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Herrick spürte, wie ihm die Beine zitterten. Wiederum versuchte er sich einzureden, daß es von der Müdigkeit herrührte, von der Anstrengung, die der Tag mit seiner fortwährenden Arbeit gebracht hatte. Kaum eine Stunde nach dem Verschwinden des Kaperschiffs war Bolitho, das dunkle Haar wieder säuberlich im Nacken zusammengebunden, frisch rasiert und ohne ein Stäubchen auf der Uniform, auf das Achterdeck zurückgekehrt. Nur die Falten um die Mundwinkel und die Ruhelosigkeit in seinen Augen verrieten etwas von seinen Gefühlen, als er seine Befehle erteilte und daranging, den Schaden, den Schiff und Mannschaft erlitten hatten, zu beheben.

Anfänglich hatte Herrick das für unmöglich gehalten. Die Erleichterung der Männer war nach und nach in Ermattung umgeschlagen. Manche Matrosen lagen auf den schmutzigen Decks wie Marionetten, deren Schnüre gerissen waren. Andere standen einfach herum und starrten gleichgültig auf die Nachwirkungen des Alptraums.

Mit Bolithos plötzlichem Auftauchen hatte eine Aktivität eingesetzt, die sich niemand richtig erklären konnte. Offiziere und Mannschaften waren durch die kurze, doch schreckliche

Begegnung mit dem Feind zu erschöpft, um sich dagegen auflehnen zu können. So waren die Toten an die Leereling gebracht und in Segeltuch eingenäht worden, armselige, namenlose Bündel.

Von der Back bis zum Achterdeck waren die Leute schrubbend auf den Knien über die Decks gerutscht. Begleitet vom Klicken der Pumpen und dem gleichgültigen Rauschen des Seewassers, hatten sie die dunklen Flecke von den Planken entfernt.

Die zerfetzten und nutzlosen Segel wurden abgeschlagen und durch neue ersetzt. Tozer, der Segelmacher, und seine Leute hockten an jedem nur verfügbaren Platz. Die Nadeln blitzten, während sie alles, was noch brauchbar war, flickten und ausbesserten.

Ledward, der Zimmermann, ging langsam von einer Stelle zur anderen, machte sich hier eine Notiz, nahm dort Maß, bis er zuletzt soweit war, seinen Teil zur Wiederherstellung der Seetüchtigkeit der Fregatte beizutragen. Sogar jetzt, während Herrick die Schrecken des Bombardements noch einmal durchlebte und nochmals die Schreie und das Stöhnen der Verwundeten hörte, waren die Hämmer und Sägen geschäftig, und ganze Teile der Außenhaut wurden neu geplankt und sollten am folgenden Morgen geteert und bemalt werden.

Wieder überlief Herrick ein Schauer, und er fluchte, als die Beine fast unter ihm nachgaben. Es war nicht nur Ermüdung, es war der Schock. Das wußte er nun.

Er rief sich seine Eindrücke während der Schlacht zurück, seine stupide Erleichterung und seine laut geäußerten, spaßhaften Bemerkungen, als der Feind abdrehte und verschwand. Es war ihm vorgekommen, als höre er einem anderen zu, der weder schweigen noch Haltung bewahren konnte. Am Leben und unverletzt zu sein, hatte einfach mehr bedeutet als alles andere.

Während der Himmel hinter dem sich langsam bewegenden Schiff dunkler wurde, prüfte er seine wahren Empfindungen und versuchte, seine Erinnerungen zu ordnen.

Er hatte sogar den kurzen Kontakt, den er zu Bolitho gefunden hatte, wiederzugewinnen versucht. Er war zum Achterdeck gegangen, von dem der Kapitän auf die arbeitenden Leute sah, und hatte gesagt:»Sie haben uns gerade rechtzeitig gerettet, Sir. Noch eine Minute, und man hätte uns mit einer vollen Breitseite bedacht. Eine geschickte List, beizudrehen. Dieser Freibeuter war verschlagen, kein Zweifel.»

Bolitho hatte den Blick nicht vom Hauptdeck gelöst. Seine Antwort hatte geklungen, als spräche er zu sich selber.»Die Andiron ist ein altes Schiff und seit zehn Jahren hier draußen. «Und mit einer knappen Geste zum Hauptdeck:»Die Phalarope aber ist neu. Jede Kanone ist mit dem neuen Steinschloß ausgestattet, und Karronaden sind bisher fast nur in der Kanalflotte bekannt. Nein, Mr. Herrick, da gibt es nicht viel zu gratulieren.»

