40 Dollar
The Forward…………………………………………………….
ohne Honorar
Von den Zeitungen aus Maine, North Dakota, Ohio und New Hampshire gab es ebenfalls kein Honorar. Zusammen ergab das 405 Dollar in der Woche, 1620 Dollar im Monat. Mr. Albert wollte 200 Dollar für das Zimmer haben, unter gar keinen Umständen mehr.»Sonst muß ich Sie bitten auszuziehen. «Maybelle bestand darauf, daß ihr Beitrag an The Musicians nicht mehr als 100 Dollar wert sei. Also würden mir 1320 Dollar im Monat bleiben. Auf eine Ebene mit den Vanderbilts würde mich das nicht heben, aber wohlhabend würde ich sein, jedenfalls für meine Begriffe, die, zugegeben, bescheiden waren.
Wenige Wochen, nachdem ich die McKinnons kennengelernt hatte, standen sie eines Nachmittags in The Best of Chicken Bones und klingelten, und als mich Mr. Albert herunterrief, empfingen sie mich mit ausgebreiteten Armen. Sarah Jane trug ein Kostüm — ich kannte sie nur in Hosen —, eine Kombination in Taubenblau und Umbra, was ihr eine Aura bürgerlicher Distinktion verlieh und so gut zu ihrer blonden Erscheinung paßte, daß ich den Verdacht hatte, dies wäre eigentlich ihr normales Outfit und die Jeans und den Pullover hätte sie geliehen, um sich näher bei den singenden Schichten zu fühlen. (Tatsächlich erfuhr ich später, daß Sarah Jane der Sproß eines einflußreichen Industriellenclans britischer Herkunft sei, sich allerdings bereits mit Sechzehn nach Kalifornien abgesetzt habe, wo sie erst zum Hippietum, dann unter dem Einfluß von Angela Davis zum Kommunismus und schließlich zur aufgeklärten Volkskunde konvertiert sei.) Fabian war verlegen, seine ausgebreiteten Arme hingen in der Luft wie an den Ärmeln aufgehängt, sicher hatte ihn seine Frau überredet mitzukommen. Und das alles, weil sie mir mitteilen wollten, daß es dank Mr. Lomax’ Namen und Kredit in kürzester Zeit gelungen sei, mir eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für das Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika zu besorgen.
«In ein paar Jahren gibt man dir die Greencard«, sagte Fabian.
«Und in ein paar weiteren Jahren bist du Amerikaner«, strahlte Sarah Jane.
«Wenn Mr. Lukasser das wünscht«, sagte Mr. Albert, und ich war ihm sehr dankbar dafür.
Ich verfiel in eine Arbeitswut, die mir selbst unheimlich war. Die Vormittage verbrachte ich meistens im Hunter College oder in der Public Library an der Fifth Avenue, wo ich weiter den Hintergrund zu meinen Geschichten recherchierte oder einfach nur verschiedene Tageszeitungen las (am 22. Jänner 1983, daß der brasilianische Fußballstar Garrincha im Alter von neunundvierzig Jahren an einer Alkoholvergiftung gestorben war, verarmt, vereinsamt, verwirrt). Mittags trafen Maybelle und ich einander in unserem Park oder, was immer öfter der Fall war, in einer Cafeteria in der Nähe der Bibliothek; gegen Mittag fuhren wir gemeinsam mit der Subway nach Brooklyn. An den Nachmittagen schrieb ich. Ich schrieb, bis ich in der Nacht das Steinchen an meinem Fenster hörte.
Um meine Zeitökonomie zu kontrollieren, notierte ich neben den Ergebnissen meiner Recherche nun auch meine Tagesabläufe in mein Heft. Darin lese ich den Ausdruck» freie Tage«. Damit waren die Tage gemeint, in denen mich Maybelle nicht besuchte. Wenn ich die beiden Worte heute lese, erschrecke ich; damals hatte ich mir nichts dabei gedacht.
5
Unsere zweite gemeinsame Autoreise unternahmen Maybelle und ich im Frühling 1983. Für meine Geschichten wäre diese Reise nicht unbedingt nötig gewesen. Über Niccoló Paganini hatte ich genügend Stoff, und über Robert Johnson hatte mir Maybelle alles erzählt, was ich als Background für eine Story brauchte; außerdem lagen im Hunter College genügend Informationen vor, um ein sehr dickes Buch über diesen Blues-Man zu schreiben. Als ich Sarah Jane und Fabian mitteilte, ich wolle mir die Gegend in Texas ansehen, wo sich Johnson herumgetrieben habe — und sie bei dieser Gelegenheit auch gleich um einen Vorschuß auf die Spesen anging —, fanden sie das eine großartige Idee, und Sarah Jane schlug vor, Maybelle und ich sollten uns Zeit lassen und vorher in Alabama aussteigen und uns über die Heimat von Hank Williams erkundigen, der stehe ja auch auf meiner Liste. Sie wußte nicht, daß Maybelle in Alabama aufgewachsen war und daß sie über diesen weißesten aller weißen Sänger des Blues wahrscheinlich mehr wußte als alle Mitarbeiter des ACE zusammen, die tief in ihrer linken Herzkammer in Hank Williams ohnehin so etwas wie den Klassenfeind, auf jeden Fall einen ziemlich reaktionären Knochen sahen.
