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Gerda lacht und ißt.»Rede keinen Unsinn, Schatz«, erklärt sie mit vollen Backen.»Und sei keine beleidigte Leberwurst. Werde noch reicher als die andern, wenn es dich ärgert.«

»Ein schöner Rat! Wie soll ich das machen? Zaubern?«

»So wie die andern. Die haben es doch auch geschafft.«

»Eduard hat dieses Hotel geerbt«, sage ich bitter.

»Und Willy?«

»Willy ist ein Schieber.«

»Was ist ein Schieber?«

»Ein Mann, der die Konjunktur ausnutzt. Der mit allem handelt, von Heringen bis zu Stahlaktien. Der Geschäfte macht, wo er kann, mit was er kann, wie er kann, wenn er nur gerade noch am Gefängnis vorbeikommt.«

»Na, siehst du!«sagt Gerda und greift nach dem Rest der Pastete.

»Findest du, ich sollte auch einer werden?«

Gerda zerkracht ein Brötchen zwischen ihren gesunden Zähnen.»Werde einer oder werde keiner. Aber ärgere dich nicht, wenn du keiner werden willst und die andern es sind. Schimpfen kann jeder, Schatz!«

»Stimmt«, sage ich perplex und plötzlich stark ernüchtert. Eine Menge Seifenblasen scheinen auf einmal in meinem Gehirn zu platzen. Ich sehe Gerda an. Sie hat eine verflucht realistische Art, die Dinge zu betrachten.

»Du hast eigentlich wirklich recht«, sage ich.

»Natürlich habe ich recht. Aber sieh mal, was da erscheint: Glaubst du, das ist auch für uns?«

Es ist für uns. Ein gebratenes Huhn und Spargel dazu. Ein Essen für Munitionsfabrikanten. Eduard überwacht die Sache selbst. Er läßt Freidank tranchieren.»Die Brust für Madame«, kommandiert er.

»Ich nehme lieber ein Bein«, sagt Gerda.

»Ein Bein und ein Stück Brust für Madame«, erklärt Eduard galant.

»Immer zu«, erwidert Gerda.»Sie sind ein Kavalier, Herr Knobloch! Ich wußte es doch!«

Eduard schmunzelt selbstgefällig. Ich verstehe nicht, wozu er das ganze Theater aufführt. Daß Gerda ihm so gefällt, daß er derartige Opfer bringt, kann ich nicht glauben; eher, daß er aus Wut über unsere Eßmarken versucht, sie mir wegzuschnappen. Ein Racheakt ausgleichender Gerechtigkeit also.

»Freidank«, sage ich.»Nehmen Sie das Gerippe von meinem Teller. Ich esse keine Knochen. Geben Sie mir dafür das zweite Bein. Oder handelt es sich bei eurem Huhn um ein amputiertes Kriegsopfer?«

Freidank schaut wie ein Schäferhund auf seinen Herrn.

»Das ist doch das Leckerste«, erklärt Eduard.»Die Brustknochen sind delikat zum Abknabbern.«

»Ich bin kein Knabberer. Ich bin ein Esser.«

Eduard zuckt seine dicken Schultern und gibt mir zögernd das zweite Bein.

»Möchtest du nicht lieber etwas Salat?«fragt er.»Spargel sind sehr schädlich für Trunkenbolde.«

»Gib mir die Spargel. Ich bin ein moderner Mensch und habe einen starken Hang zur Selbstzerstörung.«

Eduard entschwebt wie ein Gummirhinozeros. Mir kommt plötzlich ein Einfall.»Knobloch!«schnauze ich im Generalston Renée de la Tours hinter ihm her.

Er schießt herum, wie von einer Lanze in den Rücken getroffen.»Was soll das?«fragt er mich wütend.

»Was?«

»So zu brüllen.«

»Brüllen? Wer brüllt hier außer dir? Oder ist es zuviel, wenn Miß Schneider etwas Salat haben möchte? Dann biete ihn nicht vorher an!«

Eduards Augen werden enorm. Man sieht einen ungeheuren Verdacht in ihnen aufsteigen und zur Gewißheit werden.

»Sie -«fragt er Gerda.»Sie haben mich gerufen?«

»Wenn Salat da ist, nehme ich gerne welchen«, erklärt Gerda, die nicht errät, was vorgeht. Eduard steht immer noch am Tisch. Er glaubt jetzt fest, daß Gerda die Schwester Renée de la Tours ist. Ich kann sehen, wie er die Leberpastete, das Huhn und die Spargel bereut. Er hat den Eindruck, grauenhaft hereingelegt zu sein.»Es war Herr Bodmer«, sagt Freidank, der herangeschlichen ist.»Ich habe es gesehen.«

Aber Freidanks Worte verhallen ungehört bei Eduard.

»Antworten Sie nur, wenn Sie gefragt werden, Kellner«, sage ich nachlässig zu ihm.»Das sollten Sie bei den Preußen gelernt haben! Und nun gehen Sie und schütten Sie weiter ahnungslosen Leuten Gulaschsaft in den Nacken. Du aber, Eduard, erkläre mir, ob dieses herrliche Essen eine Einladung war, oder ob du dafür unsere Marken kassieren willst?«

Eduard sieht aus, als ob er einen Schlaganfall kriegen wird.»Gib die Marken her, Schuft«, sagt er dumpf.

