Ich setzte mich in den Toyota und fuhr zum Freeway und bei der nächsten Ausfahrt wieder herunter. Ich sah das Haus mit den beiden Flaggen auch gleich vor mir. Inzwischen stürmte es so heftig, daß ich mit dem Lenkrad hart dagegenhalten mußte, um nicht von der Spur abzukommen. Das Haus sah unbewohnt aus, in schäbiger Auflösung begriffen. Die Fenster im ersten Stock waren eingeschlagen, die Sprossen geknickt, aus einem der Fensterlöcher flatterte ein grauer Vorhang. Die Bodenbretter der Veranda waren an den Seiten verfault und eingetreten. Aus der Scheune, die neben dem Haus stand, waren das Tor und die Hinterwand herausgebrochen; der Sturm rüttelte am Dach, an einer Ecke hatte es den Kontakt zu den Wänden darunter verloren, dort bäumte es sich gefährlich auf. Die Rottmeiers fielen mir ein. Maro hätte hierhergepaßt, er hätte ein Viertel des Weltkreises zurückgelegt, um hier das gleiche Leben zu führen wie in Nofels; als wäre nichts anderes von ihm verlangt worden, als sich für eine kleine Zeit zwischen seinen Schrottautos in die Luft zu erheben, damit die Erde unter ihm weiterrolle, und wäre schließlich hier gelandet — ten thousand miles from home. Ich blieb vor der Veranda stehen, stieg aber nicht aus dem Wagen, sondern hupte. Nach einer Weile trat Tadeusz Zukrowski in die Tür, mit einem Fuß blieb er im Haus und winkte mich zu sich, wobei er in den Knien federte; ich wußte nicht, ob vor Ungeduld oder vor Freude. Als ich aus dem Wagen stieg, prallte ein Windstoß gegen meine Brust, und ich mußte mich am Gestänge des Rückspiegels festhalten.
Er zog mich am Ärmel dicht ans Haus, versperrte mir aber den Zutritt.»Das hat nichts zu bedeuten«, brüllte er gegen den Sturm an,»morgen darf er noch blasen, übermorgen scheint die Sonne wieder, und sie scheint noch eine Woche oder zwei, und dann erst kommt der Winter. So lange haben Sie noch Zeit für das Holz.«
Er grüßte noch einmal und ließ mich ein. Ich bedankte mich und tat das ungeschickt, nämlich viel zu überschwenglich, was mich vor ihm kleinmachte. Er lächelte und nickte und ließ mich wieder nicht aus den Augen.
Die Unordnung und der Dreck waren unbeschreiblich. Außerdem stank es nach Salmiak und gebrühten Hühnern. Der Boden in dem Raum war ein gutes Drittel mit Schmutzwäsche bedeckt, auf dem Tisch in der Mitte türmte sich das schmutzige Geschirr, auf jedem Teller steckten ausgedrückte Zigarettenkippen in den Essensresten. In der Ecke neben dem Herd war ein Abfallhaufen aus Konservendosen und Corn-flakes-Schachteln, leeren Flaschen und schwarzen Bananenschalen, Hühnerbeinen und Damenbinden und ölverschmierten Zeitungen. Auf dem Sofa unter dem Fenster saßen ein feister Bub mit indianischen Gesichtszügen und eine dicke Indianerin mit einem Gesicht, so breit, wie ich nie ein Gesicht gesehen hatte. Sie hielt eine Zigarette zwischen ihren Fingern, in kurzen Abständen zog sie daran, was aussah, als nehme sie kleine Schlucke, und zog wieder daran, noch ehe sie den Rauch ausgeblasen hatte. Beide — Mutter und Sohn, nahm ich an — trugen die gleichen blauen Overalls wie Tadeusz Zukrowski und die gleichen karierten Hemden. Der Bub hatte eine Baseballkappe auf dem Kopf, die gleiche wie sein Stiefvater, dunkelblau mit dem Logo vom Theodore Roosevelt National Park — ein Dreieck mit einer Eiche vor einem schneebedeckten Berg, im Vordergrund ein Bisonbulle. Ich nickte dem Buben und der Frau zu, sie erwiderten meinen Gruß nicht, weder sie noch er.
Ein überkniehoher, scheckiger Hund war mit einem Strick an ein Tischbein gebunden. Als ich ihn ansah, senkte er den Kopf und verkroch sich rückwärts zwischen die Füße der Frau, die, wie ich erst jetzt sah, aus zierlichen, mit blinkenden Plättchen verzierten leuchtendroten Pantoffeln quollen.
