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Die Dichterklause im Hotel»Walhalla«ist ein kleiner getäfelter Raum. Eine Büste Goethes steht auf einem Regal mit Büchern, und Photographien und Stiche von deutschen Klassikern, Romantikern und ein paar modernen Schriftstellern hängen herum. Die Klause ist der Versammlungsort für den Dichterklub und die geistige Elite der Stadt. Jede Woche ist eine Sitzung. Selbst der Redakteur des Tageblattes erscheint ab und zu und wird offen umschmeichelt und geheim gehaßt, je nachdem, ob er Beiträge angenommen oder abgelehnt hat. Er macht sich nichts daraus. Wie ein milder Onkel schwebt er durch den Tabakrauch, verlästert, angegriffen und verehrt – nur in einem sind sich alle über ihn einig: daß er nichts von moderner Literatur versteht. Hinter Theodor Storm, Eduard Mörike und Gottfried Keller beginnt für ihn die große Wüste.

Außer ihm kommen noch ein paar Landgerichtsräte und pensionierte Beamte, die an Literatur interessiert sind; Arthur Bauer und einige seiner Kollegen; die Poeten der Stadt, ein paar Maler und Musiker, und ab und zu als Gast ein Außenseiter. Arthur Bauer wird gerade von dem Speichellecker Matthias Grund umkrochen, der hofft, Arthur werde sein»Buch vom Tode in sieben Abteilungen«verlegen. Eduard Knobloch, der Gründer des Klubs, erscheint. Er wirft einen raschen Blick durch den Raum und heitert sich auf. Einige seiner Kritiker und Feinde sind nicht da. Er setzt sich zu meinem Erstaunen neben mich. Ich habe das nach dem Abend mit dem Huhn nicht erwartet.»Wie geht’s?«fragt er zudem ganz menschlich, nicht in seinem Speisesaalton.

»Brillant«, sage ich, weil ich weiß, daß ihn das ärgert.

»Ich habe eine neue Sonett-Serie vor«, erklärt er, ohne darauf einzugehen.»Ich hoffe doch, du hast nichts dagegen.«

»Was soll ich dagegen haben? Ich hoffe, sie reimen sich.«

Ich bin Eduard überlegen, weil ich bereits zwei Sonette im Tageblatt veröffentlicht habe; er jedoch nur zwei Lehrgedichte.»Es ist ein Zyklus«, sagt er, zu meiner Überraschung leicht verlegen.»Die Sache ist: Ich möchte ihn „Gerda“ nennen.«

»Nenne ihn, wie du -«Ich unterbreche mich.»Gerda, sagst du? Warum Gerda? Gerda Schneider?«

»Unsinn! Einfach Gerda.«

Ich mustere den fetten Riesen argwöhnisch.»Was soll denn das heißen?«

Eduard lacht falsch.»Nichts. Nur eine poetische Lizenz. Die Sonette haben etwas mit Zirkus zu tun. Entfernt, natürlich. Wie du weißt, belebt es die Phantasie, wenn sie – auch nur theoretisch – konkret fixiert wird.«

»Laß die Faxen«, sage ich.»Komm raus mit der Sprache! Was soll das heißen, du Falschspieler?«

»Falschspieler?«erwidert Eduard mit gespielter Empörung.»Das kann man wohl eher von dir sagen! Hast du nicht getan, als wäre die Dame eine Sängerin wie die ekelhafte Freundin von Willy?«

»Nie. Du hast es nur geglaubt.«

»Na schön«, erklärt Eduard.»Die Sache hat mir keine Ruhe gegeben. Ich bin ihr nachgegangen. Und ich habe herausgefunden, daß du gelogen hast. Sie ist gar keine Sängerin.«

»Habe ich das denn gesagt? Habe ich dir nicht gesagt, sie sei beim Zirkus?«

»Das hast du. Aber du hast mit der Wahrheit so gelogen, daß ich sie nicht geglaubt habe. Und dann hast du die andere Dame imitiert.«

»Wie hast du das alles herausgefunden?«

»Ich habe Mademoiselle Schneider zufällig auf der Straße getroffen und sie gefragt. Das darf man ja wohl noch, was?«

»Und wenn sie dich angeschwindelt hat?«

Eduard hat plötzlich ein ekelhaft süffisantes Lächeln auf seinem Babygesicht und schweigt.»Hör zu«, sage ich alarmiert und sehr ruhig.»Diese Dame ist nicht mit Sonetten zu gewinnen.«

Eduard reagiert darauf nicht. Er zeigt weiter die Überlegenheit eines Poeten, der außer Gedichten noch ein erstklassiges Restaurant besitzt, und ich habe gesehen, daß Gerda da sterblich ist.»Du Schurke«, erkläre ich wütend.»Das alles nützt dir nichts. Die Dame fährt in ein paar Tagen ab.«

»Sie fährt nicht ab«, erwidert Eduard und entblößt zum ersten Male, seit ich ihn kenne, sein Gebiß.»Ihr Vertrag ist heute verlängert worden.«

Ich starre ihn an. Der Lump weiß mehr als ich.»Du hast sie also heute auch getroffen?«

Eduard beginnt etwas zu stottern.»Zufällig heute – das war es doch! Nur heute.«

Die Lüge steht groß auf seinen dicken Backen geschrieben.

