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Ottos Hände schwitzen. Er erwartet Priesterinnen der Lust, Bacchantinnen und dämonische Raubtiere, und ist nicht ganz sicher, ob er nicht mit herausgerissener Leber oder zumindest ohne Hoden in Eduards Opel zurücktransportiert wird. Ich tröste ihn.

»Verletzungen kommen höchstens ein-, zweimal in der Woche vor, Otto! Und dann sind sie fast immer viel harmlosere Vorgestern wurde einem Gast von Fritzi ein Ohr abgerissen; aber soviel ich weiß, kann man Ohren wieder annähen oder durch Zelluloidohren von täuschender Ähnlichkeit ersetzen.«

»Ein Ohr?«Otto bleibt stehen.

»Es gibt natürlich Damen, die keine abreißen«, erwidere ich.»Aber die willst du ja nicht kennenlernen. Du willst doch das Urweib in seiner ganzen Pracht haben.«

»Ein Ohr ist ein ziemlich großes Opfer«, erklärt Otto, die schwitzende Bohnenstange, und reibt die Gläser seines Kneifers trocken.

»Die Poesie verlangt Opfer. Du würdest mit einem abgerissenen Ohr im wahrsten Sinne ein blutdurchströmter Lyriker sein. Komm!«

»Ja, aber ein Ohr! Etwas, was man so deutlich sieht!«

»Wenn ich die Wahl hätte«, sagt Hans Hungermann,»ich würde mir lieber ein Ohr abreißen lassen als kastriert zu werden, offen gestanden.«

»Was?«Otto bleibt wieder stehen.»Ihr macht Witze! Das kommt doch nicht vor!«

»Es kommt vor«, erklärt Hungermann.»Leidenschaft ist zu allem fähig. Aber beruhige dich, Otto: Kastration steht unter dem Strafgesetz. Die Frau bekommt dafür mindestens ein paar Monate Gefängnis – du wirst also gerächt.«

»Unsinn!«stammelt Bambuss, mühsam lächelnd.»Ihr macht eure blöden Witze mit mir!«

»Wozu sollen wir Witze machen?«sage ich.»Das wäre gemein. Ich empfehle dir gerade deswegen Fritzi. Sie ist Ohrenfetischistin. Wenn die Passion über sie kommt, hält sie sich mit beiden Händen krampfhaft an den Ohren ihres Partners fest. Du bist so absolut sicher, daß du nicht anderswo beschädigt wirst. Eine dritte Hand hat sie nicht.«

»Aber noch zwei Füße«, erklärt Hungermann.»Mit den Füßen verrichten sie manchmal wahre Wunder. Sie lassen die Nägel lang wachsen und schärfen sie.«

»Ihr schwindelt«, sagt Otto gequält.»Laßt doch den Unsinn!«

»Hör zu«, erwidere ich.»Ich will nicht, daß du verstümmelt wirst. Du würdest dann emotionell gewinnen, aber seelisch stark verlieren, und deine Lyrik würde schlecht dabei fahren. Ich habe hier eine Taschen-Nagelfeile, klein, handlich, gemacht für den adretten Lebemann, der immer elegant sein muß. Steck sie ein. Halte sie in der hohlen Hand verborgen oder verstecke sie in der Matratze, bevor es losgeht. Wenn du merkst, daß es zu gefährlich wird, genügt ein kleiner, ungefährlicher Stich in den Hintern Fritzis. Es braucht kein Blut dabei zu fließen. Jeder Mensch läßt los, wenn er gestochen wird, sogar von einer Mücke, und greift nach dem Orte des Stichs, das ist ein Grundgesetz der Welt. In der Zwischenzeit entkommst du.«

Ich nehme ein rotledernes Taschenetui hervor, in dem ein Kamm und eine Nagelfeile stecken. Es ist noch ein Geschenk Ernas, der Verräterin. Der Kamm ist aus simuliertem Schildpatt. Eine Welle später Wut steigt in mir auf, als ich ihn herausnehme.»Gib mir auch den Kamm«, sagt Otto.

»Damit kannst du nicht nach ihr hacken, du unschuldiger Satyr«, erklärt Hungermann.»Das ist keine Waffe im Kampf der Geschlechter. Er zerbricht an geballtem Mänadenfleisch.«

»Ich will damit nicht hacken. Ich will mich nachher damit kämmen.«

Hungermann und ich sehen uns an. Bambuss scheint uns nicht mehr zu glauben.»Hast du ein paar Verbandspäckchen bei dir?«fragt Hungermann mich.

