Die Fregatte segelte mit Steuerbordhalsen. Das Schiff und sein Spiegelbild im dunkelblauen Wasser boten ein prachtvolles
Bild. Über den sich verjüngenden Masten leuchtete wie zum Gruß ein wolkenloser Himmel, und um die Rahen segelten schreiend und erwartungsvoll die Möwen.
Antigua, Hauptquartier und Basis des WestindienGeschwaders, war ein Glied der zerstreuten Inselkette, die den östlichen Teil der Antillen schützte. Bolitho freute sich, wieder hier zu sein. Als er sich über die Reling beugte, um nach vorn zu spähen, erwartete er halb und halb, die Sparrow und ihre Mannschaft zu sehen. Aber die Gegenwart der Phalarope überschattete bereits die alten Erinnerungen.
«An Deck! Linienschiff unter Land vor Anker!»
Okes war Wachführer; er blickte schnell zum Kapitän hinüber.
«Höchstwahrscheinlich das Flaggschiff, Mr. Okes. «Bolitho blickte kurz zur neuen Besanstenge hinauf, von wo aus der scharfäugige Ausguck die hohen Masten erspäht hatte.
Die Fregatte rundete langsam die saftig grünen Berge und felsigen Abstürze des Vorgebirges von Cape Shirley. Die Mannschaft drängte sich in Luv und klammerte sich an Wanten und Netze, während sie das Land mit Blicken verschlang. Fast allen war es unbekannt. Hier strahlte die Sonne heller, und die dichte, grüne Vegetation hinter dem weißen Strand glich keiner der Küsten, die sie kannten. Sie wiesen sich gegenseitig auf dieses oder jenes hin und plapperten aufgeregt wie Kinder, als sie an der Landzunge vorbeiglitten und die von Land eingeschlossene Bucht von English Harbour sichtbar wurde.
«Klar zum Halsen, Sir«, rief Proby.
Bolitho nickte. Bis auf Bransegel und Klüver waren alle Segel aufgegeit. Von der Back blickte Herrick, der neben dem Ankerkommando stand, nach achtern.
Bolitho schnippte mit den Fingern.»Mein Glas, bitte.»
Fähnrich Maynard reichte es dem Kapitän, und Bolitho musterte prüfend den in der Mitte der Bucht vor Anker liegenden Zweidecker. Die Stückpforten standen offen, um den Landwind ins Schiff zu lassen, und über das mächtige Achterdeck spannten sich Sonnensegel. Bolithos Blick haftete auf dem Stander des Konteradmirals im Topp und auf den blauen und roten Uniformen, die am Heck schimmerten, von wo aus man sein Einlaufen beobachtete.
«Mr. Brock, klar zum Salut! Elf Schuß, bitte. «Er schob das
Teleskop mit einem Ruck zusammen. Wenn er sie sehen konnte, sahen sie ihn auch. Er wollte nicht neugierig wirken.
Die nächstliegende Landspitze blieb achteraus, und er befahclass="underline" »Übernehmen Sie, Mr. Proby.»
Proby legte die Hand an den Hut.»Leebrassen fieren! Klar zum Halsen.»
Bolitho beobachtete Okes und wartete geduldig. Schließlich sagte er, ohne die Stimme zu heben:»Scheuchen Sie die Müßiggänger von der Reling, Mr. Okes. Das da drüben ist ein Flaggschiff. Der Admiral soll nicht den Eindruck gewinnen, ich hätte einen Haufen Bauerntölpel an Bord. «Er lächelte, als Okes den Befehl herausstotterte und die Maate die Leute von der Reling trieben.
Der Salut ertönte und wurde von den Bergen zurückgeworfen, während die Fregatte langsam auf das Linienschiff zuhielt. Auf der Phalarope biß sich mehr als einer auf die Lippen, als der Kanonendonner andere, schrecklichere Erinnerungen weckte.
«Klar bei Bramsegelschoten!«Proby wischte sich den Schweiß von der Stirn und schätzte, wieviel Fahrt die Phalarope machte, während sie sich dem Ankerplatz näherte.»Bramsegel aufgeien!«Er schaute nach achtern.»Klar zum Ankern, Sir.»
Bolitho achtete nur halb auf die Salutschüsse und die herausgebellten Befehle. Er nickte.
«Ruder nach Lee!«Bolitho verfolgte, wie das Ruder gelegt wurde, und sah, wie die Phalarope in den Wind drehte und Fahrt verlor.
Bis auf das leise Glucksen des Wassers war jetzt kein Laut zu hören.»Fiert weg Anker!»
Der Anker klatschte in das klare Wasser. Die Kette rauschte aus.
«Signal, Sir!«meldete Maynard aufgeregt. »Cassius an Phalarope: Kapitän zur Meldung an Bord.»