Einen Tag vor unserer Abreise schlüpften Maybelle und ich, wie wir es immer taten, mittags durch den Bauzaun hinter der Hühnerbraterei und spazierten, gegen die Sonne zwinkernd, über den freien Platz in Richtung Carlton Avenue, als uns fünf junge schwarze Männer entgegenkamen. Ich bemerkte nicht gleich, daß sie es auf uns, das heißt auf mich, abgesehen hatten. Maybelle hingegen bemerkte es sofort. Sie blieb stehen, sagte:»Es ist besser, wir kehren um, Luke. «Ich fragte sie, was sie meine, da traf mich ein Gegenstand am Kopf. Es war ein gelbes Plastikfeuerzeug. Einer der Burschen hatte es nach mir geworfen. Maybelle lief ein paar Schritte zurück zum Bauzaun, dort blieb sie stehen, die Arme verschränkt. Merkwürdigerweise drehte sie mir ihre Seite zu, ihr Gesicht war ebenfalls abgewandt, doch so, daß sie alles aus den Augenwinkeln beobachten konnte. Es sah aus, als habe sie mit dem, was hier gleich geschehen würde, nichts zu tun. Einer der Burschen trat vor mich hin. Er trug eine ärmellose Steppjacke, grellrot, und eine Baseball-Mütze. Er ballte eine Faust, streckte Daumen und Zeigefinger seiner Rechten so, daß die Hand einen Revolver darstellte, und drückte mir den Zeigefinger zwischen die Augen. Er knickte den Daumen ab und fauchte:»Pfuuuw!«Er bückte sich, hob das Feuerzeug auf, und fragte in übertrieben höflichem Ton, ob es mir gehöre. Ich antwortete nicht. Nicht weil ich Angst hatte, sondern weil ich auf so eine Unverschämtheit nicht gefaßt war. Er fragte, ob ich taub sei. Ich sagte, er solle mich bitte weitergehen lassen. Er betrachtete das Feuerzeug, drehte es in der Hand. Er sagte, es sei seines. Er rief zu den Kumpanen in seinem Rücken, er habe endlich den Typen gefunden, der ihm dauernd die Feuerzeuge klaue. Die lachten und kamen näher und umringten mich. Einer trat mir mit seinen klobigen weißen Schuhen auf den Fuß, was sehr weh tat. Ich sagte, wenn sie etwas wollten, Geld zum Beispiel, sollten sie es sagen, ich hätte nicht viel bei mir, aber was ich hätte, könnten sie gern haben. Ein anderer boxte mich in den Rücken. Ich sei schließlich der Dieb, sagte er, nicht sie seien die Diebe. Ein dritter trat mir ebenfalls auf den Fuß. Und nun wetteiferten die fünf miteinander im Mir-auf-die-Füße-Treten. Ich versuchte, ihren Tritten auszuweichen, und hüpfte dabei herum wie eine Marionette an Fäden. Der mit dem Feuerzeug sagte, ich solle mich doch nicht so aufführen, hier sei schließlich kein Zirkus, außerdem sei eine Lady in der Nähe, ob ich denn überhaupt keinen Stolz besitze, man hätte ihm immer erzählt, der weiße Mann sei besonders stolz, und jetzt müsse er eine solche Enttäuschung erleben. Ich sah zu Maybelle hinüber, sie stand immer noch in der Nähe des Bauzaunes und zeigte uns ihre Seite. Sie machte keine Anstalten, mir beizustehen. Ich rief ihren Namen, rief:»Maybelle, sag ihnen, sie sollen verschwinden! Sag ihnen, sie sollen mich in Ruhe lassen!«Einer der Burschen wischte mir mit der Hand über den Kopf. Es war kein Schlag, keine Ohrfeige, sollte nicht weh tun, sollte nur Verachtung zeigen. Die anderen taten wie er. Sie traten mir noch einmal auf die Füße, jeder noch einen Tritt, nicht mehr so heftig wie zuvor, ich versuchte auch gar nicht mehr, ihren Turnschuhen auszuweichen, endlich tänzelten sie lachend davon, hinüber zur Hühnerbraterei, hoben, als sie an Maybelle vorbeigingen, zum Gruß einen Zeigefinger an die Stirn und riefen:»Lady! Gott sei mit dir, Lady! Gott schütze dich!«