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Hungermann wird plötzlich von einer bösen Ahnung ergriffen.»Und die Taxe?«fragt er.»Wie ist die? Zwei Millionen war abgemacht. Mit Ausziehen und einem halbstündigen Gespräch nachher. Das Gespräch ist wichtig für unseren Kandidaten.«

»Drei«, erwidert das Eiserne Pferd phlegmatisch.»Und das ist billig.«

»Kameraden, wir sind verraten!«schmettert Hungermann.

»Weißt du, was hohe Stiefel bis fast zum Hintern heute kosten?«fragt das Eiserne Pferd.

»Zwei Millionen und keinen Centime mehr. Wenn selbst hier Abmachungen nicht mehr gelten, was soll dann aus der Welt werden?«

»Abmachungen! Was sind Abmachungen, wenn der Kurs schwankt wie besoffen?«

Matthias Grund, der als Dichter des Buches vom Tode naturgemäß bis jetzt geschwiegen hat, erhebt sich.»Dies ist das erste Puff, das nationalsozialistisch verseucht ist«, erklärt er wütend.»Verträge sind Fetzen Papier, was?«

»Verträge und Geld«, erwidert das Eiserne Pferd unerschütterlich.»Aber hohe Stiefel sind hohe Stiefel, und schwarze Reizwäsche ist schwarze Reizwäsche. Nämlich blödsinnig teuer. Warum nehmt ihr keine mittlere Klasse für euren Konfirmanden? So wie bei Beerdigungen – da gibt’s auch mit und ohne Federbusch. Zweite Klasse genügt für den da!«

Dagegen ist nichts zu sagen. Die Diskussion hat einen toten Punkt erreicht. Plötzlich entdeckt Hungermann, daß Bambuss heimlich nicht nur seinen eigenen, sondern auch den Kognak des Eisernen Pferdes ausgetrunken hat.

»Wir sind verloren«, sagt er.»Wir müssen bezahlen, was diese Wallstreethyänen hier von uns verlangen. Das hättest du uns nicht antun sollen, Otto! Jetzt müssen wir deine Einführung ins Leben einfacher gestalten. Ohne Federbusch und nur mit einem gußeisernen Pferd.«

Zum Glück kommt Willy in diesem Moment herein. Er ist an Ottos Verwandlung zum Manne aus reiner Neugierde interessiert und zahlt, ohne mit der Wimper zu zucken, die Differenz. Dann bestellt er Schnaps für alle und erklärt, daß er heute fünfundzwanzig Millionen an seinen Aktien verdient habe. Einen Teil davon will er versaufen.»Fort mit dir nun, Knabe«, sagt er zu Otto.

»Und komm als Mann wieder!«Otto verschwindet.

Ich setze mich zu Fritzi. Die alten Dinge sind längst vergessen; sie betrachtet uns nicht mehr als halbe Kinder, seit ihr Sohn im Kriege gefallen ist. Er war Unteroffizier und erhielt seinen Schuß drei Tage vor dem Waffenstillstand. Wir unterhalten uns über die Zeiten vor dem Kriege. Sie erzählt mir, daß ihr Sohn in Leipzig Musik studiert habe. Er wollte Oboebläser werden. Neben uns döst die gewaltige Puffmutter, eine Dogge auf den Knien. Plötzlich ertönt von oben ein Schrei. Getöse folgt, und dann erscheint Otto in Unterhosen, verfolgt von dem wütenden Eisernen Pferd, das mit einer blechernen Waschschale auf ihn einschlägt. Otto hat einen schönen Stil im Laufen, er rast durch die Tür nach draußen, und wir halten zu dritt das Eiserne Pferd an.»Diese verdammte halbe Portion!«keucht es.»Sticht mit einem Messer auf mich los!«

»Es war kein Messer«, sage ich ahnungsvoll.

»Was?«Das Eiserne Pferd dreht sich um und deutet auf einen roten Fleck über der schwarzen Wäsche.

»Es blutet ja nicht. Es war nur eine Nagelfeile.«

»Eine Nagelfeile?«Das Pferd starrt mich an.»Das habe ich noch nicht gekannt! Und dieser Jammerprinz sticht mich, statt ich ihn! Habe ich meine hohen Stiefel umsonst? Habe ich meine Peitschensammlung für nichts? Ich will anständig sein und ihm als Zugabe eine leichte Probe von Sadismus geben, ziehe ihm nur so spielerisch einen kleinen Schlag über seine mageren Keulen, und die heimtückische Brillenschlange geht mit einer Taschenfeile auf mich los! Ein Sadist! Brauche ich Sadisten? Ich, der Traum der Masochisten? So eine Beleidigung!«

Wir beruhigen sie mit einem Doppelkümmel. Dann halten wir Ausschau nach Bambuss. Er steht hinter einem Fliederbusch und befühlt seinen Kopf.

»Komm, Otto, die Gefahr ist vorüber«, ruft Hungermann.

