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Am Nachmittag, als die Sonne hinter der Stadt Poughkeepsie verschwand und die Dämmerung über den Catskill Mountains heraufzog, sagte Maybelle:»Was hältst du davon, wenn wir erst morgen in die Stadt zurückfahren? Dann haben wir noch Zeit, in Hyde Park das Haus des besten Präsidenten anzusehen, der je Amerika regiert hat.«

«Und wo übernachten wir?«fragte ich. Mein Puls hatte sich von einem Schlag zum nächsten nahezu verdoppelt.

«Hier zum Beispiel«, sagte sie, und ihr Tonfall enthielt keine Anspielung auf das, was in dieser Nacht zwischen uns geschehen könnte.

Etwas oberhalb der Straße, umrahmt von flammenden Ahornbäumen, thronte ein protziges Gebäude aus groben Titanensteinen bis übers Erdgeschoß, darüber erhoben sich aus dunkelrot gebeiztem Holz drei Stockwerke mit Erkern und Balkonen, die Fenster waren weiß gestrichen. Der Eingang war von weißen Säulen eingefaßt, darüber stand auf einem Schild: Old Hotel Dutchess.

«Laß uns hier übernachten«, sagte sie.»Wir können erst etwas essen, und anschließend spazieren wir zum Hudson hinunter und ein Stück am Wasser entlang.«

«Das ist mit Sicherheit das teuerste Hotel auf der Strecke«, sagte ich.

«Du hast heute Geburtstag, Luke«, lachte sie.»Vergiß das nicht!«

Die Eingangshalle war weitläufig, in Gruppen waren Tischchen und Fauteuils verteilt, wo Paare saßen, alle schon älter, fein gekleidet, duftend, Zigarre rauchend, Tee trinkend. Auf einer Seite stand eine gläserne Kuchentheke neben einer Bar aus rustikaler Eiche; auf der anderen war die Rezeption, ein zehn Meter langer Tresen, der mit schwarzem, goldgenietetem Leder überzogen war. An der Decke über der Lobby hing eine goldbesprenkelte, riesige ovale Glasscheibe, die eine milde Beleuchtung gab. Ich legte meinen Arm um Maybelle, und so traten wir zu dem jungen Mann, der allein an der Rezeption seinen Dienst tat. Er hatte einen schmalen, zu zwei Strichen gestutzten Oberlippenbart, braune Haare und kontaktlinsenblaue Augen.

«Wir würden gern für eine Nacht in Ihrem Hotel buchen«, sagte ich.

Er lächelte, wie es Flugbegleiter so beeindruckend können, als wäre er ein wenig auch unser Freund.»Zwei Einzelzimmer oder ein Doppelzimmer?«

Ohne zu überlegen sagte ich:»Ein Doppelzimmer.«

Maybelle zeigte keine Reaktion, als hätte sie nie etwas anderes erwartet.

«Ein Doppelzimmer, bitte«, wiederholte ich, und wieder schlug mein Herz, daß ich meinte, der Mann vor mir müßte es unter meinem Hemd sehen können.»Wenn möglich, eines mit Blick auf den Hudson.«

«Sie haben kein Gepäck, Sir?«

«Das ist richtig. Wir wollten eigentlich heute noch nach New York zurückfahren. Wir haben es uns anders überlegt. Sie haben sicher eine Zahnbürste und einen Kamm für uns.«

Er nickte, lächelte weiter freundlich, schlug sein Buch auf, das so breit war wie seine beiden Unterarme, und sagte etwas lauter als nötig.»Sie haben nicht vorbestellt, Sir?«

«Natürlich nicht. Wir haben vor einer halben Stunde noch gar nicht gewußt, daß wir überhaupt ein Hotel brauchen.«

«Gut, ich werde schauen, was sich tun läßt.«

Und dann geschah das Unglaubliche. Noch mit dem Lächeln dessen, der, etwas überlaut zwar, aber absolut korrekt, seinen Job erledigt, zischte er, ohne mich dabei anzusehen:»Wir sind kein Bordell, weißt du das? Und schon gar nicht eines, in das einer seine Negerhure abschleppen kann. «Um gleich darauf seinen Blick zu heben und nahtlos im freundlich überartikulierten Tonfall seiner Profession anzuschließen:»Tut mir leid, Sir, wir haben leider kein Zimmer mehr frei.«

«Was haben Sie eben gesagt?«

«Daß wir leider kein Zimmer mehr frei haben. Es wäre gut, wenn Sie das nächste Mal telefonisch ein Zimmer vorbestellen würden, Sir. Ich gebe Ihnen gern eine Karte des Hotels, da steht alles drauf, Telefonnummer, Adresse.«

Maybelle hielt mich am Arm fest.»Gehen wir«, flüsterte sie.»Schnell, komm, Luke!«