«Das ist Suka«, sagte der Pole und zeigte mit ungeduldig tippendem Finger auf den Hund.»Sie ist für Sie.«
«Ich glaube nicht, daß ich einen Hund will«, sagte ich. Ich atmete flach, damit die Luft nicht allzu tief in meine Lungen eindrang.
«Das ist ein Witz, was Sie sagen«, lachte er.»Sie leben allein in dem Haus. Ohne Hund werden Sie verrückt. Oder es passiert Ihnen etwas. Sie ist selbstbewußt und klug und nicht feige. Ich wollte sie Ihnen zusammen mit dem Holz bringen. Aber ich dachte: Wenn Sie nicht zu Hause sind, was fange ich mit ihr an? Wenn ich sie an die Veranda anbinde und Sie kommen vielleicht erst morgen wieder, ich weiß ja nicht, was Sie den vom lieben Herrgott spendierten Tag über tun, es geht mich auch nichts an, womöglich fallen in der Nacht die Kojoten über die Hündin her oder ein Bär.«
«Ich glaube nicht, daß es hier Bären gibt«, sagte ich und ärgerte mich über den streitsüchtigen Ton in meiner Stimme.
Er nickte und lächelte und lächelte und nickte eine ziemlich lange Zeit, ehe er sagte:»Sie brauchen sich nicht zu bedanken. Der Hund kostet zwanzig Dollar. Sie ist ein halbes Jahr alt. Ich habe sie großgefüttert, zwanzig Dollar sind dafür nicht zu viel gerechnet. Das Holz ist umsonst. Es hat mich gar nichts gekostet, und den Transport schenke ich Ihnen.«
Ich sagte, daß ich lieber für das Holz zahlen würde, daß ich aber den Hund nicht mitnehmen wolle; ich könne hundertprozentig keinen Hund brauchen; ich hätte nie in meinem Leben ein Haustier gehabt; ein Hund hätte es bei mir sicher nicht gut. Er starrte mir unverfroren ins Gesicht. Auch der Bub und die Frau schauten mich unentwegt an, aber nicht neugierig wie der Mann, nicht einmal interessiert, eher, wie man einen Gegenstand ansieht, der einem den Blick verstellt und weiter nichts. Mit keinem Wort, keinem Wink hatte er bisher auf die beiden hingewiesen. Die Frau gab den Zigarettenstummel an den Buben weiter, der zog kurz daran, ließ ihn fallen und trat darauf, übertrieben fest, als wäre ihm das eingeschärft worden. Die Frau hob ihre Seite, wühlte aus ihrer Hosentasche eine neue Zigarette, glättete sie, leckte sie ab und zündete sie an der langen, fauchenden Flamme aus einem Feuerzeug an.
«Die Äxte und die Säge und das andere hole ich ab, wenn Sie mit Ihrer Arbeit fertig sind«, sagte Tadeusz Zukrowski.»Dann können wir meinetwegen abrechnen, wenn Sie unbedingt wollen. Ich überlege in der Zwischenzeit, was das Holz wert ist.«
Er band den Hund vom Tischbein los, hob ihn hoch und ging mit ihm hinaus in den Sturm. Ich nickte der Frau und dem Buben zu, was abermals nicht erwidert wurde, und folgte ihm nach. Er öffnete die Hecktür zu meinem Toyota und warf den Hund hinein.
«Ich kann es ja mit ihm probieren«, sagte ich schwach; der Sturm war zu laut, als daß Tadeusz Zukrowski es hätte hören können. Es erschien mir sinnlos, mit diesem Mann zu debattieren, und ich wünschte mich so schnell wie möglich fort von hier.
«Sie heißt Suka«, schrie er mir ins Ohr.»Das ist polnisch und heißt Wölfin. Aber sie ist keine Wölfin. Sie ist ein normaler, braver, guter Hund. Wenn ich nach einer Woche komme, um ihn mir wiederzuholen, werden Sie mich erschießen wollen.«
Auf der Fahrt zurück nach Hause verhielt sich Suka hinten im Verschlag des Jeeps völlig ruhig. Im Rückspiegel sah ich sie breitbeinig dastehen und die Unruhen des Blizzards und der Straße mit Schulter und Hinterteil ausbalancieren; den Kopf hatte sie erhoben — was kann der Mensch im Gesicht eines Tieres schon lesen? Angst sah ich in ihrem Gesicht auf jeden Fall nicht, auch keine Spur von Gereiztheit, aber auch keine Unterwürfigkeit. Als ich zu Hause die Hecktür öffnete, sprang sie heraus und stellte sich neben mich, meine Beine als Windschutz nutzend.
«Also, komm, Suka«, sagte ich und stieg die Veranda hinauf.