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Es beginnt mit dem Mädchen, das vor dem Kino erschossen wird. Dann werden Paul, Viereck und Landser ermordet. Als der Chef der deutschen Abwehr, Hans Dieter Mundt, auch Riemeck tötet, ist das Spionagenetz, das Leamas für den englischen Geheimdienst aufgebaut hat, vernichtet. Doch die Engländer wollen auf jeden Fall Rache …

John le Carre

Der Spion, der aus der Kälte kam

Roman

Vorlage für dieses eBook:

Titel der Originalausgabe THE SPY, WHO CAME IN FROM THE COLD

Aus dem Englischen von Manfred von Conta

© 1964 by Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft m. b. H., Wien

© der deutschen Übersetzung Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft m. b. H., Wien 1964

ISBN 3-552-04330-6

1 KONTROLLPUNKT

Der Amerikaner reichte Leamas noch eine Tasse Kaffee und sagte: »Warum gehen Sie nicht heim und legen sich schlafen? Wir können Sie anrufen, wenn er auftaucht.«

Leamas sagte nichts, er starrte durch das Fenster der Kontrollbaracke die leere Straße hinunter.

»Sie können nicht ewig warten, Sir. Vielleicht kommt er zu einem anderen Zeitpunkt. Wir könnten die Polizei bitten, die Dienststelle anzurufen. Sie wären innerhalb von zwanzig Minuten wieder hier.«

»Nein«, sagte Leamas, »es ist jetzt fast dunkel.«

»Aber Sie können nicht ewig warten. Er ist jetzt schon neun Stunden überfällig.«

»Wenn Sie wollen, gehen Sie.« Leamas fügte hinzu: »Sie sind sehr hilfsbereit gewesen. Ich werde sagen, dass Sie verdammt anständig waren.«

»Aber wie lange wollen Sie warten?«

»Bis er kommt.« Leamas ging zum Beobachtungsfenster und stellte sich zwischen die zwei bewegungslosen Polizisten. Ihre Feldstecher waren auf den ostzonalen Kontrollpunkt gerichtet.

»Er wartet die Dunkelheit ab«, flüsterte Leamas. »Ich weiß es.«

»Heute morgen sagten Sie, er werde mit den Arbeitern herüberkommen.«

Leamas wandte sich zu ihm. »Agenten sind keine Flugzeuge. Sie haben keine Fahrpläne. Er kann hochgegangen oder auf der Flucht sein. Vielleicht hat er Angst. Vielleicht ist Mundt hinter ihm her, jetzt, in diesem Augenblick. Er hat nur eine Chance, lassen Sie ihn selbst den richtigen Zeitpunkt wählen.«

Der jüngere Mann zögerte. Er wollte gehen, aber er fand nicht den passenden Abgang.

In der Baracke läutete eine Glocke. Sie warteten voll plötzlicher Spannung. Ein Polizist sagte auf deutsch: »Schwarzer Opel Rekord, westdeutsches Kennzeichen.«

»Er kann in der Dämmerung nicht so weit sehen«, flüsterte der Amerikaner. »Er vermutet es nur.« Dann fügte er hinzu: »Wie konnte Mundt das wissen?«

»Seien Sie ruhig«, sagte Leamas vom Fenster her. Einer der Polizisten verließ die Baracke und ging auf die weiße Demarkationslinie zu, die wie die Grundlinie eines Tennisplatzes auf die Straße gemalt war. Einen halben Meter von ihr entfernt war aus Sandsäcken ein Unterstand errichtet, und der andere Polizist wartete, bis sein Kamerad dort hinter dem Teleskop kauerte, dann legte er seinen Feldstecher nieder, nahm seinen schwarzen Helm bei der Tür vom Haken und setzte ihn sorgfältig auf. Irgendwo, hoch über dem Kontrollpunkt, flammten die Bogenlampen auf und überfluteten die Straße vor ihnen mit grellem Bühnenlicht.

Der Polizist begann seinen Kommentar - Leamas kannte ihn auswendig.

»Wagen hält an der ersten Kontrolle. Nur ein Insasse, eine Frau. Wird zur Ausweiskontrolle in die Vopobaracke gebracht.« Sie warteten schweigend.

»Was sagt er?« fragte der Amerikaner. Leamas gab keine Antwort. Er nahm einen Feldstecher und starrte unverwandt zu der ostdeutschen Kontrollstelle hinüber.

»Ausweiskontrolle beendet. Darf weiter zur zweiten Kontrolle.«

»Mr. Leamas, ist das Ihr Mann?« fragte der Amerikaner hartnäckig. »Ich sollte die Dienststelle anrufen.«

»Warten Sie.«

»Wo ist der Wagen jetzt? Was tut er?«

»Devisenkontrolle, Zoll«, antwortete Leamas kurz angebunden.

