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Er schüttelt seinen schmalen Kopf.»Das ist nicht so einfach, Ludwig. Über Liebe weiß ich alles. Seelische Liebe, meine ich. Da brauche ich nichts mehr, das habe ich. Was ich brauche, ist Leidenschaft, brutale, wilde Leidenschaft. Purpurnes, rasendes Vergessen. Delirium!«

Er knirscht beinahe mit seinen kleinen Zähnen. Er ist Lehrer in einem winzigen Dorf in der Nähe der Stadt, und da findet er das natürlich nicht. Jeder will dort heiraten oder meint, Otto solle heiraten, ein braves Mädchen, das gut kocht, mit einer schönen Aussteuer. Das will Otto aber nicht. Er findet, als Dichter müsse er sich ausleben.»Das Schwierige ist, daß ich die beiden nicht zusammenkriegen kann«, erklärt er düster.»Die himmlische und die irdische Liebe. Liebe ist für mich sofort sanft, voll Hingabe, Opfer und Güte. Der Geschlechtstrieb wird dabei auch sanft und häuslich. Jeden Sonnabendabend, du verstehst, damit man sonntags ausschlafen kann. Ich brauche aber etwas, das nur Geschlechtstrieb ist, ohne alles andere, etwas, in das man sich verbeißen kann. Schade, ich hörte, du hättest eine Trapezkünstlerin.«

Ich betrachte Bambuss mit neuem Interesse. Himmlische und irdische Liebe – er also auch! Die Krankheit scheint verbreiteter zu sein, als ich dachte. Otto trinkt ein Glas Waldmeisterlimonade und sieht mich mit seinen blassen Augen an. Wahrscheinlich hat er erwartet, daß ich auf Gerda sofort verzichten würde, um seiner Kunst Geschlechtsteile wachsen zu lassen.»Wann gehen wir einmal ins Freudenhaus?«fragt er wehmütig.»Du hast mir das doch versprochen.«

»Bald. Aber es ist kein purpurner Pfuhl der Sünde, Otto.«

»Ich habe nur noch zwei Wochen Ferien. Dann muß ich wieder auf mein Dorf zurück, und alles ist aus.«

»Wir machen es vorher. Hungermann möchte auch hin. Er braucht es für sein neues Drama „Casanova“. Wie wäre es mit einem gemeinsamen Ausflug?«

»Um Gottes willen! Ich darf nicht gesehen werden! Bei meinem Beruf!«

»Gerade deshalb! Ein Ausflug ist harmlos. Der Puff hat eine Art Kneipe in den unteren Räumen. Da verkehrt, wer will.«

»Natürlich gehen wir«, sagt Hungermann hinter mir.»Alle zusammen. Wir machen eine Studienexpedition. Rein wissenschaftlich. Eduard will auch mit.«

Ich drehe mich nach Eduard um, um den überlegenen Sonettkoch mit sarkastischer Soße zu übergießen – aber das ist schon nicht mehr notwendig. Eduard sieht plötzlich aus, als hätte er eine Schlange vor sich. Ein schlanker Mensch hat ihm soeben auf die Schulter geklopft.»Eduard, alter Kamerad!«sagt er jetzt freundschaftlich.»Wie geht es dir? Freust dich, daß du noch lebst, was?«

Eduard starrt den schlanken Mann an.»Heutzutage?«würgt er heraus.

Er ist erblaßt. Seine feisten Backen hängen plötzlich herunter, seine Schultern hängen, seine Lippen, seine Locken, ja selbst sein Bauch hängt. Er ist im Handumdrehen eine fette Trauerweide geworden.

Der Mann, der das alles verursacht hat, heißt Valentin Busch. Er ist neben Georg und mir die dritte Pest in Eduards Dasein, und nicht nur das – er ist Pest, Cholera und Paratyphus zusammen.»Du siehst blühend aus, mein Junge«, erklärt Valentin Busch herzlich.

Eduard lacht hohl.»Aussehen macht es nicht. Man wird aufgefressen von Steuern, Zinsen und Dieben -«

Er lügt. Steuern und Zinsen bedeuten im Zeitalter der Inflation überhaupt nichts; man zahlt sie nach einem Jahr, das heißt, so gut wie überhaupt nicht. Sie sind dann längst entwertet. Und der einzige Dieb, den Eduard kennt, ist er selbst.

