eine falsche Bewegung, und ein Sonnenreflex würde aufblitzen, der gewiß meilenweit zu sehen war.

Ein Ausguckposten… Mindestens einer mußte am Strand so plaziert sein, daß er die kleine Bucht gut überblicken konnte, aber nicht die andere Seite der Insel, wo jetzt die Undine lag. Bolitho lächelte grimmig. Bei diesem langen, beschwerlichen Anmarsch war es kein Wunder, daß sie hier oben keinen Posten aufgestellt hatten.

Bolitho fuhr zusammen und erstarrte. Jenseits der Bucht, fast in einer Linie mit dem reglos liegenden Schoner, bewegte sich etwas auf einer Felskante. Langsam stellte er sein Glas darauf ein: ein weißer, breitkrempiger Hut, darunter ein dunkles Gesicht.

«Auf dem Felsrand gegenüber sitzt ein Ausguck. Dort — fast genau über dem Priel.»

«Kein Problem«, sagte Carwithen.»Von See her geht's nicht, aber von hinten könnt' ich ihn leicht fertigmachen. «Kampfeslust klang aus seiner Stimme.

Unten krachte ein Schuß, und sie duckten sich; hinter sich hörte Bolitho Waffenklirren, als seine Leute in Deckung gingen.

Etwas Weißes, Flatterndes fiel vom Himmel und blieb reglos am Strand liegen. Die muschelsuchenden Matrosen des

Schoners blickten kaum auf, als einer der Ihren hinging und es aufnahm.

«Er hat einen Tölpel geschossen«, sagte Carwithen.»Schmeckt ganz gut, wenn man nichts Besseres hat. «Der Seesoldat meinte:»Muß 'n verdammt guter Schütze sein,

Sir.»

Der Soldat hatte recht. Das Gleiche hatte auch Bolitho gedacht. Ein Frontalangriff war also zu riskant, dabei wären sie alle umgekommen.

Er sagte:»Ich schicke Nachricht zum Schiff, wir müssen warten, bis es dunkel ist. Hier«, sagte er zu dem Seesoldaten,»nimm das Glas, aber deck' es gut ab. «Er brauchte nichts weiter zu erklären. Der Mann hatte soeben bewiesen, daß er nicht nur schießen, sondern auch denken konnte.

Die anderen lagerten weiter hinten noch zwischen den Felsen. Allday hielt ihm eine Feldflasche hin:

«Trinken Sie, Captain. Schmeckt wie Bilgewasser.»

Bolitho kritzelte etwas auf seinen Block und gab das Blatt einem Matrosen.»Bring das zur Küste und übergib es dem Deckoffizier dort. «Er sah das verzweifelte Gesicht des Mannes und fügte beruhigend hinzu:»Du brauchst nicht zurückzukommen. Wenn du bei der Undine bist, hast du eine Ruhepause verdient.»

Da krachte noch ein Schuß, diesmal durch die Felsen gedämpft, und dann folgte ein anderer Ton: etwas Weiches fiel zu Boden. Carwithen sprang auf.»Noch 'n Vogel, Sir!»

Bolitho schlich mit ihm zu dem Ausschau haltenden Seesoldaten zurück. Der starrte verwirrt auf den großen Tölpel nieder, der ihm mit ausgebreiteten Schwingen und blutiger Brust fast direkt vor die Füße gefallen war.

Ärgerlich sagte Davy:»Also, wie in drei Teufels Namen hat er… »

Bolitho hob die Hand, und sie erstarrten in Schweigen. Schwach erst, dann deutlicher, hörte man Scharren und das Rollen loser Steinchen — jemand kam eilig herauf, um den toten Vogel zu holen.

Bolitho blickte sich blitzschnell um. Hinter diesen paar kleinen Felsen konnte er seine dreißig Mann nicht verstecken. Er sah, wie Allday ihnen Zeichen machte, ganz still zu sein, sah die Angst in Armitages Augen, der wie gebannt auf die letzte Felsbarriere starrte.

Die Geräusche wurden lauter; Bolitho konnte hören, wie sich der Mann keuchend das letzte Stück Abhang hinauf kämpfte.

Niemand bewegte sich. Der Seesoldat blickte starr seine Muskete an, die zwei Fuß von seiner Hand entfernt lag. Das geringste Geräusch, und sie waren alle verloren.

Da handelte Carwithen, der am dichtesten bei der Felsenbarriere war. Fast lautlos ergriff er den toten Vogel und zog ihn ein paar Zoll unter die Kante des nächsten Felsens. Mit der anderen Hand zerrte er etwas unter seinem kurzen blauen Überrock hervor, die Augen ohne zu blinzeln auf den Vogel gerichtet.