Verflucht, denke ich, wo ist der Friede des tropischen Eilands geblieben? Ich komme mir auf einmal vor, als wäre ich nackt und würde von Affen mit stacheligen Kakteen beworfen. Wer hört schon gerne, daß er ein zukünftiger Hahnrei ist?»Das werden wir sehen«, sage ich.
»Meinst du, es sei so einfach, ein Zuhälter zu sein?«
»Das weiß ich nicht. Aber es ist sicher nichts besonders Ehrenhaftes darin.«
Gerda explodiert mit einem kurzen, scharfen Zischen.
»Ehre«, japst sie.»Was noch? Sind wir beim Militär? Wir sprechen von Frauen. Mein armer Kleiner, Ehre ist da sehr langweilig.«
Sie nimmt wieder einen Schluck Bier. Ich sehe zu, wie es durch ihre gewölbte Kehle rinnt. Wenn sie mich noch einmal armer Kleiner nennt, werde ich ihr wortlos meine Flasche über den Kopf gießen, um ihr zu beweisen, daß ich auch wie ein Zuhälter handeln kann – oder wenigstens so, wie ich mir vorstelle, daß er handeln würde.
»Ein schönes Gespräch«, sage ich.»Gerade jetzt.«
Ich scheine versteckte humoristische Eigenschaften zu haben. Gerda lacht wieder.»Ein Gespräch ist wie das andere«, sagt sie.»Wenn man so nebeneinander liegt, ist es doch egal, wovon man spricht. Oder gibt es da auch Gesetze, mein -«
Ich greife nach der Bierflasche und warte auf den armen Kleinen; aber Gerda hat einen sechsten Sinn – sie nimmt einen neuen Schluck und schweigt.
»Wir brauchten vielleicht nicht gerade von Pelzmänteln, Zuhältern und Hahnreis zu reden«, sage ich.»Es gibt in solchen Augenblicken doch auch noch andere Themen.«
»Klar«, stimmt Gerda zu.»Aber wir reden doch auch gar nicht davon.«-»Wovon?«
»Von Pelzmänteln, Zuhältern und Hahnreis.«
»Nein? Wovon reden wir denn?«
Gerda beginnt wieder zu lachen.»Von der Liebe, mein Süßer. So, wie vernünftige Menschen davon reden. Was möchtest du denn? Gedichte aufsagen?«
Ich greife, schwer getroffen, nach der Bierflasche. Bevor ich sie heben kann, hat Gerda mich geküßt. Es ist ein nasser Bierkuß, aber ein so strahlend gesunder, daß die Tropeninsel einen Augenblick wieder da ist. Eingeborene trinken ja auch Bier.
»Weißt du, das habe ich gern an dir«, erklärt Gerda.»Daß du ein so vorurteilsvolles Schaf bist! Wo hast du nur all diesen Unsinn gelernt? Du gehst an die Liebe heran wie ein bewaffneter Korpsstudent, der glaubt, es ginge zum Duell anstatt zum Tanz.«Sie schüttelt sich vor Lachen.»Du Knalldeutscher!«sagt sie zärtlich.
»Ist das wieder eine Beleidigung?«frage ich.
»Nein, eine Feststellung. Nur Idioten glauben, daß eine Nation besser sei als die andere.«
»Bist du keine Knalldeutsche?«
»Ich habe eine tschechische Mutter; das erleichtert mein Los etwas.«
Ich sehe das nackte, unbekümmerte Geschöpf neben mir an und habe plötzlich das Verlangen, zumindest eine oder zwei tschechische Großmütter zu haben.»Schatz«, sagt Gerda.»Liebe kennt keine Würde. Aber ich fürchte, du kannst nicht einmal pissen ohne Weltanschauung.«
Ich greife nach einer Zigarette. Wie kann eine Frau so etwas sagen? denke ich. Gerda hat mich beobachtet.»Wie kann eine Frau so etwas sagen, was?«sagt sie.
Ich hebe die Schultern. Sie dehnt sich und blinzelt mir zu. Dann schließt sie langsam ein Auge. Ich komme mir vor dem starren, geöffneten anderen auf einmal wie ein Provinzschulmeister vor. Sie hat recht – wozu muß man immer alles mit Prinzipien aufblasen? Warum es nicht nehmen, wie es ist? Was geht mich Eduard an? Was ein Wort? Was ein Nerzmantel? Und wer betrügt wen? Eduard mich, oder ich ihn, oder Gerda uns beide, oder wir beide Gerda, oder keiner keinen? Gerda allein ist natürlich, wir aber sind Wichtigtuer und Nachschwätzer abgestandener Phrasen.»Du glaubst, daß ich als Zuhälter hoffnungslos wäre?«frage ich.
