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Vibart tauchte an der Reling auf. Seine Gestalt glich einem festen, blauweißen Felsen. Er wirkte grimmig, aber unerschüttert, und wartete, bis die Neunpfünder gefeuert hatten und zurückgerollt waren, ehe er rief:»Kein Wasser im Schiff, Sir. Sie hat keinen Treffer unterhalb der Wasserlinie abbekommen.»

Bolitho nickte. Der Amerikaner dachte sicher an eine Prise. Es würde nicht lange dauern, die Phalarope in einer der Werften überholen zu lassen, die die Briten aufgeben mußten, als sie sich vom amerikanischen Kontinent zurückzogen.

Die Erkenntnis stachelte Bolitho an. Die Phalarope kämpfte um ihr Leben, doch die Mannschaft wurde ihr nicht gerecht. Er wurde ihr nicht gerecht. Er hatte das Schiff und jeden Mann an Bord in diese Situation gebracht. Alle Hoffnungen und Versprechungen waren jetzt bedeutungslos. Schande und Versagen waren die einzige Alternative zu Untergang und Tod.

Selbst wenn er sich dem Angriff der Andiron hätte entziehen wollen, jetzt wäre es zu spät gewesen. Die Brise ließ mehr und mehr nach, und die von den kreischenden Kanonenkugeln zerrissenen Segel waren nahezu nutzlos.

Ein Seesoldat krallte die Hand vor das klaffende rote Loch in der Stirn, ehe er zwischen seine Kameraden stürzte. Jedes Wort dehnend, befahl Hauptmann Rennie:»Auffüllen! Wozu, zum Teufel, glaubt ihr, seid ihr da?«Und zu Sergeant Garwood sagte er zynisch:»Notieren Sie den nächsten Mann, der ohne Erlaubnis stirbt.»

Überraschenderweise lachten einige Seesoldaten, und als Rennie merkte, daß Bolitho herübersah, zuckte er bloß mit den Schultern, als verstünde auch er, daß alles Teil eines gräßlichen Spiels war.

Das Schiff stampfte, und die Segel dröhnten protestierend, als der abflauende Wind die klatschende Leinwand traf. Bolitho zischte den Rudergänger an:»Achten Sie auf das Ruder! Schiff auf Kurs halten!»

Doch einer der Rudergänger war gefallen. Aus seinem Mund strömte Blut über die Planken. Ein anderer Mann, ständig auf einem Stück Tabak herumkauend, tauchte von irgendwoher auf und nahm seinen Platz ein.

«Die Steuerbordbatterie ist ein wildes Durcheinander«, knurrte Vibart.»Wenn wir von Backbord her angreifen könnten, hätten wir Zeit, sie zu reorganisieren.»

Bolitho sah ihn fest an.»Die Andiron ist im Vorteil. Aber ich beabsichtige, ihr Heck zu kreuzen.»

Vibart spähte mit kalten, kalkulierenden Augen querab.»Das wird uns die Andiron nie erlauben. Sie hämmert uns in Stücke, ehe wir eine Kabellänge weit sind. «Er sah Bolitho an.»Wir werden die Flagge streichen müssen. «Seine Stimme bebte.»Viel mehr können wir nicht mehr einstecken.»

Bolitho erwiderte ruhig:»Das will ich nicht gehört haben, Mr. Vibart. Gehen Sie nach vorn, und bringen Sie die ganze Batterie wieder auf Vordermann. «Es klang kalt und endgültig.»Wenn zwei Schiffe sich im Gefecht gegenüberliegen, kann nur eins siegen. Und für die Phalarope entscheide ich über den Ablauf der Dinge.»

Vibart zog die Schultern hoch, als ginge es ihn nichts an.»Wie Sie meinen, Sir. «Während er zum Niedergang schritt, äußerte er rauh:»Ich habe gesagt, daß die Leute Fehler nicht respektieren.»

Bolitho spürte Probys Hand auf dem Arm. Er wandte sich um. Sorge zeichnete das kummervolle Gesicht.»Das Ruder, Sir, reagiert nicht! Die Rudertalje ist gebrochen.»

Bolithos Blicke flogen über Probys runde Schultern zum Rudergänger. Er drehte das Rad hin und her, doch ohne Wirkung, und das Schiff lief aus dem Ruder und begann träge abzufallen. Die unvermutete Bewegung versetzte das Hauptdeck in Aufregung. Schreie ertönten, als die Fregatte sich auf die Seite legte und die Stückpforten sich plötzlich gen Himmel hoben.

Bolitho fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Erst dabei merkte er, daß ihm der Hut vom Kopf geflogen war. Der Wimpel am Masttopp flatterte kaum noch. Ohne Druck in den Segeln war das Schiff der See ausgeliefert, bis es die Flagge strich oder vernichtet wurde. Eine neue Rudertalje anzubringen, würde gut eine Stunde erfordern. Doch bis zu diesem Zeitpunkt. . Bolitho spürte, wie es ihm kalt über den Rücken lief. Er legte die Hände um den Mund.»Feuer einstellen!»

