Von Anfang an bemühte ich mich, einen geregelten Tagesablauf einzuhalten. Ich stand um sechs Uhr auf, nahm mein Waschzeug und den Eimer und ging hinunter zum Brunnen. Ich zog mich aus und schüttete mir kaltes Wasser über den Kopf, seifte mich von Kopf bis Fuß ein und spülte mit zwei Eimern nach. Diese Tortur hatte mir beim Entzug sehr geholfen, und aus Dankbarkeit ins Blaue hinein behielt ich sie bei, sogar im Winter; jedenfalls, solange der Brunnen nicht zugefroren war. Manchmal, wenn ich Laune hatte, lief ich zum Fluß hinunter und schwamm eine halbe Stunde. Zurück im Haus, startete ich den Generator und bereitete Frühstück. Während das Kaffeewasser heiß wurde, las ich in einem der Bücher, die ich aus der Universitätsbibliothek ausgeliehen hatte, und schrieb Wörter und Redewendungen, die mir gefielen, in ein Notizbuch. Von acht bis zwölf setzte ich mich an die Schreibmaschine. Solange es die Temperaturen zuließen, arbeitete ich auf der Veranda. Im Haus war es nämlich ziemlich düster, weil die Fenster alle zur Veranda hinausgingen, und die war eben überdacht, und das Dach ragte einen halben Meter über die Balustrade hinaus. Nach der Arbeit bereitete ich mir ein Mittagessen zu. Ich war nicht hungrig, und ich kochte nicht gern; aber auch dieses Ritual hatte mir den Entzug leichter gemacht — bildete ich mir jedenfalls ein —, und deshalb pflegte ich es weiter: als eine Art Zeremonie in der Mitte des Tages, zwischen meiner Arbeit und meiner übrigen Zeit; von der übrigen Zeit nämlich drohte Gefahr. (Dies ist meine Erfahrung: Ebenso wie die Sucht aus jeder noch so banalen Gewohnheit eine Zeremonie formt und sich mit ihrer Hilfe verfestigt, kann ihr mit Zeremonien widerstanden werden, wobei die Zeremonien der Entwöhnung eine gewisse Außergewöhnlichkeit aufweisen sollten, weil diese hilft, ihnen den Charakter des Zwanghaften zu verleihen — in diesem Fall wirkt Zwang erleichternd.) Manchmal nahm ich die Fischerrute und ging zum Fluß hinunter und zog einen Sonnenbarsch heraus und briet ihn mir an Ort und Stelle — drei-, viermal habe ich das gemacht, öfter nicht, leider. Am Nachmittag steckte ich mir Bleistift, Notizbuch und das Buch, das ich gerade las, in die Tasche, hängte ich mir die Wasserflasche über die Schulter und wanderte ins Land hinaus. Anfänglich war ich ängstlich, traute mich nur so weit zu gehen, wie ich das Haus noch sehen konnte. Es fiel mir schwer, mich zurechtzufinden, und es dauerte eine Weile, bis es mir gelang, die verschiedenen Felsen und Hügel, die Klüfte und Schründe, Bäume und Baumstrünke, Dornenbüsche und Grasnaben zu unterscheiden und sie mir zu merken. In den ersten Wochen sah mir alles ähnlich aus, und zwar bis zum Horizont. Um mich zu orientieren, ging ich immer den gleichen Weg, jeden Tag ein Stück weiter, und zeichnete in mein Notizbuch markante Orientierungspunkte nach. Ich hätte am Fluß entlangwandern können, einige Male habe ich das auch getan, aber mir war unheimlich dabei. Nur an wenigen Stellen war es möglich, direkt am Wasser entlangzugehen; über weite Strecken wucherte dort urwaldartiges Gestrüpp, dessen Grund manchmal sumpfig war. Einmal brach ein Tier vor mir aus dem Unterholz, in meinem Schrecken wußte ich nicht, ob ich es für eine übergroße Katze, einen Wolf, einen Kojoten oder einen verwilderten Hund halten sollte oder ein Stinktier vielleicht oder einen Waschbären. Von nun an wanderte ich durch das Gras an den Felsen entlang. Später, als Suka bei mir war, konnte ich über meine anfängliche Unsicherheit und Ängstlichkeit nur lachen. Ich war drei, vier Stunden unterwegs, manchmal auch länger; ich mußte mich zu einem langsamen Gang anhalten, damit ich nicht wieder Schmerzen in der Hüfte bekam. Wenn ich am frühen Abend nach Hause zurückkehrte, war ich halb blödsinnig vor Hunger. Aber ich deckte Tasse und Teller auf, legte Messer und Gabel daneben auf eine Papierserviette und aß im Sitzen. Genauso wie ich mich jeden Mittag zum Kochen zwang und jeden Morgen unten beim Brunnen zum Rasieren — was mit kaltem Wasser unangenehm und ineffektiv war —, wollte ich mich auch zu dieser Formalität überwinden; meinen spontanen Bedürfnissen hätte es entsprochen, Brot, Käse, Wurst, Tomaten, Paprika, Gurken, Mais im Stehen in mich hineinzustopfen, Milch aus der Flasche zu trinken, mich weder morgens zu rasieren, noch mittags etwas zu kochen, überhaupt das Haus nicht zu verlassen und am Ende gar nicht mehr aus dem Bett aufzustehen. Die Zeit ohne Suka war Gefahrenzeit gewesen, die Guerillas der Depression lauerten in jeder Falte des Tages; die Einsamkeit lud mich mit einer Unbefriedigtheit auf, die es mir nicht erlaubte, mich auch nur einen Augenblick lang aus meiner Obacht, aus meinem Argwohn mir gegenüber zu entlassen; Verlangen und Verzweiflung waren für mich nicht mehr zu unterscheiden, wie ein Ding, das sich beim Schielen verdoppelt. Alles um mich herum schien schneller zu fließen als mein Atem, und diesem eiligen Schleichen der Zeit kam ich einfach nicht nach, auch wenn ich immer wieder vom Tisch aufsprang und über die Länge der Veranda schritt, hin und her, hin und her. Die Abende waren mir am liebsten, ich stieg mit der Gitarre oder einem Buch den Hang neben dem Haus hinauf, setzte mich mit dem Rücken an ein Felsriff, bestaunte den sonnenüberloderten Westhimmel, klimperte ein wenig vor mich hin oder las oder schaute hinunter zum Little Missouri, dessen Wasser im untergehenden Licht an manchen Stellen noch blinkte, ehe es sich in Schwärze auflöste, und dachte darüber nach, was ich morgen schreiben würde; und fühlte mich wie das einzige denkende Wesen in einer Unterwasserlandschaft — in Gottes privatem Aquarium, in dem es so trocken war wie in der Wüste auf Erden.