Herrick hatte Bolithos Profil studiert. Zum erstenmal war er sich des Kampfes bewußt geworden, den der Kapitän ausfocht.»Wie dem auch sei, Sir, die Andiron war uns batteriemäßig weit überlegen. «Er hatte nach einem Zeichen jenes Bolitho Ausschau gehalten, den er mit dem Degen in der Hand an Deck gesehen hatte, während ihn die Kugeln wie Hagel umpeitschten. Aber das erwartete Zeichen war ausgeblieben. So hatte er lahm hinzugefügt:»Sie werden sehen, Sir, nach dieser Geschichte sieht alles anders aus.»

Bolitho hatte sich aufgerichtet, als schüttele er ein unsichtbares Gewicht ab. Seine grauen Augen waren kalt und gefühllos, als er ihn schließlich ansah.

«Hoffentlich haben Sie recht, Mr. Herrick. Was mich betrifft, so hat mich das Durcheinander angewidert. Ich wage nicht daran zu denken, was bei einem Kampf bis zum bitteren Ende geschehen wäre.»

Herrick hatte gespürt, daß er rot wurde.»Ich dachte nur. .»

«Wenn mir an der Meinung meines Dritten liegt, werde ich es ihn wissen lassen. Bis dahin, Mr. Herrick, seien Sie bitte so freundlich, Ihre Leute an die Arbeit zu schicken. Für Hypothesen und Lobsprüche ist später Zeit. «Er hatte sich abgewandt und seinen Gang über das Achterdeck wieder aufgenommen.

Herrick sah, wie der Trupp des Arztes einen leblosen Körper heranschleppte und ihn zu den anderen legte. Dabei erinnerte er sich einer grauenvollen Szene.

Herrick hatte gemeinsam mit dem Zimmermann das Zwischendeck inspiziert. Die Phalarope hatte zwar keine Einschüsse unterhalb der Wasserlinie abbekommen, aber er betrachtete es als seine Pflicht, sich mit eigenen Augen zu überzeugen. Obwohl er vom Lärm des Gefechts noch immer betäubt war, folgte er, von der halbabgeblendeten Laterne wie hypnotisiert, dem Zimmermann Ledward an den massiven Spanten vorbei durch die unteren Decks. Als sie durch einen Vorhang traten, sahen sie sich plötzlich einer Szene gegenüber, die aus der Hölle zu stammen schien.

Kreisförmig angeordnete Laternen erleuchteten das Bild so, daß er alles wahrnehmen mußte, ob er nun wollte oder nicht. Im Mittelpunkt des gelben Lichtscheins lag, festgebunden und verkrümmt wie das Opfer auf einem Altar, ein schwerverwundeter Seemann, dem Tobias Ellice, der Wundarzt, das Bein amputierte.

Ellices dickes, ziegelrotes Gesicht zeigte keinerlei Ausdruck, während seine blutigen Hände die Säge führten. Sein Doppelkinn stieß im Takt der Bewegung immer wieder gegen den oberen Rand seiner blutgetränkten Schürze. Seine Gehilfen mußten ihre ganze Kraft aufwenden, um das sich windende Opfer auf dem Deckel einer Seekiste festzuhalten, die als Operationstisch diente. Bei jedem Stoß der Säge rollte der Mann mit den Augen und biß auf den Lederriemen zwischen seinen Zähnen, daß ihm das Blut aus den Lippen spritzte.

Außerhalb des Lichtkreises warteten andere Verwundete, daß sie an die Reihe kämen. Manche stützten sich auf die Ellenbogen, als könnten sie sich von dem grauenvollen Schauspiel nicht losreißen. Andere stöhnten und schluchzten im Schatten. Aus einigen sickerte das Leben heraus und ersparte ihnen die Qual von Säge und Messer. Die Luft war zum Schneiden dick vor Blut- und Rumgeruch, denn Rum war das einzige Betäubungsmittel.

Ellice schaute hoch, als der Mann wild um sich schlug und ohnmächtig wurde. Er sah Herricks verzerrtem Gesicht den Schrecken an und sagte mit dicker, trunkener Stimme:»Das ist ein Tag, Mr. Herrick. Ich nähe und flicke, ich säge und untersuche, aber trotzdem haben sie es eilig, zu ihren Gefährten da oben zu kommen. «Seine feuchten Augen kehrten sich zum Himmel, und er nahm einen Schluck aus der Lederflasche.»Wollen Sie auch einen, Mr. Herrick?«Er hob die flache Lederflasche ins Licht.»Nein? Na gut, ich brauche jedenfalls eine kleine Stärkung.»

Dann nickte er seinem Gehilfen kaum merklich zu, der seinerseits auf einen Mann an der gewölbten Schiffswand deutete. Der Mann wurde ohne Verzug gepackt und auf den Tisch geschleppt. Ellice wischte sich den Mund und riß ihm, ohne die Schreie des armen Kerls zu beachten, das Hemd von dem zerfetzten Arm.