Die plötzliche Stille schreckte mehr als das Bellen der Kanonen. Man hörte jetzt das Scheuern und Schaben der Rundhölzer, das Gurgeln des Wassers und das Klappern der hin- und herschwingenden Teile der Takelage. Selbst die Verwundeten schienen überwältigt. Keuchend lagen sie da und stierten zu dem reglosen Kapitän an der Achterdeckreling hinauf.

Wie eine letzte Beleidigung trieb ein wildes Hurrarufen mit dem Pulverqualm über das Wasser zur Phalarope herüber. Hört sich wie das Gebell einer Meute an, dachte Bolitho bitter. Wie das Bellen von Hunden, die zum Sprung an die Kehle ansetzen.

Der Qualm riß keilförmig auf. In der Lücke erschien der Bug der Andiron, der lange Finger ihres Bugspriets. Sonnenstrahlen spielten über ihre Galionsfigur und schimmerten auf gezückten Entermessern und erhobenen Enterspießen. Immer mehr Teile des feindlichen Schiffes wurden sichtbar, und Bolitho erkannte, daß die Mannschaft der Andiron auf den Punkt zudrängte, an dem die Schiffe sich berühren würden. Andere, mit Enterhaken bewaffnet, kletterten auf die Rahen hinaus, bereit, die zwei Schiffe fest aneinander zu klammern. Damit stand das Ende nahe bevor.

«Diese Bastarde«, murmelte Stockdale neben Bolitho.»Diese Bastarde.»

Bolitho bemerkte Tränen in Stockdales Augen und wußte, daß der Bootsmann sein Elend teilte.

Die Flagge wehte in einem leichten Windstoß plötzlich aus. Bolitho wagte nicht hinaufzusehen. Ein trotziger Fleck Rot. So rot wie die Röcke der Seesoldaten und die Blutlachen, die durch die Speigatten wegsickerten, als ob das Schiff vor seinen Augen verblutete. Neue Wut durchfuhr ihn, und er mußte die Finger um den Degengurt klammern, damit ihm die Hände nicht zitterten.

«Holen Sie Mr. Brock! Los, im Laufschritt!»

Bolitho sah, wie Fähnrich Maynard losrannte, vergaß ihn aber, als sein Blick über die Männer glitt. Sie waren erschöpft. Die Anstrengungen der Schlacht hatten sie erledigt. Sie zeigten kaum noch einen Funken Kampfgeist. Bolithos Finger krampften sich um den Degengriff, und er spürte Verzweiflung. Im Geiste sah er seinen Vater und viele andere seiner Familie vor sich. Sie hatten sich der Mannschaft zugesellt und beobachteten ihn schweigend.

Proby sagte heiser:»Ich habe ein paar Männer zum Spleißen der Rudertalje abkommandiert, Kapitän. «Er wartete und zerrte an den Knöpfen seines schäbigen Rockes.»Es war nicht Ihre Schuld, Sir. «Er bewegte sich unruhig unter Bolithos festem Blick.»Geben Sie nicht auf, Sir. Noch nicht.»

Brock kam auf das Achterdeck und salutierte.»Sir?«Er steckte noch in den Filzschuhen, die er stets in dem dunklen Magazin trug. Die plötzliche Stille und das Maß der Zerstörung an Deck schienen ihn zu betäuben.

«Mr. Brock, ich habe einen Auftrag für Sie. «Bolitho lauschte der eigenen Stimme und spürte, daß ihn die neue Entschlossenheit anfeuerte wie Brandy.»Ich wünsche, daß jede Steuerbordkanone mit Kettengeschossen geladen wird. «Er warf einen Blick auf die sich immer bedrohlicher nähernde Andiron. »Sie haben zehn Minuten Zeit, es sei denn, der Wind frischt auf.»

Brock nickte und eilte wortlos davon. Es war nicht seine Art, einen offenbar sinnlosen Befehl in Frage zu stellen. Eine Order des Kapitäns, das war alles, was er brauchte.

Bolithos Blicke schweiften über das Hauptdeck, über die Toten, die Verwundeten und die noch einsatzfähigen Kanoniere. Langsam sagte er:»Es geht um eine letzte Breitseite, Leute. «Die Worte fegten seine Illusion hinweg, den Männern mit einer leeren Geste zu kommen.»Jede Kanone wird mit Kettengeschossen geladen, und jede ist auf äußerste Richthöhe einzustellen.»

Die Männer regten sich. Ihre Bewegungen waren so unbestimmt und unsicher wie die alter Männer. Doch Bolithos Worte schienen ihnen neue Kraft zu geben.

«Ladet«, setzte er energisch nach,»aber rennt die Kanonen nicht aus, ehe der Befehl kommt.»