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Im April besuchte mich Dr. Kupelian. Ich holte ihn am Flugplatz in Bismarck ab. Ich hatte auf seine ausdrückliche Bitte hin im teuersten Hotel von Dickinson ein Zimmer reservieren lassen. North Dakota lag für ihn jenseits der Zivilisation. Vor Suka fürchtete er sich — mit Recht; ich selbst fühlte mich ebenfalls nicht wohl auf der Fahrt von Bismarck nach Dickinson, als sie im Fond des Wagens, sozusagen in Dr. Kupelians Nacken, stand und, wie ich im Rückspiegel sah, unentwegt auf denselben starrte. Sie war eifersüchtig. Ich hatte sie schon einmal in diesem Zustand erlebt. Ich hatte im Institut mit einer Studentin gesprochen, und prompt war sie außer sich geraten, hatte die ganze Belegschaft zusammengebellt; ich mußte ihr die Leine anlegen und sie knapp halten, weil sie sonst der jungen Frau ins Gesicht gesprungen wäre. Zwischen der Frau und mir war ein Interesse gewesen, das sich für Suka aber anders darstellte als zum Beispiel das Interesse zwischen Toni und mir oder Lenny und mir. So interpretierte ich ihren Anfall. Auch wenn zwischen Dr. Kupelian und mir nun gewiß kein wie auch immer geartetes erotisches Attachement bestand, projizierte ich doch Erwartungen in ihn, die meinen Ausdünstungen womöglich einen Duft beimischten, der dem des Libidinösen ähnlich war — schließlich ging’s ums Schreiben. Ich sperrte Suka im Haus ein, Dr. Kupelian und ich saßen auf der Veranda. Mit besorgter Neugier begutachtete er das Haus. Als ich ihn am Abend in die Stadt fuhr, ließ ich Suka allein zurück — zum ersten Mal.

Ich hatte Dr. Kupelian zu Weihnachten eine Karte geschickt und darauf erwähnt, daß ich mich zur Zeit ausschließlich von Shakespeare ernährte. Als ich ihm nun die hundertzwanzig Seiten der Novelle gab, die ich über den Winter geschrieben hatte — er hatte mich gebeten, erst gar nicht zu versuchen, eine Übersetzung herzustellen; das werde der Verlag in die Hand nehmen —, fragte er, was ich als nächstes vorhabe. Ich sagte, ich wisse es noch nicht. Er drückte mir ein mürbes Buch in die Hand, Tales from Shakespeare, erschienen im Jahr 1807 in London —»ein Geschenk des Verlags«. Die Autoren waren Charles und Mary Lamb.

«Tun Sie wie die beiden«, sagte er,»und Sie werden ein reicher Mann.«

Und damit begann ich an dem Abend, nachdem ich Dr. Kupelian zurück nach Bismarck gebracht hatte. Bis in den Herbst hinein dauerte diese Arbeit; sie» machte mich glücklich und heilte meine Wunden«(wie ich später im Klappentext zum Buch zitiert wurde, nachdem ebendort erzählt worden war, daß Charles Lamb auf die gleiche Weise die Geisteskrankheit seiner Schwester Mary zwar nicht geheilt, aber doch gemildert habe). Ich erzählte in Prosa die Geschichten von Macbeth und Othello, vom Wintermärchen und vom Sommernachtstraum, vom Kaufmann von Venedig und von Romeo und Julia (worin mich besonders die Figur des Mercutio bezauberte, dessen manische Rede in ihren Andeutungen beinahe universell ist; in meiner Nacherzählung des Stücks hat der spottende Parteigänger Romeos, solange er am Leben ist, denn auch die titelgebenden Personen deutlich in den Hintergrund gedrängt); die Geschichten von König Lear, Richard III. und Hamlet, von Falstaff aus den beiden Heinrichen, die Geschichte von Rosalinde aus Wie es euch gefällt, die Römerhistorie Julius Cäsar, die irre Komödie Ende gut alles gut und das bittere Lehrstück über Timon von Athen. Wenn ich eine Geschichte fertig hatte, schickte ich sie nach New York. Dr. Kupelians Antworten waren enthusiastisch und kritisch in einem. Wenn er enthusiastisch war, bildete ich mir ein, ich sei der Beste; wenn er kritisch war, glaubte ich, ich werde, wenn ich mich anstrenge, sogar noch besser. Es tut mir bis heute leid, daß ich in ihm nie etwas anderes als meinen Lektor gesehen habe, daß ich mich zu selten und auch nur floskelhaft nach seinem Befinden erkundigt hatte — ich wußte gar nichts über ihn, weder ob er verheiratet war und Kinder hatte, noch woher er stammte oder wie die Bedingungen seiner Arbeit im Verlag waren; andererseits vermittelte er mir den Eindruck, er sehe auch in mir ausschließlich den Autor und daß es ihm recht sei, wenn wir uns in unserer Kommunikation auf unsere Rollen beschränkten. Bald nach Erscheinen meines Shakespeare-Buches verließ er Marti Lipman und zog nach Los Angeles, wo ihm bei Paramount Pictures ein Job angeboten worden war; da lebte ich bereits nicht mehr in Amerika. Ich habe nie mehr etwas von ihm gehört.

