Wir brechen auf. Hungermann und Bambuss werden von Eduard zur Stadt zurückgefahren. Die Pappeln rauschen. Die Doggen bellen. Das Eiserne Pferd steht im ersten Stock am Fenster und winkt mit der Kosakenmütze. Hinter dem Puff steht bleich der Mond. Matthias Grund, der Dichter des Buches vom Tode, arbeitet sich plötzlich vor uns aus einem Graben hervor. Er hatte geglaubt, er könne ihn überqueren wie Christus den See Genezareth. Es war ein Irrtum. Willy geht neben mir her.»Was für ein Leben!«sagt er träumerisch.»Und zu denken, daß man tatsächlich sein Geld im Schlafe verdient! Morgen ist der Dollar wieder weiter rauf, und die Aktien klettern wie muntere Affen hinterher!«
»Verdirb uns den Abend nicht. Wo ist dein Auto? Kriegt es auch Junge wie deine Aktien?«
»Renée hat es. Macht sich gut vor der Roten Mühle. Zwischen den Vorstellungen fährt sie Kollegen darin spazieren. Platzen vor Neid.«
»Heiratet ihr?«
»Wir sind verlobt«, erklärt Willy.»Wenn du weißt, was das heißt.«
»Ich kann es mir denken.«
»Komisch!«sagt Willy.»Sie erinnert mich jetzt oft auch stark an unsern Oberleutnant Helle, diesen verdammten Menschenschinder, der uns das Leben so schwer gemacht hat, bevor wir zum Heldentod zugelassen wurden. Genauso, im Dunkeln. Ein schauriger Hochgenuß, Helle am Genick zu haben und ihn zu schänden. Habe nie gewußt, daß mir das Spaß machen würde, das kannst du mir glauben!«
»Ich glaube es dir.«
Wir gehen durch die dunklen, blühenden Gärten. Geruch von unbekannten Blumen weht herüber.»Wie süß das Mondlicht auf den Hügeln schläft«, sagt jemand und hebt sich wie ein Gespenst vom Boden auf.
Es ist Hungermann. Er ist naß wie Matthias Grund.»Was ist los?«frage ich.»Bei uns hat es nicht geregnet.«
»Eduard hat uns ausgesetzt. Wir sangen ihm zu laut. Der respektable Hotelwirt! Als ich Otto dann etwas erfrischen wollte, sind wir beide in den Bach gefallen.«
»Ihr auch? Wo ist Otto? Sucht er nach Matthias Grund?«
»Er fischt.«-»Was?«
»Verdammt!«sagt Hungermann.»Hoffentlich ist er nicht umgefallen. Er kann nicht schwimmen.«
»Unsinn. Der Bach ist doch nur einen Meter tief.«
»Otto könnte auch in einer Pfütze ertrinken. Er liebt seine Heimat.«
Wir finden Bambuss, wie er sich an einer Brücke über den Bach festhält und den Fischen predigt.
»Ist dir schlecht, Franziskus?«fragt Hungermann.
»Jawohl«, erwidert Bambuss und kichert, als wäre das irrsinnig komisch. Dann klappert er mit den Zähnen.
»Kalt«, stammelt er.»Ich bin kein Freiluftmensch.«
Willy zieht eine Flasche Kümmel aus der Tasche.»Wer rettet euch mal wieder? Onkel Willy, der Umsichtige. Rettet euch vor Lungenentzündung und kühlem Tod.«
»Schade, daß wir Eduard nicht dabei haben«, sagt Hungermann.»Sie könnten ihn dann auch retten und mit Herrn Valentin Busch ein Kompaniegeschäft aufmachen. Die Retter Eduards. Das würde ihn töten.«
»Lassen Sie die faulen Witze«, sagt Valentin, der hinter ihm steht.»Kapital sollte Ihnen heilig sein, oder sind Sie Kommunist? Ich teile mit niemandem. Eduard gehört mir.«
Wir trinken alle. Der Kümmel funkelt wie ein gelber Diamant im Mondlicht.»Wolltest du noch irgendwohin?«frage ich Willy.
»Zu Bodo Ledderhoses Gesangverein. Kommt mit. Ihr könnt euch da trocknen.«
»Großartig«, sagt Hungermann.
Es kommt keinem in den Sinn, daß es einfacher wäre, nach Hause zu gehen. Nicht einmal dem Dichter des Todes. Flüssigkeit scheint heute abend eine mächtige Anziehungskraft zu haben.
Wir gehen weiter, den Bach entlang. Der Mond schimmert im Wasser. Man kann ihn trinken – wer hat das noch irgendwann einmal gesagt?
XV
Der späte Sommer hängt schwül über der Stadt, der Dollar ist um weitere zweihunderttausend Mark gestiegen, der Hunger hat sich gemehrt, die Preise haben sich erhöht, und das Ganze ist sehr einfach: Die Preise steigen schneller als die Löhne – also versinkt der Teil des Volkes, der von Löhnen, Gehältern, Einkommen, Renten lebt, mehr und mehr in hoffnungsloser Armut, und der andere erstickt in Ungewissem Reichtum. Die Regierung sieht zu. Sie wird durch die Inflation ihre Schulden los; daß sie gleichzeitig das Volk verliert, sieht niemand.