»Die brauchen wir nicht. Die Puffmutter hat eine ganze Apotheke.«

Bambuss bleibt wieder stehen.»Das ist doch alles Unsinn! Aber wie ist es mit den Geschlechtskrankheiten?«

»Es ist heute Sonnabend. Alle Damen sind heute nachmittag untersucht worden. Keine Gefahr, Otto.«

»Ihr wißt alles, was?«

»Wir wissen das, was zum Leben nötig ist«, erwidert Hungermann.»Das ist gewöhnlich etwas ganz anderes, als man in Schulen und Erziehungsinstituten lehrt. Deshalb bist du so ein Unikum, Otto.«

»Ich bin zu fromm erzogen worden«, seufzt Bambuss.»Ich bin mit der Angst vor der Hölle und der Syphilis groß geworden. Wie kann man da bodenständige Lyrik entwickeln?«

»Du könntest heiraten.«

»Das ist mein dritter Komplex. Angst vor der Ehe. Meine Mutter hat meinen Vater kaputtgemacht. Durch nichts als Weinen. Ist das nicht merkwürdig?«

»Nein«, sagen Hungermann und ich unisono und schütteln uns darauf die Hand. Es bedeutet sieben weitere Jahre Leben. Schlecht oder gut, Leben ist Leben – das merkt man erst, wenn man gezwungen wird, es zu riskieren.

Bevor wir in das traulich wirkende Haus mit seinen Pappeln, der roten Laterne und den blühenden Geranien am Fenster eintreten, stärken wir uns durch ein paar Schlucke Schnaps. Wir haben eine Flasche mitgebracht und lassen sie reihum gehen. Sogar Eduard, der mit seinem Opel vorgefahren ist und auf uns gewartet hat, trinkt mit; es ist selten, daß er etwas umsonst bekommt, und so genießt er es. Der gleiche Schluck, den wir jetzt zu etwa zehntausend Mark Selbstkosten das Glas trinken, wird in einer Sekunde im Puff vierzigtausend kosten – deshalb haben wir die Flasche bei uns. Bis zur Türschwelle leben wir sparsam – danach sind wir in den Händen der Madame.

Otto ist anfangs stark enttäuscht. Er hat statt der Gaststube eine orientalische Szenerie erwartet, mit Leopardenfellen, Moschee-Ampeln und schwerem Parfüm; statt dessen sind die Damen zwar leicht bekleidet, nähern sich aber mehr dem Dienstmädchentyp. Er fragt mich leise, ob es keine Negerinnen oder Kreolinnen gäbe. Ich zeige auf ein dürres, schwarzhaariges Ding.»Die dort hat Kreolenblut. Sie kommt frisch aus dem Zuchthaus. Hat ihren Mann ermordet.«

Otto bezweifelt es. Er wird erst munter, als das Eiserne Pferd eintritt. Es ist eine imposante Erscheinung, mit hohen Schnürstiefeln, schwarzer Wäsche, einer Art Löwenbändigeruniform, einer grauen Astrachan-Fellkappe und einem Mund voller Goldzähne. Generationen junger Lyriker und Redakteure haben auf ihr das Examen des Lebens gemacht, und sie ist auch für Otto durch Vorstandsbeschluß bestimmt worden. Sie oder Fritzi. Wir haben darauf bestanden, daß sie in großer Aufmachung käme – und sie hat uns nicht im Stich gelassen. Sie stutzt, als wir sie mit Otto bekanntmachen. Sie hat wohl geglaubt, etwas Frischeres, Jüngeres vorgeworfen zu bekommen. Bambuss sieht papieren aus, blaß, dünn, mit Pickeln, einem dürftigen Schnurrbärtchen, und er ist bereits sechsundzwanzig Jahre alt. Außerdem schwitzt er im Augenblick wie ein Rettich im Salz. Das Eiserne Pferd reißt seinen goldenen Rachen zu einem gutmütigen Grinsen auf und pufft den erschauernden Bambuss in die Seite.»Komm, schmeiß einen Kognak«, sagt es friedlich.

»Was kostet ein Kognak?«fragt Otto das Serviermädchen.

»Sechzigtausend.«

»Was?«fragt Hungermann alarmiert.»Vierzigtausend, keinen Pfennig mehr!«

»Pfennig«, sagt die Puffmutter.»Das Wort habe ich lange nicht mehr gehört.«

»Vierzigtausend war gestern, Schatz«, erklärt das Eiserne Pferd.

»Vierzigtausend war heute morgen. Ich war heute morgen hier im Auftrage des Komitees.«

»Von was für einem Komitee?«

»Vom Komitee für die Erneuerung der Lyrik durch direkte Erfahrung.«

»Schatz«, sagt das Eiserne Pferd.»Das war vor dem Dollarkurs.«

»Es war nach dem Elf-Uhr-Dollarkurs.«

»Es war vor dem Nachmittagskurs«, erklärt die Puffmutter.»Seid nicht solche Geizhälse!«

»Sechzigtausend ist bereits nach dem Dollarkurs für übermorgen berechnet«, sage ich.

»Nach dem für morgen. Jede Stunde bist du etwas näher dran. Beruhige dich! Der Dollarkurs ist wie der Tod. Du kannst ihm nicht entgehen. Heißt du nicht Ludwig?«

»Rolf«, erwidere ich fest.»Ludwig ist nicht aus dem Kriege zurückgekommen.«