«Nein«, sagte ich. Für einen Augenblick schossen rote Flammen vor meinen Augen hoch, ich wandte mich an die Gäste, die in der Lobby waren:»Sehr verehrte Herrschaften!«rief ich.»Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit! Ich möchte Ihnen mitteilen, was dieser Herr an der Rezeption soeben zu mir gesagt hat. «Aber das war verrückt von mir, und es wurde mir klar, als die Flammen in sich zusammenfielen, nämlich daß ich Maybelle unendlich mehr demütigen würde, wenn ich tatsächlich laut wiederholte, was der Typ mir zugeflüstert hatte. Einige der Leute, die in der Halle in ihren Lederfauteuils saßen, wandten mir den Kopf zu. Die meisten taten, als hätten sie nichts gehört, unterhielten sich weiter, saugten an ihren Zigarren, nippten an ihrem Tee. Ich spürte, wie mein Gesicht den Ausdruck eines perfekten Idioten annahm.

Maybelle sagte:»Luke, ich gehe jetzt. Wenn du mitkommen willst, komm gleich. Sonst kannst du mit dem Daumen in die Stadt zurückfahren. «Damit drehte sie sich um und klackte, ohne irgend jemandem einen Blick zu gönnen, durch die Halle und hinaus zur Tür. Ich lief ihr nach. Ich hörte niemanden lachen.

Als wir eine gute halbe Stunde zurück in Richtung New York gefahren waren, schweigend und brütend, sagte sie:»Du bist nicht richtig angezogen für so ein Hotel, Luke. Wenn wir wieder in New York sind, solltest du dir in der Fifth Avenue einen Anzug kaufen, bei Bergdorf Goodman, dann kannst du es ja noch einmal versuchen. Aber das hat mir doch ziemlich gut gefallen, daß du ein Doppelzimmer für uns beide wolltest. Und jetzt laß mich ans Steuer!«

Ich stieg aus, und Maybelle rutschte auf den Fahrersitz. Sie wendete den Wagen auf der Straße, und wir fuhren wieder stromaufwärts, fuhren am Old Hotel Dutchess vorbei — wir fluchten weder, noch hupten wir, noch zeigten wir den Mittelfinger. Knapp vor Hyde Park, es war bereits stockdunkel, sahen wir dieses niedrige langgestreckte türkisfarbene Gebäude mit der Leuchtschrift Fink’s Motel auf dem Dach, das aus Büschen heraus von Scheinwerfern angestrahlt wurde.

«Zweiter Versuch«, sagte Maybelle.»Diesmal läßt du mich verhandeln.«

Eine junge Frau in grüner Uniform mit einem Zopf über der rechten Schulter stand an der Rezeption und schaute uns gelangweilt an. Maybelle füllte den Meldezettel aus, nahm den Schlüssel in Empfang, und wir gingen, sie ihren Arm um meine Hüfte gelegt, ich den meinen um ihre, über den Parkplatz zum Appartement Nummer 12 am Ende des Bungalows. Sie sperrte auf und sperrte hinter uns zu, und zog mir das Hemd über den Kopf und bat mich, den Reißverschluß in ihrem Rücken zu öffnen.

6

«Glaubst du, Luke«, sagte sie,»dir werden meine Titten gefallen?«

Sie verschränkte die Arme vor ihren Brüsten und drehte sich zu mir um. Ihre dunkle Gestalt, ihr Gesicht fast schwarz, die Mandelaugen, ihr stoischer, von einer klaren Linie umschlossener Mund, die Oberlippe in zwei geschwungene Dreiecke unterteilt, das leicht himmelwärts gereckte, eigenwillige Kinn — ich bemühte mich, in allem zu lesen. Ich trat einen Schritt auf sie zu und strich über ihre Oberarme. Sie fühlten sich kühl an, ein wenig rauh und so, als berührte ich sie zum erstenmal. Nun war ihr Gesicht im Schatten meines Kopfes. Gott hat Himmel und Erde ja nicht zum Scherz erschaffen und natürlich auch nicht die Träume, und Maybelle war die Hauptperson in einem Alptraum gewesen, auch daran dachte ich in diesem Augenblick. Nur die kleine, zitronenfarbene Lampe hinter mir im Eingang zum Appartement brannte, ein Schimmer davon lag auf Maybelles Schulter. Die Scheinwerfer der Autos, die uns auf der Straße entgegengekommen waren, hatten einen gleichen Schimmer über ihre Schulter gezogen. In dem Zimmer stand ein breites französisches Bett, über das eine cremefarbene Wolldecke gebreitet war. Maybelle stieß mit ihren Kniekehlen dagegen. Auf den Kissen lagen Candys, und auf den Nachttischen rechts und links stand je ein Weinglas, das mit einer Papierserviette abgedeckt war. Nicht eine Spur von Verlegenheit konnte ich in ihrem Gesicht wahrnehmen, auch nichts Spöttisches, auch nichts herablassend mütterlich Verführerisches, wie ich befürchtet hatte. Nichts Weiches, Sanftes, der Situation entsprechend Undeutliches.