Das Mausoleum für Frau Niebuhr ist fertig. Es ist scheußlich, eine Steinbude mit farbigem Glas, Bronzeketten und Kieswegen, obschon keine der Bildhauerarbeiten gemacht worden ist, die ich ihr geschildert habe; aber jetzt will sie es plötzlich nicht abnehmen. Sie steht im Hof, einen bunten Sonnenschirm in der Hand, einen Strohhut mit lackierten Kirschen auf dem Kopf und eine Kette von falschen Perlen um den Hals. Neben ihr steht ein Individuum in einem etwas zu engen karierten Anzug, das Gamaschen über den Schuhen trägt. Der Blitz hat eingeschlagen, die Trauer ist vorbei, Frau Niebuhr hat sich verlobt. Niebuhr ist ihr mit einem Schlage gleichgültig geworden. Das Individuum heißt Ralph Lehmann und nennt sich Industrieberater. Für den eleganten Vornamen und den Beruf ist der Anzug ziemlich stark abgetragen. Die Krawatte ist neu; ebenso die orangefarbenen Strümpfe – wahrscheinlich sind es die ersten Geschenke der glücklichen Braut.
Der Kampf wogt hin und her. Frau Niebuhr behauptet anfangs, das Mausoleum überhaupt nicht bestellt zu haben.»Haben Sie etwas Schriftliches?«fragt sie triumphierend.
Wir haben nichts Schriftliches. Georg erklärt milde, das sei nicht nötig in unserem Beruf. Beim Tode sei Treu und Glauben noch gültig. Wir hätten außerdem ein Dutzend Zeugen. Frau Niebuhr habe unsere Steinmetzen, unseren Bildhauer und uns selbst verrückt genug gemacht mit all ihren Ansprüchen. Außerdem habe sie ja eine Anzahlung geleistet.
»Das ist es ja gerade«, erklärt Frau Niebuhr mit schöner Logik.»Die Anzahlung wollen wir zurückhaben.«
»Sie haben das Mausoleum also bestellt?«
»Ich habe es nicht bestellt. Ich habe es nur anbezahlt.«
»Was sagen Sie zu dieser Erklärung, Herr Lehmann?«frage ich.»In Ihrer Eigenschaft als Industrieberater.«
»Das gibt’s«, erwidert Ralph als Kavalier und will uns den Unterschied erklären. Georg unterbricht ihn. Er erklärt, daß über die Vorauszahlung auch nichts Schriftliches vorliege.»Was?«Ralph wendet sich an Frau Niebuhr.»Emilie! Du hast keine Quittung?«
»Ich weiß nicht«, stottert Frau Niebuhr.»Wer kann denn wissen, daß die hier auf einmal behaupten, ich hätte nichts bezahlt! Solche Betrüger!«
»So eine Dämlichkeit!«
Emilie verkleinert sich. Ralph starrt sie wütend an. Er ist plötzlich kein Kavalier mehr. Lieber Gott, denke ich, vorher hatte sie einen Walfisch – jetzt hat sie einen Hai gefangen.
»Niemand behauptet, Sie hätten nichts bezahlt«, sagt Georg.»Wir haben nur gesagt, es liege ebensowenig etwas Schriftliches darüber vor wie über die Bestellung.«
Ralph erholt sich.»Na also.«
»Im übrigen«, erklärt Georg,»sind wir bereit, das Denkmal zurückzunehmen, wenn Sie es nicht haben wollen.«
»Na also«, wiederholt Ralph. Frau Niebuhr nickt eifrig. Ich starre Georg an. Das Mausoleum wird ein zweiter Ladenhüter werden; ein Bruder des Obelisken.
»Und die Anzahlung?«fragt Ralph.
»Die Anzahlung verfällt natürlich«, sage ich.»Das ist immer so.«
»Was?«Ralph zieht die Weste herunter und strafft sich. Ich sehe, daß auch seine Hosen zu kurz und zu eng sind.»Das wäre ja gelacht!«sagt er.»So wird bei uns nicht geschossen.«
»Bei uns auch nicht. Gewöhnlich haben wir Kunden, die abnehmen, was sie bestellen.«
»Wir haben ja gar nichts bestellt«, mischt sich Emilie mit neuem Mut ein. Die Kirschen auf ihrem Hut wippen.»Außerdem war der Preis viel zu hoch.«
»Ruhe, Emilie!«schnauzt Ralph. Sie duckt sich, erschreckt und selig über so viel Männlichkeit.»Es gibt noch Gerichte«, fügt Ralph drohend hinzu.
»Das hoffen wir.«
»Führen Sie Ihre Bäckerei auch nach Ihrer Ehe weiter?«fragt Georg Emilie.
Die ist so erschrocken, daß sie wortlos ihren Verlobten anblickt.
»Klar«, erwidert Ralph.»Neben unseren Industriegeschäften natürlich. Warum?«