Waser bekam einen roten Kopf.»Das sind Ideen eines Kapitalisten! Rosenfeld, ich flehe Sie an! Sie träumen von einer Lokomotive, aber nicht von einem Auto. Wie können Sie nur an so einem Mammut Gefallen finden? Das ist was für Kommerzienräte! Sie sind doch ein junger Mensch! Wenn Sie etwas Schweres haben wollen, dann nehmen Sie in Gottes Namen den Delahaye, der hat Rasse und macht immer noch leicht seine 160 Kilometer!«
»Delahaye?«Rosenfeld schnaubte verächtlich durch die Nase.»Verölte Kerzen alle Augenblicke, meinen Sie, was?«
»Ausgeschlossen, wenn Sie ihn richtig fahren! Ein Jaguar, ein Projektil, vom Ton des Motors wird man allein schon besoffen! Oder wenn Sie etwas ganz Fabelhaftes haben wollen, dann nehmen Sie den neuen Supertalbot! Hundertachtzig Kilometer spielend! Da haben Sie wirklich etwas!«
Rosenfeld quietschte vor Empörung.»Ein Talbot! Ja, da habe ich was! Nicht geschenkt nehme ich die Karre, die so überkomprimiert ist, daß sie im Stadtverkehr kocht! Nein, Waser, ich bleibe beim Cadillac.«Er wendete sich wieder dem General-Motors-Fenster zu.»Sehen Sie nur die Qualität! Fünf Jahre lang brauchen Sie da die Haube nicht aufzumachen! Komfort, lieber Waser, den haben nur die Amerikaner ’raus! Der Motor geschmeidig und lautlos, Sie hören ihn überhaupt nicht!«
»Aber Mensch!«brach Waser los,»ich will doch gerade den Motor hören! Das ist doch Musik, wenn so ein nerviges Aas losgeht!«
»Dann schaffen Sie einen Traktor an! Der ist noch lauter!«
Waser starrte Rosenfeld an.»Hören Sie«, sagte er dann leise, sich mühsam beherrschend,»ich schlage Ihnen ein Kompromiß vor: Nehmen Sie den Mercedes Kompressor! Schwer und rassig dabei! Einverstanden?«
Rosenfeld winkte überlegen ab.»Nicht mit mir zu machen! Geben Sie sich keine Mühe! Cadillac, sonst nichts!«Er vertiefte sich wieder in die schwarze Eleganz des riesigen Wagens auf der Drehscheibe.
Waser sah verzweifelt um sich. Dabei erblickte er Kern und Ruth.»Hören Sie, Kern«, sagte er,»wenn Sie die Wahl hätten zwischen einem Cadillac oder einem neuen Talbot, was würden Sie nehmen? Doch den Talbot, was?«
Rosenfeld drehte sich um.»Den Cadillac, natürlich, daran ist doch gar kein Zweifel!«
Kern grinste.»Ich wäre schon mit einem kleinen Citroen zufrieden.«
»Mit einem Citroen?«Die beiden Auto-Enthusiasten sahen ihn wie ein räudiges Schaf an.
»Oder mit einem Fahrrad«, fügte Kern hinzu.
Die beiden Fachleute wechselten einen raschen Blick.»Ach so!«meinte Rosenfeld dann, sehr abgekühlt.»Sie haben nicht viel Verständnis für Autos, wie?«
»Auch wohl nicht für Autosport, was?«fügte Waser etwas angeekelt hinzu.»Nun ja, es gibt Leute, die interessieren sich für Briefmarken.«
»Das tue ich!«erklärte Kern erheitert.»Besonders für ungestempelte.«
»Na, dann entschuldigen Sie!«Rosenfeld schlug seinen Rockkragen hoch.»Kommen Sie, Waser, wir wollen noch die neuen Modelle von Alfa Romeo und Hispano drüben besichtigen.«
Die beiden gingen, versöhnt durch den Ignoranten Kern, einträchtig in ihren abgeschabten Anzügen davon, um noch über einige Rennwagen zu streiten. Sie hatten Zeit dazu – denn sie hatten kein Geld für ein Abendessen.
Kern sah ihnen erfreut nach.»Der Mensch ist ein Wunder, Ruth, was?«
Sie lachte.
KERN FAND KEINE Arbeit. Er bot sich überall an; aber selbst für zwanzig Francs am Tag konnte er nirgendwo unterkommen.
Nach zwei Wochen war das Geld verbraucht, das sie besaßen. Ruth bekam von dem jüdischen und Kern vom gemischt jüdischchristlichen Komitee eine kleine Unterstützung; zusammen hatten sie etwa fünfzig Francs in der Woche. Kern sprach mit der Wirtin und erreichte, daß sie für diesen Betrag die beiden Zimmer behalten konnten und morgens etwas Kaffee mit Brot bekamen.