Bambuss weigert sich. Er verlangt, daß wir ihm seine Kleider rauswerfen.»Das gibt es nicht«, erklärt Hungermann.»Drei Millionen sind drei Millionen! Wir haben für dich bezahlt.«

»Verlangt das Geld zurück! Ich lasse mich nicht verhauen.«

»Geld verlangt ein Kavalier nie von einer Dame zurück. Und wir werden aus dir einen Kavalier machen, selbst wenn wir dir den Schädel einschlagen müssen. Der Peitschenhieb war eine Freundlichkeit. Das Eiserne Pferd ist eine Sadistin.«

»Was?«

»Eine strenge Masseuse. Wir haben nur vergessen, es dir zu sagen. Aber du solltest froh sein, so etwas zu erleben. Es ist selten in Kleinstädten!«

»Ich bin nicht froh. Werft mir meine Sachen rüber.«

Es gelingt uns, ihn wieder hereinzubekommen, nachdem er sich hinter dem Fliederbusch angezogen hatte. Wir geben ihm etwas zu trinken, aber er ist nicht zu bewegen, den Tisch zu verlassen. Er behauptet, die Stimmung sei weg. Hungermann macht schließlich einen Vertrag mit dem Eisernen Pferd und der Madame. Bambuss soll das Recht haben, innerhalb einer Woche wiederzukommen, ohne daß eine Nachzahlung verlangt wird.

Wir trinken weiter. Nach einiger Zeit merke ich, daß Otto trotz allem Feuer gefangen zu haben scheint. Er schielt jetzt ab und zu nach dem Eisernen Pferd hinüber und kümmert sich um keine der anderen Damen. Willy läßt weiteren Kümmel anfahren. Nach einer Weile vermissen wir Eduard. Er taucht eine halbe Stunde später schwitzend wieder auf und beteuert, spazierengegangen zu sein. Der Kümmel tut allmählich seine Wirkung.

Otto Bambuss zieht plötzlich Papier und Bleistift heraus und macht heimlich Notizen. Ich sehe ihm über die Schulter.»Die Tigerin«, lautet die Überschrift.»Willst du nicht noch etwas warten mit den freien Rhythmen und Hymnen?«frage ich.

Er schüttelt den Kopf.»Der frische erste Eindruck ist das Wichtigste.«

»Aber du hast doch nur eins mit der Peitsche über den Hintern gekriegt und dann ein paar mit der Waschschüssel über den Schädel! Was ist da Tigerisches dran?«

»Das überlaß nur mir!«Bambuss gießt einen Kümmel durch seinen zerfransten Schnurrbart.»Jetzt kommt die Macht der Phantasie! Ich blühe bereits von Versen wie ein Rosenbusch. Was heißt Rosenbusch? Wie eine Orchidee im Dschungel!«

»Du glaubst, du hättest schon Erfahrung genug?«

Otto schießt einen Blick voll Lust und Grausen zum Eisernen Pferd hinüber.»Das weiß ich nicht. Für ein kleines kartoniertes Bändchen aber sicher schon.«

»Sprich dich aus! Es sind drei Millionen für dich angelegt. Wenn du sie nicht brauchst, versaufen wir sie lieber.«

»Versaufen wir sie lieber.«

Bambuss schüttet wieder einen Kümmel in sich hinein. Es ist das erstemal, daß wir ihn so sehen. Er hat Alkohol vorher wie die Pest gemieden, vor allem Schnaps. Seine Lyrik gedieh bei Kaffee und Johannisbeerwein.

»Was sagst du zu Otto?«frage ich Hungermann.»Es waren die Schläge auf den Kopf mit der Blechschüssel.«

»Es war gar nichts«, erwidert Otto johlend. Er hat einen weiteren Doppelkümmel hinter sich und kneift das Eisere Pferd, das gerade vorübergeht, in den Hintern. Das Pferd bleibt wie vom Blitz getroffen stehen. Dann dreht es sich langsam um und besichtigt Otto wie ein seltenes Insekt. Wir strecken unsere Arme vor, um den Schlag abzuschwächen, den wir erwarten. Für Damen mit hohen Stiefeln ist ein Kniff dieser Art eine obszöne Beleidigung. Otto steht torkelnd auf, lächelt abwesend aus seinen kurzsichtigen Augen, geht um das Roß herum und knallt ihr unversehens noch einen saftigen Schlag auf die schwarze Reizwäsche.

Es wird still. Jeder erwartet Mord. Aber Otto setzt sich unbekümmert wieder hin, legt den Kopf auf die Arme und schläft augenblicklich ein.»Töte nie einen Schlafenden«, beschwört Hungermann das Roß.»Das elfte Gebot Gottes!«

Das Eiserne Pferd öffnet seinen mächtigen Mund zu einem lautlosen Grinsen. Alle seine Goldplomben schimmern. Dann streicht es über Ottos dünnes, weiches Haar.

»Menschenkinder«, sagt es,»noch einmal so jung und so dämlich sein können!«