Bolitho nickte. Er hatte die Aufforderung erwartet und war bereits in seiner besten Uniform.»Lassen Sie die Gig zu Wasser, Mr. Okes. Und achten Sie darauf, daß die Giggasten ordentlich aussehen. «Bolitho blickte dem davoneilenden Zweiten nach und fragte sich, warum er so zerquält und besorgt aussah. Er schien überanstrengt und mit den Gedanken nur halb bei der Sache.
Vibart kam nach achtern und salutierte.»Irgendwelche
Befehle, Sir?»
Bolitho beobachtete, wie das Boot ausgeschwenkt wurde, wobei der wachhabende Maat den Stock heftiger gebrauchte als sonst, als wäre auch er sich der beobachtenden Augen auf dem Flaggschiff bewußt.
«Machen Sie alles klar zum Übernehmen von Frischwasser, Mr. Vibart. Wir werden wohl anschließend nach English Harbour verholen, und die Männer können an Land gehen. Sie haben es verdient.»
Der Erste schien etwas erwidern zu wollen, sagte dann aber bloß:»Aye, aye, Sir. Ich werde mich darum kümmern.»
Bolitho schaute zu dem Zweidecker hinüber: die Cassius, 74 Kanonen, Flaggschiff von Konteradmiral Sir Robert Napier. Dem Vernehmen nach legte er auf Pünktlichkeit und Schnelligkeit größten Wert. Bolitho war ihm noch nie begegnet. Er stieg den Niedergang hinab und schritt langsam zum Fallreep. Er konnte kaum glauben, daß er dies Kommando erst seit fünf Wochen hatte. Es kam ihm vor, als wäre er schon seit Monaten an Bord. Die Gesichter waren ihm nun vertraut. Er kannte die Vorzüge und die Schwächen der Leute.
Hauptmann Rennie salutierte mit dem Degen, und die Wache präsentierte. Bolitho lüftete den Hut und setzte ihn wieder auf, als die Gig, mit Stockdale an der Pinne, längsseits kam. Die Pfeifen schrillten, während er ins Boot stieg. Von der Gig aus musterte er den Schiffsrumpf, die frische Farbe und die sauber ausgeführten Reparaturen. Die im Gefecht erlittenen Schäden waren kaum noch zu erkennen. Es hätte alles viel schlimmer kommen können, überlegte der Kapitän, während er sich auf der achteren Ducht zurechtsetzte.
Kräftiger Riemenschlag trieb die Gig über das ruhige Wasser. Bolitho schaute zurück. Seine Leute blickten ihm nach. Ihr Leben lag in seinen Händen, das war ihm immer bewußt gewesen. Aber vor dem Gefecht hatten einige an seinen Fähigkeiten gezweifelt. Möglicherweise hatten sie ihn sogar für einen Kapitän vom Kaliber Pomfrets gehalten.
Die Gig näherte sich dem Flaggschiff, und Bolitho drängte alle anderen Gedanken zurück. Sie brauchten ihn nicht zu lieben, sagte er sich, aber sie mußten ihm vertrauen.
Konteradmiral Sir Robert Napier blieb hinter seinem Tisch sitzen und deutete auf einen Stuhl an der breiten Heckgalerie: ein kleiner, leicht reizbarer Mann mit gebeugten Schultern und schütterem grauem Haar. Das Gewicht seines Paraderocks schien ihn niederzudrücken. Sein schmaler Mund verriet kleinliche Mißgunst.
«Ich habe Ihre Berichte gelesen, Bolitho. «Seine Augen huschten über das Gesicht des Jüngeren und kehrten dann zum Tisch zurück.»Über Ihr Treffen mit der Andiron bin ich mir immer noch nicht ganz im klaren.»
Bolitho hätte sich auf dem harten Stuhl gern bequem zurechtgesetzt und entspannt, aber etwas in dem verdrossenen Ton warnte ihn.
Am Fallreep war er mit dem üblichen Zeremoniell empfangen worden, und der Kapitän der Cassius, der so unruhig und bekümmert aussah, wie er es mit Sir Robert an Bord wohl sein mußte, hatte ihn höflich begrüßt. Man hatte ihn dann in eine Kajüte geführt und gebeten zu warten, ein erstes Zeichen, daß nicht alles zum besten stand. Man forderte ihm hastig Logbuch und Berichte ab und überließ ihn in der stickigen Kajüte gut eine Stunde lang seinen nagenden Gedanken.
Er sagte vorsichtig:»Wir haben gute Fahrt gemacht, trotz der Begegnung, Sir. Alle Reparaturen wurden ohne Verlust an Segelzeit ausgeführt.»
«Halten Sie das für ein Verdienst?«Der Admiral musterte den Kapitän kalt.
«Nein, Sir«, entgegnete Bolitho.»Aber ich dachte, daß Fregatten hier noch immer dringend benötigt werden.»