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»Sei ruhig, du Giftmischer«, erwidere ich.»Dies ist geradezu eine Karma-Verknüpfung. Du schießt auf mich mit Sonetten, ich bade meine Wunden dafür in deinem Rheinwein. Willst du, daß ich einer gewissen Dame einen Zwölfzeiler in der Art des Aretino über diese Situation zuschicke, du Wucherer an deinem Lebensretter?«

Eduard verschluckt sich.»Ich brauche frische Luft«, murmelt er wütend.»Erpresser! Zuhälter! Schämt ihr euch eigentlich nie?«

»Wir schämen uns über schwierigere Dinge, du harmloser Millionenzähler.«Valentin und ich stoßen an. Der Wein ist hervorragend.

»Wie ist es mit dem Besuch im Haus der Sünde?«fragt Otto Bambuss, scheu vorübergleitend.

»Wir gehen bestimmt, Otto. Wir sind es der Kunst schuldig.«

»Warum trinkt man eigentlich am liebsten bei Regen?«fragt Valentin und schenkt neu ein.»Es müßte doch umgekehrt sein.«

»Möchtest du für alles immer eine Erklärung haben?«

»Natürlich nicht. Wo bliebe sonst die Unterhaltung? Mir ist das nur aufgefallen.«

»Vielleicht ist es der Herdentrieb, Valentin. Flüssigkeit zu Flüssigkeit.«

»Mag sein. Aber ich pisse auch öfter an Tagen, wenn es regnet. Das ist doch zumindest sonderbar.«

»Du pißt mehr, weil du mehr trinkst. Was ist daran sonderbar?«

»Stimmt.«Valentin nickt erleichtert.»Daran habe ich nicht gedacht. Führt man auch mehr Kriege, weil mehr Menschen geboren werden?«

XII

Bodendiek streicht wie eine große schwarze Krähe durch den Nebel.»Nun«, fragt er jovial.»Verbessern Sie noch immer die Welt?«

»Ich betrachte sie«, erwidere ich.

»Aha! Der Philosoph! Und was finden Sie?«

Ich schaue in sein munteres Gesicht, das rot und naß vom Regen unter dem Schlapphut leuchtet.»Ich finde, daß das Christentum die Welt in zweitausend Jahren nicht wesentlich weitergebracht hat«, erwidere ich.

Einen Augenblick verändert sich die wohlwollend überlegene Miene; dann ist sie wieder wie vorher.»Meinen Sie nicht, daß Sie ein bißchen jung für solche Urteile sind?«

»Ja – aber finden Sie nicht, daß es ein trostloses Argument ist, jemand seine Jugend vorzuwerfen? Haben Sie nichts anderes?«

»Ich habe eine ganze Menge anderes. Aber nicht gegen solche Albernheiten. Wissen Sie nicht, daß jede Verallgemeinerung ein Zeichen von Oberflächlichkeit ist?«

»Ja«, sage ich müde.»Ich habe das auch nur gesagt, weil es regnet. Im übrigen ist etwas daran. Ich studiere seit einigen Wochen Geschichte, wenn ich nicht schlafen kann.«

»Warum? Auch weil es ab und zu regnet?«

Ich ignoriere den harmlosen Schuß.»Weil ich mich vor vorzeitigen Zynismus und lokaler Verzweiflung bewahren möchte. Es ist nicht jedermanns Sache, mit einfachem Glauben an die heilige Dreifaltigkeit darüber hinwegzusehen, daß wir mitten drin sind, einen neuen Krieg vorzubereiten – nachdem wir gerade einen verloren haben, den Sie und Ihre Herren Kollegen von den verschiedenen protestantischen Bekenntnissen im Namen Gottes und der Liebe zum Nächsten gesegnet und geweiht haben – ich will zugeben, Sie etwas gedämpfter und verlegener – Ihre Kollegen dafür um so munterer, in Uniform, mit den Kreuzen rasselnd und siegschnaubend.«

Bodendiek schüttelt den Regen von seinem schwarzen Hut.»Wir haben den Sterbenden im Felde den letzten Trost gespendet – das scheinen Sie völlig vergessen zu haben.«

»Sie hätten es nicht dazu kommen lassen sollen! Warum haben Sie nicht gestreikt? Warum haben Sie Ihren Gläubigen den Krieg nicht verboten? Das wäre Ihre Aufgabe gewesen. Aber die Zeiten der Märtyrer sind vorbei. Dafür habe ich oft genug, wenn ich zum Feldgottesdienst mußte, die Gebete um die Siege unserer Waffen gehört. Glauben Sie, daß Christus für den Sieg der Galiläer gegen die Philister gebetet hätte?«

»Der Regen«, erwidert Bodendiek gemessen,»scheint Sie ungewöhnlich emotionell und demagogisch zu machen. Sie wissen anscheinend schon recht gut, daß man auf geschickte Weise, mit Auslassungen, Umdrehungen und einseitiger Darstellung, alles in der Welt angreifen und angreifbar machen kann.«

»Das weiß ich. Deshalb studiere ich ja Geschichte. Man hat uns in der Schule und im Religionsunterricht immer von den dunklen, primitiven, grausamen vorchristlichen Zeiten erzählt. Ich lese das nach und finde, daß wir nicht viel besser sind – abgesehen von den Erfolgen in Technik und Wissenschaft. Die aber benutzen wir zum größten Teil nur, um mehr Menschen töten zu können.«

»Wenn man etwas beweisen will, kann man alles beweisen, lieber Freund. Das Gegenteil auch. Für jede vorgefaßte Meinung lassen sich Beweise erbringen.«

»Das weiß ich auch«, sage ich.»Die Kirche hat das auf das brillanteste vorgemacht, als sie die Gnostiker erledigte.«

»Die Gnostiker! Was wissen denn Sie von denen?«fragt Bodendiek mit beleidigendem Erstaunen.