»An dir ist wenigstens was dran zu fressen«, erwidert Valentin lächelnd und erbarmungslos.»Das dachten die Würmer in Flandern auch, als sie schon auszogen, dich zu holen.«

Eduard windet sich.»Was soll es sein, Valentin?«fragt er.»Ein Bier? Bier ist das beste gegen die Hitze.«

»Mir ist es nicht zu heiß. Aber das Beste ist gerade gut genug, um zu feiern, daß du noch lebst, da hast du recht. Gib mir eine Flasche Johannisberger Langenberg, Wachstum Mumm, Eduard.«

»Der ist ausverkauft.«

»Er ist nicht ausverkauft. Ich habe mich bei deinem Kellermeister erkundigt. Du hast noch über hundert Flaschen davon. Welch ein Glück, daß es meine Lieblingsmarke ist!«

Ich lache.»Was lachst du?«schreit Eduard wütend.»Gerade du hast keinen Grund dazu. Blutegel! Blutegel seid ihr alle! Blutet mich weiß! Du, dein Bonvivant von Grabsteinhändler und du, Valentin! Blutet mich weiß! Ein Kleeblatt von Schmarotzern!«

Valentin blinzelt mir zu und bleibt ernst.»So, das ist also der Dank, Eduard! Und so hältst du dein Wort! Hätte ich das gewußt, damals -«

Er krempelt seinen Ärmel hoch und betrachtet eine lange, zackige Narbe. Er hat Eduard 1917 im Kriege das Leben gerettet. Eduard, der Küchenunteroffizier gewesen war, war damals plötzlich abgelöst und an die Front geschickt worden. Schon in den ersten Tagen erwischte der Elefant auf einer Patrouille im Niemandsland einen Schuß durch die Wade und gleich darauf einen zweiten, bei dem er viel Blut verlor. Valentin fand ihn, band ihn ab und schleppte ihn in den Graben zurück. Dabei erhielt er selbst einen Splitter in den Arm. Aber er rettete Eduards Leben, der sonst sicher verblutet wäre. Eduard, in überströmender Dankbarkeit, bot Valentin damals an, er könne sein Leben lang im»Walhalla«essen und trinken, was er wolle. Valentin schlug mit der linken, unverwundeten Hand ein. Georg Kroll und ich waren Zeugen.

Das alles sah 1917 noch harmlos aus. Werdenbrück war weit, der Krieg nah, und wer wußte schon, ob Valentin und Eduard jemals wieder zum»Walhalla«zurückkommen würden? Sie kamen; Valentin, nachdem er noch zweimal verwundet worden war, Eduard fett und rund, als wiedereingesetzter Küchenbulle. Im Anfang war Eduard tatsächlich dankbar und spendierte, wenn Valentin zu Besuch kam, ab und zu sogar deutschen Sekt, der nicht mehr schäumte. Doch die Jahre begannen zu zehren. Valentin etablierte sich nämlich in Werdenbrück. Er hatte vorher in einer anderen Stadt gelebt; jetzt zog er in eine kleine Bude nahe beim»Walhalla«und erschien pünktlich zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abendbrot bei Eduard, der bald sein leichtfertiges Versprechen bitter bereute. Valentin war ein guter Esser, besonders deshalb, weil er ja keine Sorgen mehr hatte. Eduard hätte sich vielleicht noch halbwegs über das Futter hinweggetröstet; doch Valentin trank auch, und allmählich entwickelte er Kennerschaft und feinen Geschmack für Wein. Vorher hatte er Bier getrunken; jetzt trank er nur noch Kellerabzüge und brachte Eduard dadurch natürlich ganz anders zur Verzweiflung als wir mit unseren armseligen Eßmarken.

»Also schön«, sagt Eduard trostlos, als Valentin ihm seine Narbe entgegenhält.»Aber Essen und Trinken heißt Trinken zum Essen, nicht zwischendurch. Trinken zwischendurch habe ich nicht versprochen.«

»Sieh dir diesen erbärmlichen Krämer an«, erwidert Valentin und stößt mich an.»1917 hat er nicht so gedacht. Da hieß es: Valentin, liebster Valentin, rette mich, ich gebe dir auch alles, was ich habe!«

»Das ist nicht wahr! Das habe ich nie gesagt!«schreit Eduard im Falsett.

»Woher weißt du das? Du warst doch halb verrückt vor Angst und halb verblutet, als ich dich zurückschleppte.«

»Ich hätte es nicht sagen können! Das nicht! Selbst wenn es mein sofortiger Tod gewesen wäre. Es liegt nicht in meinem Charakter.«

»Das stimmt«, sage ich.»Der Geizknochen wäre lieber verreckt.«

»Das meine ich«, erklärt Eduard, aufatmend, Hilfe gefunden zu haben. Er wischt sich die Stirn. Seine Locken sind naß, so hat ihn die letzte Drohung Valentins erschreckt. Er sah schon einen Prozeß um das»Walhalla«vor sich.»Also meinetwegen, für dieses Mal«, sagt er rasch, um nicht weiter bedrängt zu werden.»Kellner, eine halbe Flasche Mosel.«

»Johannisberger Langenberg, eine ganze Flasche«, korrigiert Valentin und wendet sich an mich.»Darf ich dich zu einem Glas einladen?«

»Und ob!«erwidere ich.

»Halt!«sagt Eduard.»Das war bestimmt nicht in der Abmachung! Sie war nur für Valentin allein! Ludwig kostet mich ohnehin schon jeden Tag schweres Geld, der Blutsauger mit den entwerteten Eßmarken!«