»War Ihnen das recht?«
»Warum nicht?«
»Karl war Ihr Agent. Sie haben es vielleicht nicht gern gesehen, wenn er sich mit anderen Agentenführern traf.«
»Der Chef ist kein Agentenführer. Er ist der Leiter der Dienststelle. Karl wußte das und fühlte sich sehr geschmeichelt.«
»Waren Sie während der Begegnung die ganze Zeit dabei?«
»Ja. Nein, nicht ganz. Ich ließ sie eine Viertelstunde oder so allein - nicht länger. Der Chef hatte mich darum gebeten. Er wollte einige Minuten mit Karl allein sein, Gott weiß, warum. Ich verließ deshalb unter irgendeinem Vorwand die Wohnung, ich kann nicht mehr sagen, weshalb. Oh, doch, ich weiß: Ich behauptete, wir hätten keinen Scotch mehr. Ich bin wirklich zu de Jong gegangen und habe eine Flasche geholt.«
»Wissen Sie, was sich zwischen den beiden abspielte, während Sie weg waren?«
»Woher sollte ich? Außerdem war ich gar nicht sehr interessiert daran.«
»Und Karl hat es Ihnen auch später nicht erzählt?«
»Ich habe ihn nie danach gefragt. Karl war in mancher Hinsicht ein unverschämter Kerl. Er benahm sich immer so, als ob er einem durch irgend etwas überlegen wäre. Ich mochte auch die Art nicht, wie er sich über den Chef lustig machte. Allerdings war er völlig im Recht, wenn er über ihn lachte - das Ganze war eine höchst lächerliche Veranstaltung. Wir haben ja auch tatsächlich zusammen einige Zeit darüber gelacht. Außerdem hätte es keinen Sinn gehabt, Karls Eitelkeit zu verletzen. Sinn des ganzen Treffens war es ja, Karl ein bißchen aufzumöbeln.«
»War er denn niedergeschlagen?«
»Nein, weit davon entfernt. Er war schon verdorben. Er wurde zu gut bezahlt, zu sehr geliebt, zuviel ins Vertrauen gezogen. Es war zum Teil mein, zum Teil Londons Fehler. Hätten wir ihn nicht verdorben, so würde er dieser Frau nichts über sein Netz erzählt haben.«
»Elvira?«
»Ja.« Sie gingen eine Weile schweigend weiter, bis Fiedler seine Träumerei mit der Bemerkung unterbrach:
»Ich beginne, Sie gern zu haben, Leamas. Aber eine Sache macht mir zu schaffen. Es ist merkwürdig - ehe ich mit Ihnen zusammenkam, hat es mir überhaupt keine Sorgen gemacht.«
»Was ist es?«
»Weshalb Sie eigentlich hierhergekommen sind. Warum haben Sie Verrat begangen?«
Leamas wollte gerade etwas sagen, als Fiedler lachte.
»Ich fürchte, das war eben nicht sehr taktvoll, wie?« sagte er.
Sie verbrachten die Woche mit Spaziergängen in den Hügeln. Gegen Abend kehrten sie immer zum Jagdhaus zurück, spülten das lieblos zubereitete Abendessen mit einer Flasche billigen Weißweins hinunter und saßen dann endlos bei einem Steinhäger vor dem Feuer. Das Feuer schien Fiedlers Idee zu sein - am Anfang hatte es das nicht gegeben. Eines Tages hörte Leamas, wie Fiedler zu einem der Posten sagte, er solle Holzscheite bringen. Von da an hatte Leamas gegen die Abende nichts mehr einzuwenden. Nach einem ganzen Tag an der frischen Luft bei scharfem Alkohol am Kaminfeuer sitzend, brauchte Leamas keine Aufforderung, um zu reden und von seiner Arbeit zu erzählen. Es wurde auf Tonband aufgenommen, wie Leamas annahm, aber das war ihm gleichgültig.
Als auf diese Weise ein Tag nach dem anderen verging, bemerkte Leamas an seinem Begleiter eine steigende Gespanntheit. An einem Spätnachmittag nahmen sie den DKW und fuhren ziemlich weit, bis sie zu einer Telefonzelle kamen. Fiedler ließ den Zündschlüssel stecken, obwohl Leamas im Wagen blieb, und führte ein langes Gespräch.
Als er zurückkam, fragte Leamas: »Weshalb haben Sie nicht das Telefon im Haus benützt?« Aber Fiedler schüttelte nur den Kopf.
»Wir müssen vorsichtig sein«, antwortete er. »Auch Sie!«
»Warum? Was geht vor?«
»Das Geld, das von Ihnen bei der Kopenhagener Bank eingezahlt worden war - wir schrieben deswegen, erinnern Sie sich?«
»Natürlich erinnere ich mich.«
Fiedler sagte nichts weiter, sondern fuhr schweigend zu den Hügeln zurück. Dort hielt er. Sie konnten durch das geisterhafte Astgewirr großer Kiefernbäume auf eine Stelle hinuntersehen, wo zwei große Täler ineinandermündeten. Die steilen bewaldeten Hügel zu beiden Seiten verloren in der aufkommenden Dunkelheit allmählich ihre Farbe, bis sie grau und still in der Dämmerung lagen.