»So, und da hattest du gleich die Inspiration mit der Widmung?«sage ich.»So vergiltst du mir unsere treue Kundschaft? Mit einem Küchenmesserstich in die Richtung der Geschlechtsteile, du Tellerwäscher?«

»Eure verdammte Kundschaft kann mir -«

»Hast du ihr die Sonette nicht auch schon geschickt, du impotenter Pfau?«unterbreche ich ihn.»Laß nur, du brauchst es nicht abzuleugnen! Ich werde sie schon ohnehin sehen, du Bettenmacher für fremde Schmutzfinken!«

»Was? Wie?«

»Deine Sonette, du Muttermörder! Habe ich dir nicht beigebracht, wie man überhaupt welche schreibt? Ein schöner Dank! Hättest du noch wenigstens den Anstand besessen, ihr Ritornelle oder Oden zu schicken! Aber nein, meine eigenen Waffen – na, Gerda wird mir das Zeug ja zeigen, damit ich es ihr übersetze!«

»Das wäre doch -«stottert Eduard, zum ersten Male aus der Fassung gebracht.

»Es wäre gar nichts«, erwidere ich.»Frauen tun so etwas. Ich weiß das. Aber da ich dich als Restaurateur schätze, will ich dir noch etwas anderes verraten: Gerda hat einen herkulischen Bruder, der über die Familienehre wacht. Er hat bereits zwei ihrer Verehrer zu Krüppeln geschlagen. Er bricht besonders gern Plattfüße. Und die hast du ja.«

»Quatsch«, sagt Eduard, aber ich sehe, daß er trotzdem scharf nachdenkt. Eine Behauptung kann noch so unwahrscheinlich sein, wenn man nur fest darauf besteht, bleibt immer etwas hängen – das habe ich von Watzeks politischem Vorbild gelernt.

Der Dichter Hans Hungermann tritt zu uns an das Sofa. Er ist der Verfasser des ungedruckten Romans»Wotans Ende«und der Dramen»Saul«,»Baldur«und»Mohammed«. Was macht die Kunst, Gesellen?«fragt er.»Habt ihr den Mist gelesen, den Otto Bambuss gestern im Tecklenburger Kreisblatt zum besten gegeben hat? Buttermilch und Spucke! Daß Bauer diesen Schleimscheißer druckt!«

Otto Bambus ist der erfolgreichste Poet der Stadt. Wir sind alle auf ihn neidisch. Er verfaßt stimmungsvolle Verse über stimmungsvolle Winkel, umliegende Dörfer, Straßenecken am Abend und seine wehmütige Seele. Er hat zwei dünne broschierte Gedichtbände bei Arthur Bauer herausgebracht – einen sogar in zweiter Auflage. Hungermann, der markige Runendichter, haßt ihn, versucht aber, seine Beziehungen auszunützen. Matthias Grund verachtet ihn. Ich dagegen bin Ottos Vertrauter. Er möchte gern einmal in ein Bordell gehen, wagt es aber nicht. Er erwartet davon einen mächtigen bluthaften Aufschwung seiner etwas bleichsüchtigen Lyrik. Als er mich sieht, kommt er gleich auf mich los.»Ich habe gehört, du kennst eine Dame vom Zirkus! Zirkus, das wäre was! Da könnte man farbig sein! Kennst du wirklich eine?«

»Nein, Otto. Eduard hat renommiert. Ich kenne nur eine, die vor drei Jahren Billetts im Zirkus verkauft hat.«

»Billetts – immerhin, sie war dabei! Sie muß noch etwas davon haben. Den Raubtiergeruch, die Manege. Könntest du mich nicht einmal mit ihr bekannt machen?«

Gerda hat wahrhaftig Chancen in der Literatur! Ich sehe Bambuss an. Er ist hochgeschossen, blaß, hat kein Kinn, kein Gesicht und trägt einen Kneifer.»Sie war im Flohzirkus«, sage ich.

»Schade!«Er tritt enttäuscht zurück.»Ich muß etwas tun«, murmelt er dann.»Ich weiß, daß es das ist, was mir fehlt – das Blut.«

»Otto«, erwidere ich.»Kann es nicht jemand sein, der nicht vom Zirkus ist? Irgendein netter Betthase?«