Leamas beobachtete den Wagen. Es standen zwei Vopos an der Fahrertür, der eine sprach, der andere hielt sich abwartend im Hintergrund. Ein dritter schlenderte um den Wagen herum. Er blieb beim Kofferraum stehen und ging dann zur Fahrerin zurück. Er verlangte den Schlüssel. Er öffnete den Kofferraum, schaute hinein, schloß ihn, gab den Schlüssel zurück und ging auf der Straße dreißig Schritte weiter bis zu dem einzelnen ostdeutschen Posten, der dort auf halbem Wege zwischen den beiden Kontrollpunkten stand: eine vierschrötige Silhouette in Stiefeln und bauschigen Hosen. Die beiden sprachen miteinander, das gleißende Licht der Bogenlampen machte sie befangen.

Mit der dafür typischen Geste bedeutete man dem Wagen weiterzufahren. Er erreichte die beiden Wachtposten in der Mitte der Straße und hielt wieder. Die beiden gingen um den Wagen herum, traten zur Seite und sprachen aufs neue miteinander; schließlich ließen sie ihn fast widerwillig über die Linie in den westlichen Sektor weiterfahren.

»Erwarten Sie einen Mann, Mr. Leamas?« fragte der Amerikaner.

»Ja, einen Mann.«

Leamas schlug den Kragen seiner Jacke hoch und trat in den eisigen Oktoberwind hinaus. Erst jetzt wurde er sich wieder der Menschenmenge bewußt. Das war etwas, das man innerhalb der Baracke vergaß: diese Gruppe erstaunter Gesichter. Die Menschen wechselten, aber der Ausdruck ihrer Gesichter blieb der gleiche. Die Stimmung war wie bei einer hilflos auf einen Unfall starrenden Menge; niemand weiß, wie es geschehen ist und ob man den Körper wegtragen soll. Im Lichtkegel der Bogenlampen bildete Rauch oder Staub eine sich unablässig verschiebende Wolke.

Leamas ging zum Wagen hinüber und sagte zu der Frau: »Wo ist er?«

»Sie kamen ihn holen, aber er floh. Er hat das Rad genommen. Von mir konnten sie nichts gewußt haben.«

»Wohin ist er gegangen?«

»Wir hatten ein Zimmer über einer Kneipe - in der Nähe von Brandenburg. Dort verwahrte er ein paar Sachen, Geld, Papiere. Ich nehme an, dass er zuerst dorthin ist. Nachher wird er herüberkommen.«

»Heute nacht?«

»Er sagte, er würde heute nacht kommen. Die anderen wurden alle geschnappt - Paul, Viereck, Landser, Salomon. Er hat nicht viel Zeit.«

»Landser auch?«

»Letzte Nacht.«

Ein Polizist stellte sich neben Leamas. »Sie müssen hier weiterfahren«, sagte er. »Es ist verboten, den Übergang zu blockieren.«

»Gehen Sie zum Teufel«, fuhr Leamas ihn an. Der Deutsche erstarrte, aber die Frau sagte:

»Steigen Sie ein. Wir fahren bis zur Ecke.« Er setzte sich neben sie, und sie fuhren langsam die Straße hinunter, auf eine Abzweigung zu.

»Ich wußte nicht, dass Sie einen Wagen haben«, sagte Leamas.

»Er gehört meinem Mann«, antwortete sie gleichgültig. »Karl hat Ihnen nie erzählt, dass ich verheiratet bin, nicht wahr?«

Leamas schwieg.

»Mein Mann und ich arbeiten für eine optische Firma. Sie lassen uns herüber, um Geschäfte zu machen. Karl nannte Ihnen nur meinen Mädchennamen. Er wollte mich nicht in diese Sache mit Ihnen hineinziehen.«

Leamas zog einen Schlüssel aus der Tasche. »Sie werden irgendwo bleiben wollen«, sagte er. Seine Stimme klang matt. »Es gibt da eine Wohnung in der Albrecht-Dürer-Straße, neben dem Museum, Nummer 28a. Sie werden dort alles finden, was Sie brauchen. Ich rufe Sie an, sobald er kommt.«

»Ich werde hier bei Ihnen bleiben.«

»Ich bleibe nicht hier. Fahren Sie in die Wohnung. Ich werde Sie anrufen. Es hat jetzt keinen Sinn, hier zu warten.«

Einen Augenblick starrte Leamas sie schweigend an.

»Aber er kommt zu diesem Übergang.«

Leamas sah sie überrascht an.

»Das hat er Ihnen gesagt?«

»Ja, er kennt dort einen der Vopos, den Sohn seines Vermieters. Es kann helfen, deshalb hat er diese Route gewählt.«

»Und er hat Ihnen das gesagt?«

»Er vertraut mir. Er hat mir alles erzählt.«

Er gab ihr den Schlüssel und ging aus der Kälte in die Baracke am Kontrollpunkt zurück. Als er eintrat, sprachen die Polizisten leise miteinander; der größere drehte ihm ostentativ den Rücken zu. »Es tut mir leid«, sagte Leamas. »Es tut mir leid, dass ich Sie angeschrien habe.« Er öffnete eine zerfetzte Aktentasche und kramte darin herum, bis er fand, was er suchte: eine halbe Flasche Whisky. Der ältere Mann nahm sie mit einem Kopfnicken entgegen, goß jeden Becher halbvoll und füllte Kaffee nach.