Er verkaufte seinen Mantel, seinen Koffer und den Rest seiner Sachen von Potzloch. Dann begannen sie Ruths Sachen zu verkaufen. Einen Ring ihrer Mutter, Kleider und ein schmales goldenes Armband. Sie waren nicht sehr unglücklich darüber. Sie lebten in Paris, das war ihnen genug. Sie hofften auf den nächsten Tag und fühlten sich geborgen. In dieser Stadt, die alle Emigranten des Jahrhunderts aufgenommen hatte, wehte der Geist der Duldung; man konnte in ihr verhungern, aber man wurde nur so viel verfolgt, wie unbedingt notwendig war – und das erschien ihnen schon viel.
Marill nahm sie an einem Sonntagnachmittag, als es keinen Eintritt kostete, mit in den Louvre.»Ihr braucht im Winter etwas, um eure Zeit hinzubringen«, sagte er.»Das Problem des Emigranten ist der Hunger, die Bleibe und die Zeit, mit der er nichts anfangen kann, weil er nicht arbeiten darf. Der Hunger und die Sorge, wo er bleiben kann, das sind zwei Todfeinde, gegen die er kämpfen muß – aber die Zeit, die viele leere, ungenutzte Zeit ist der schleichende Feind, der seine Energie zerfrißt, das Warten, das ihn müde macht, die schattenhafte Angst, die ihn lähmt. Die beiden andern fallen ihn von vorne an, und er muß sich wehren oder untergehen – aber die Zeit kommt von hinten und zersetzt ihm das Blut. Ihr seid jung. Hockt nicht in den Cafés, jammert nicht, werdet nicht müde. Wenn’s mal schlimm wird, geht in den großen Wartesaal von Paris: den Louvre. Er ist gut geheizt im Winter. Besser vor einem Delacroix, einem Rembrandt oder einem van Gogh zu trauern als vor einem Schnaps oder im Kreise ohnmächtiger Klage und Wut. Das sage ich euch, Marill, der auch lieber vor einem Schnaps sitzt. Sonst würde ich euch diese lehrhafte Rede nicht halten.«
Sie wanderten durch das große Kunstdämmer des Louvre – vorbei an den Jahrhunderten, vorbei an den steinernen Königen Ägyptens, den Göttern Griechenlands, den Cäsaren Roms – vorbei an babylonischen Altären, an persischen Teppichen und flämischen Gobelins – vorbei an den Bildern der größten Herzen, an Rembrandt, Goya, Greco, Leonardo, Dürer – durch endlose Säle und Korridore, bis sie zu den Räumen kamen, wo die Bilder der Impressionisten hingen.
Sie setzten sich auf eines der Sofas, die in der Mitte standen. Von den Wänden leuchteten die Landschaften Cezannes, van Goghs und Monets, die Tänzerinnen Degas’, die pastellhaften Frauenköpfe Renoirs und die farbigen Szenen Manets. Es war still, und niemand außer ihnen war da, und allmählich erschien es Kern und Ruth, als säßen sie in einem verzauberten Turm, und die Bilder seien Fenster zu fernen Welten – zu Gärten ernster Lebensfreude, zu weiten Gefühlen, zu großen Träumen und zu einer unzerstörbaren Landschaft der Seele, jenseits von Willkür, Angst und Rechtlosigkeit.
»Emigranten!«sagte Marill.»Die alle dort waren auch Emigranten! Gejagt, verlacht, ’rausgeschmissen, ohne Bleibe oft, verhungert, manche angepöbelt und ignoriert von ihren Zeitgenossen, elend gelebt, elend gestorben – aber seht euch an, was sie geschaffen haben! Die Kultur der Welt! Das wollte ich euch zeigen.«
Er nahm seine Brille herab und putzte sie umständlich.»Was ist Ihr stärkster Eindruck bei diesen Bildern?«fragte er Ruth.
»Der Friede«, sagte sie sofort.
»Der Friede. Ich dachte, sie würden sagen: die Schönheit. Aber es ist wahr – Friede ist heute Schönheit. Besonders für uns. Und Ihrer, Kern?«
»Ich weiß nicht«, sagte Kern,»ich möchte eins davon haben und es verkaufen, damit wir was zu leben haben.«
»Sie sind ein Idealist«, erwiderte Marill.
Kern sah ihn mißtrauisch an.»Ich meine das ernst«, sagte Marill.
»Ich weiß, daß es dumm ist. Aber es ist Winter, und ich würde Ruth einen Mantel kaufen.«
Kern kam sich ziemlich töricht vor; aber ihm fiel wirklich nichts anderes ein, und er hatte die ganze Zeit dran gedacht. Zu seiner Überraschung fühlte er plötzlich Ruths Hand in seiner. Sie strahlte ihn an und lehnte sich fest gegen ihn.