8

Im Herbst 1985 kam Carls Brief. Ich überredete Lenny, daß er Suka für eine Woche in seine Obhut nehme. Im Leben meiner Mutter kündige sich eine grundlegende Veränderung an, sagte ich. Mit Lenny und Toni war Suka immer gut gewesen, von Anfang an. Sie schätzte die beiden als nicht konkurrenzfähig ein. Als ich ihr den Kopf streichelte und mich der Tür zuwandte, blickte sie mir nach, als würde ich nur schnell die sprichwörtlichen Zigaretten holen; was mich wiederum in meiner Einschätzung ihrer Instinkte etwas ernüchtern ließ, hatte ich doch damit gerechnet, sie werde die Unruhe, die mich in den letzten Tagen befallen hatte, richtig deuten.

Ich blieb eine Woche in Österreich. Das genügte allerdings, um meinen Lebensplan — wenn ich überhaupt einen gehabt hatte — über den Haufen zu werfen. Meine Mutter wollte also ins Kloster gehen. In was für einer Welt lebte ich eigentlich? Auf dem Rückflug beschloß ich, nach Hause zurückzukehren. Nach Wien nämlich. Nach Wien, wie ich es mir auf dem Friedhof in Queens so sehr gewünscht hatte. Als wäre dort die entscheidende Abzweigung in unserem Leben gewesen. Vor zwanzig Jahren war mein Vater aus Amerika zurückgekehrt, und von diesem Zeitpunkt an waren wir den falschen Weg gegangen. Meine Mutter versuchte auf ihre Weise eine Korrektur; ich hatte es auf meine Weise versucht.

Suka hatte das Fressen verweigert. Sie war in einem erbärmlichen Zustand. Sie hatte sich das Fell an den Pfoten zerbissen, die Haut darunter war wund, an manchen Stellen eitrig. Ihre Augen waren trüb. Als ich vor ihr stand, erhob sie sich mühsam, wartete, bis ich mich zu ihr niederbeugte, dann erst wedelte sie mit dem Schwanz. Ich glaube, wenn ich zwei Tage oder drei Tage früher gekommen wäre, sie hätte ihre Sprünge vollführt, die aussahen, als wäre sie in die Luft geworfen worden; jetzt winselte sie bloß — nicht weil sie zu schwach zum Springen gewesen wäre, sondern weil ihr Mut und ihre Freude gebrochen waren. Sie fand nicht mehr aus dem Schmerz heraus. Lenny und Toni waren verzweifelt — und auch zornig auf mich. Ich hätte das voraussehen müssen, meinten sie — ein Tier, das dermaßen auf einen einzigen Menschen fixiert sei.

Ich erkundigte mich telefonisch bei den Zollbehörden, womit bei einer Ausreise zusammen mit einem Hund gerechnet werden müsse. Genau Bescheid wußte niemand. Sicher war, daß ich eine Bestätigung eines Tierarztes brauchte; der Hund müsse auf jeden Fall gegen alle möglichen Krankheiten geimpft werden. Ohne diese Bestätigung dürfe er das Flughafengebäude nicht einmal betreten. Unmittelbar vor dem Abflug bekomme er ein Beruhigungsmittel gespritzt, anschließend werde er in einen Käfig gesperrt. Wie groß der Käfig sei, fragte ich. Nicht groß genug, daß er sich darin umdrehen könne, hieß es. Die Ausreisebedingungen waren soweit klar; über die Einreisebedingungen in Österreich lagen bei den Zollbehörden am Flugplatz von Bismarck keine gesicherten Bestimmungen vor. Ich solle mich an ein österreichisches Konsulat wenden. Beim Konsulat in New York meinte ein freundlicher Herr, es sei sehr wahrscheinlich, daß mein Hund nach der Ankunft in Wien in Quarantäne genommen werde. Für wie lange, fragte ich. Bis zu drei Wochen. Daraufhin erkundigte ich mich bei der Schweizer Botschaft, wie es die Schweizer Behörden mit einreisenden Hunden hielten. Ich dachte nämlich so: Ich fliege nach Zürich, fahre mit dem Zug bis zur Grenze und schleiche mich bei den Baggerlöchern des Rheins nach Österreich hinüber; ich kannte die Gegend, es würde kein allzu großes Risiko sein. Die Einreise mit Hund in Zürich war allerdings nicht weniger scharf geregelt als in Wien. Ein Tierarzt, hieß es, werde am Flughafen entscheiden, ob der Hund in Beobachtung genommen werde oder nicht. Wie wahrscheinlich es sei, daß er in Beobachtung genommen werde, fragte ich. Das konnte mir die Dame bei der Schweizer Botschaft in New York nicht beantworten.