Sie nickt.»Frauen werden nicht deinetwegen mit einem anderen schlafen und dir das Geld dafür bringen. Aber mach dir nichts daraus; die Hauptsache ist, daß sie mit dir schlafen.«
Ich will es vorsichtig dabei bewenden lassen, frage aber doch:»Und Eduard?«
»Was geht dich Eduard an? Ich habe dir das doch gerade erklärt.«
»Was?«
»Daß er ein Freier ist. Ein Mann mit Geld. Du hast keins. Ich aber brauche welches. Verstanden?«
»Nein.«
»Das brauchst du auch nicht, Schäfchen. Und beruhige dich – noch ist nichts los, und es wird auch noch lange nichts los sein. Ich sage es dir schon zur Zeit. Und nun mach kein Drama draus. Das Leben ist anders, als du denkst. Merk dir nur eins: Recht hat immer der, der mit der Frau im Bett liegt. Weißt du, was ich jetzt möchte?«
»Was?«
»Noch eine Stunde schlafen – und dann ein Hammelragout mit Knoblauch für uns kochen, mit viel Knoblauch -«
»Kannst du das hier?«
Gerda zeigt auf einen alten Gasherd, der auf der Kommode steht.»Ich koche dir darauf ein Diner für sechs Personen, wenn’s sein muß. Tschechisch! Du wirst staunen! Dazu holen wir uns Bier vom Faß aus der Kneipe unten. Geht das mit deiner Illusion über die Liebe zusammen? Oder zerbricht der Gedanke an Knoblauch etwas Wertvolles in dir?«
»Nichts«, erwidere ich und fühle mich korrumpiert, aber auch so leicht wie lange nicht.
XVI
So eine Überraschung!«sage ich.»Und das am frühen Sonntagmorgen!«
Ich habe geglaubt, einen Räuber in der Dämmerung herumrumoren zu hören; aber als ich herunterkomme, sitzt da, um fünf Uhr früh, Riesenfeld von den Odenwälder Granitwerken.»Sie müssen sich geirrt haben«, erkläre ich.»Heute ist der Tag des Herrn. Da arbeitet selbst die Börse nicht. Noch weniger wir schlichten Gottesleugner. Wo brennt es? Brauchen Sie Geld für die Rote Mühle?«
Riesenfeld schüttelt den Kopf.»Einfacher Freundschaftsbesuch. Habe einen Tag zwischen Löhne und Hannover. Bin gerade angekommen. Wozu jetzt noch ins Hotel gehen? Kaffee gibt es ja bei Ihnen auch. Was macht die scharmante Dame von drüben? Steht sie früh auf?«
»Aha!«sage ich.»Die Brunst hat Sie also hergetrieben! Gratuliere zu soviel Jugend. Aber Sie haben Pech. Sonntags ist der Ehemann zu Hause. Ein Athlet und Messerwerfer.«
»Ich bin Weltchampion im Messerwerfen«, erwidert Riesenfeld ungerührt.»Besonders, wenn ich zum Kaffee etwas Bauernspeck und einen Korn gehabt habe.«
»Kommen Sie mit nach oben. Meine Bude sieht zwar noch wüst aus, aber ich kann Ihnen dort Kaffee machen. Wenn Sie wollen, können Sie auch Klavier spielen, bis das Wasser kocht.«
Riesenfeld wehrt ab.»Ich bleibe hier. Die Mischung von Hochsommer, Morgenfrühe und Denkmälern gefällt mir. Macht hungrig und lebenslustig. Außerdem steht hier der Schnaps.«
»Ich habe viel besseren oben.«
»Mir genügt dieser.«
»Gut, Herr Riesenfeld, wie Sie wollen!«
»Was schreien Sie so?«fragt Riesenfeld.»Ich bin inzwischen nicht taub geworden.«
»Es ist die Freude, Sie zu sehen, Herr Riesenfeld«, erwidere ich noch lauter und lache scheppernd.
Ich kann ihm nicht gut erklären, daß ich hoffe, Georg mit meinem Geschrei zu wecken und ihn darüber zu orientieren, was los ist. Soviel ich weiß, ist der Schlächter Watzek gestern abend zu irgendeiner Tagung der Nationalsozialisten gefahren, und Lisa hat die Gelegenheit benutzt, herüberzukommen, um einmal durchzuschlafen im Arm ihres Geliebten. Riesenfeld sitzt, ohne daß er es weiß, als Wächter vor der Tür zum Schlafzimmer. Lisa kann nur noch durchs Fenster raus.
»Gut, dann hole ich den Kaffee herunter«, sage ich, laufe die Treppe hinauf, nehme die»Kritik der reinen Vernunft«, schlinge einen Bindfaden darum, lasse sie aus meinem Fenster heraus und pendele damit vor Georgs Fenster. Inzwischen schreibe ich mit Buntstift auf ein Blatt die Warnung:»Riesenfeld im Büro«, mache ein Loch in den Zettel und lasse ihn über den Bindfaden auf den Band Kant hinunterflattern. Kant klopft ein paarmal, dann sehe ich von oben Georgs kahlen Kopf. Er macht mir Zeichen. Wir vollführen eine kurze Pantomime. Ich mache ihm mit den Händen klar, daß ich Riesenfeld nicht loswerden kann. Rauswerfen kann ich ihn nicht; dazu ist er zu wichtig für unser tägliches Brot.