»Was auch geschehen mag«, sagte Fiedler, »machen Sie sich keine Gedanken, es wird alles gut werden, verstehen Sie?«
Seine Stimme war schwer und nachdrücklich, seine schlanke Hand ruhte auf Leamas' Arm. »Es kann sein, dass Sie sich etwas um sich selbst kümmern müssen, aber es wird nicht lange dauern. Verstehen Sie?« fragte er wieder.
»Nein. Und da Sie es nicht erklären wollen, werde ich es abwarten müssen. Um meine Haut brauchen Sie sich nicht allzuviel Sorgen zu machen, Fiedler.« Er bewegte seinen Arm, aber Fiedlers Hand hielt ihn fest. Leamas haßte es, wenn er angefaßt wurde.
»Kennen Sie Mundt?« fragte Fiedler. »Wissen Sie über ihn Bescheid?«
»Wir haben über Mundt gesprochen.«
»Ja«, wiederholte Fiedler, »wir haben über ihn gesprochen. Er schießt erst, und stellt die Fragen hinterher. Das Prinzip der Abschreckung. Für einen Beruf, in dem die Fragen stets wichtiger als das Schießen sind, ist dies Verhalten seltsam.«
Leamas wußte, was ihm Fiedler erzählen wollte.
»Es ist ein seltsames System - außer, man fürchtet die Antwort«, fuhr Fiedler leise sprechend fort.
Leamas wartete.
Einen Augenblick später sagte Fiedler: »Früher hat er nie Verhöre durchgeführt. Das überließ er stets mir. Er sagte immer: ›Du verhörst sie, Jens, denn das kann keiner so gut wie du. Ich fange sie, und du läßt sie singen.‹ Er verglich Menschen, die sich mit der Abwehr befassen, immer mit Malern: beide müssen hinter sich stets einen Mann mit einem Hammer haben, der zuschlägt, sobald die Arbeit beendet ist. Andernfalls würden sie das Ziel ihrer Arbeit vergessen. Er sagte immer zu mir: ›Ich werde dein Hammer sein.‹ Zuerst war es ein Scherz zwischen uns. Aber dann, als er zu töten begann, und zwar zu töten, noch ehe die Leute gesungen hatten, wurde es ernst. Hier wurde einer erschossen, dort ein anderer ermordet. Ich habe ihn so oft gefragt: ›Warum läßt du sie nicht einfangen? Warum überläßt du sie nicht mir für ein oder zwei Monate? Was nützen sie dir, wenn sie tot sind?‹ - Aber er schüttelte nur den Kopf und sagte, man müsse Disteln ausrotten, ehe sie blühen. Ich hatte das Gefühl, dass er sich die Antwort schon zurechtgelegt hatte, noch ehe ich die Frage stellen konnte. Er ist großartig in der praktischen Arbeit. Er hat mit der ›Abteilung‹ Wunder bewirkt, Sie wissen das. Er hat sich darüber viele Gedanken gemacht, oft habe ich bis spät in die Nacht hinein mit ihm gesprochen. Er trinkt Kaffee - nichts anderes als immer nur Kaffee.
Nach seiner Meinung denken die Deutschen zuviel über sich selbst nach, als dass sie gute Agenten sein könnten. Das zeigte sich deutlich an den Arbeitsergebnissen der Abwehr. Er sagte, Abwehrleute in Deutschland seien wie Wölfe, die dauernd an trockenen Knochen herumnagen. Man müßte sie ihnen wegnehmen, damit sie sich auf die Suche nach neuen Quellen machen. Ich sehe das alles ein, ich weiß, was er meint. Aber er ist zu weit gegangen. Warum brachte er Viereck um? Warum nahm er ihn mir weg? Viereck war frisches Futter, wir hatten noch nicht einmal das Fleisch vom Knochen genagt, verstehen Sie?« Seine Hand hielt den Arm von Leamas fest gepackt. In der völligen Dunkelheit des Wagens spürte Leamas die erschreckende Intensität der Erregung Fiedlers besonders deutlich.
»Ich habe Tag und Nacht darüber nachgedacht. Seit Viereck erschossen wurde, habe ich dauernd nach dem Grund gesucht. Ich sah nur ein vernünftiges Motiv, aber zuerst schien es mir allzu unglaublich zu sein. Ich sagte mir, dass ich wohl eifersüchtig sei, dass meine Nerven von dieser Arbeit schon angegriffen waren, wenn ich hinter jedem Baum Verrat witterte. Man wird so, wenn man in dieser Art Welt lebt. Aber ich konnte mir nicht helfen, Leamas, ich mußte einfach versuchen, es herauszubekommen. Es hatte vorher ja auch schon andere Sachen gegeben. Er fürchtete sich. Ja, er fürchtete, dass wir einmal jemanden fassen könnten, der zuviel redete!«