»Genug, um den Verdacht zu haben, daß sie der tolerantere Teil des Christentums waren. Und alles, was ich bis jetzt in meinem Leben gelernt habe, ist, Toleranz zu schätzen.«

»Toleranz -«sagt Bodendiek.

»Toleranz!«wiederhole ich.»Rücksicht auf den anderen. Verständnis für den anderen. Jeden auf seine Weise leben lassen. Toleranz, die in unserm geliebten Vaterlande ein Fremdwort ist.«

»Mit einem Wort, Anarchie«, erwidert Bodendiek leise und plötzlich sehr scharf.

Wir stehen vor der Kapelle. Die Lichter sind angezündet, und die bunten Fenster schimmern tröstlich in den wehenden Regen. Aus der offenen Tür kommt der schwache Geruch von Weihrauch.»Toleranz, Herr Vikar«, sage ich.»Nicht Anarchie, und Sie wissen den Unterschied. Aber Sie dürfen ihn nicht zugeben, weil Ihre Kirche ihn nicht hat. Sie sind alleinseligmachend! Niemand besitzt den Himmel, nur Sie! Keiner kann lossprechen, nur Sie! Sie haben das Monopol. Es gibt keine Religion außer der Ihren! Sie sind eine Diktatur! Wie können Sie da tolerant sein?«

»Wir brauchen es nicht zu sein. Wir haben die Wahrheit.«

»Natürlich«, sage ich und zeige auf die erleuchteten Fenster.»Das dort! Trost für Lebensangst. Denke nicht mehr; ich weiß alles für dich! Die Versprechung des Himmels und die Drohung mit der Hölle – spielen auf den einfachsten Emotionen – was hat das mit der Wahrheit zu tun, dieser Fata Morgana unseres Gehirns?«

»Schöne Worte«, erklärt Bodendiek, längst wieder friedlich, überlegen und leicht spöttisch.

»Ja, das ist alles, was wir haben – schöne Worte«, sage ich, ärgerlich über mich selbst.»Und Sie haben auch nichts anderes – schöne Worte.«

Bodendiek tritt in die Kapelle.»Wir haben die heiligen Sakramente -«

»Ja -«

»Und den Glauben, der nur Schwachköpfen, denen ihr bißchen Schädel Verdauungsbeschwerden macht, als Dummheit und Weltflucht erscheint, Sie harmloser Regenwurm im Acker der Trivialität.«

»Bravo!«sage ich.»Endlich werden auch Sie poetisch. Allerdings stark spätbarock.«

Bodendiek lacht plötzlich.»Mein lieber Bodmer«, erklärt er.»In den fast zweitausend Jahren des Bestehens der Kirche ist schon aus manchem Saulus ein Paulus geworden. Und wir haben in dieser Zeit größere Zwerge gesehen und überstanden als Sie. Krabbeln Sie nur munter weiter. Am Ende jedes Weges steht Gott und wartet auf Sie.«

Er verschwindet mit seinem Regenschirm in der Sakristei, ein wohlgenährter Mann im schwarzen Gehrock. In einer halben Stunde wird er, phantastischer gekleidet als ein Husarengeneral, wieder heraustreten und ein Vertreter Gottes sein. Es sind die Uniformen, sagte Valentin Busch nach der zweiten Flasche Johannisberger, während Eduard Knobloch in Melancholie und Mordgedanken versank, nur die Uniformen. Nimm ihnen die Kostüme weg, und es gibt keinen Menschen mehr, der Soldat sein will.

Ich gehe nach der Andacht mit Isabelle in der Allee spazieren. Es regnet hier unregelmäßiger – als hockten Schatten in den Bäumen, die sich mit Wasser besprengen. Isabelle trägt einen hochgeschlossenen dunklen Regenmantel und eine kleine Kappe, die das Haar verdeckt. Nichts ist von ihr zu sehen als das Gesicht, das durch das Dunkel schimmert wie ein schmaler Mond. Das Wetter ist kalt und windig, und niemand außer uns ist mehr im Garten. Ich habe Bodendiek und den schwarzen Ärger, der manchmal grundlos wie eine schmutzige Fontäne aus mir hervorschießt, längst vergessen. Isabelle geht dicht neben mir, ich höre ihre Schritte durch den Regen und spüre ihre Bewegungen und ihre Wärme, und es scheint die einzige Wärme zu sein, die in der Welt übriggeblieben ist.