Ich trenne sie ab und lege die Papierstückchen auf den Tisch.»Wer hier der Schuft war, steht sehr zur Debatte, du verhinderter Don Juan«, sage ich.

Eduard nimmt die Marken nicht selbst auf.»Freidank«, sagt er, diesmal tonlos vor Wut.»Werfen Sie diese Fetzen in den Papierkorb.«

»Halt«, sage ich und greife nach dem Menü.»Wenn wir schon zahlen, haben wir noch das Recht auf ein Dessert. Was möchtest du, Gerda? Rote Grütze oder Kompott?«

»Was empfehlen Sie, Herr Knobloch?«fragt Gerda, die nicht weiß, was für ein Drama in Eduard vorgegangen ist.

Eduard macht eine verzweifelte Geste und geht ab.»Also Kompott!«rufe ich ihm nach.

Er zuckt kurz und geht dann weiter, als schliche er über Eier. Jede Sekunde erwartet er die Kasernenhofstimme.

Ich überlege, verzichte aber dann darauf, als noch wirksamere Taktik.»Was ist auf einmal hier los?«fragt die ahnungslose Gerda.

»Nichts«, erwidere ich unschuldig und teile das Hühnerskelett zwischen uns auf.»Lediglich ein kleines Muster für die These des großen Clausewitz über Strategie: Greife den Gegner an, wenn er glaubt, gesiegt zu haben, und dann da, wo er es am wenigsten vermutet.«

Gerda nickt verständnislos und ißt ihr Kompott, das Freidank respektlos vor uns hinschmeißt. Ich sehe ihr gedankenvoll zu und beschließe, sie nie wieder in das»Walhalla«zu führen und von nun an dem eisernen Gesetz Georgs zu folgen: Zeige einer Frau nichts Neues, dann will sie auch nicht dahin und läuft dir nicht weg.

Es ist Nacht. Ich lehne in meiner Bude am Fenster. Der Mond scheint, der schwere Geruch des Flieders weht aus den Gärten, und ich bin vor einer Stunde aus dem Altstädter Hof nach Hause gekommen. Ein verliebtes Paar huscht die Straßenseite entlang, die im Mondschatten liegt, und verschwindet in unserm Garten. Ich tue nichts dagegen; wer selbst nicht dürstet, ist friedfertig, und die Nächte sind jetzt unwiderstehlich. Damit nichts passiert, habe ich allerdings vor einer Stunde an die beiden kostbaren Kreuzdenkmäler ein Schild gehängt mit der Aufschrift:»Achtung! Kann umfallen! Zerschmettert die Zehen!«Aus irgendwelchen Gründen bevorzugen nämlich die Liebenden die Kreuze, wenn der Boden zu feucht ist; wahrscheinlich, weil sie sich besser daran festhalten können, obschon man glauben könnte, daß mittlere Hügelsteine ebenso vorteilhaft wären. Ich hatte den Gedanken, ein zweites Schild mit einer Empfehlung dafür aufzuhängen, habe es aber nicht getan. Frau Kroll ist manchmal früh auf, und sie würde mich, bei aller Toleranz, ohrfeigen wegen Frivolität, bevor ich ihr erklären könnte, daß ich vor dem Kriege ein prüder Mensch war – eine Eigenschaft, die mir bei der Verteidigung unseres geliebten Vaterlandes abhanden gekommen ist.

Plötzlich sehe ich eine quadratische Gestalt schwarz durch den Mondschein heranstampfen. Ich erstarre. Es ist der Roßschlächter Watzek. Er verschwindet in seiner Wohnung, zwei Stunden zu früh. Vielleicht sind ihm die Gäule ausgegangen; Pferdefleisch ist heute ein sehr beliebter Artikel. Ich beobachte die Fenster. Sie werden hell, und Watzeks Schatten spukt umher. Ich überlege, ob ich Georg Kroll Bescheid sagen soll; aber es ist ein undankbares Geschäft, Liebende zu stören, und außerdem kann es sein, daß Watzek, ohne nachzudenken, schlafen geht. Das scheint aber nicht so zu werden. Der Schlächter öffnet das Fenster und starrt rechts und links die Straße entlang. Ich höre ihn schnaufen. Er schließt die Läden, und nach einer Weile erscheint er vor der Tür, einen Stuhl in der Hand, sein Fleischermesser im Stiefelschaft. Er setzt sich auf den Stuhl, und es sieht aus, als ob er auf Lisas Rückkehr warten will. Ich schaue auf die Uhr; es ist halb zwölf. Die Nacht ist warm, und Watzek kann es Stunden draußen aushalten. Lisa dagegen ist schon ziemlich lange bei Georg; das heisere Fauchen der Liebe ist bereits verstummt, und wenn sie dem Schlächter in die Arme läuft, wird sie zwar eine glaubhafte Erklärung finden, und er wird wahrscheinlich darauf hereinfallen – aber besser ist es doch, wenn das nicht passiert.