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Es dauerte gerade achtzehn Tage, bis die Deutsche Wehrmacht die polnische Armee zerschlagen hatte; die technische Überlegenheit der Naziarmee war schockierend. Hitler hielt in Danzig eine Rede, in der er damit prahlte, es werde» sehr schnell der Augenblick kommen, daß wir eine Waffe zur Anwendung bringen, durch die wir nicht angegriffen werden können«. Der britische Premierminister Chamberlain beauftragte Admiral Sinclair vom SIS, mit Hochdruck in Erfahrung zu bringen, um was für Waffen es sich dabei handelte. Der einzige im SIS, der wenigstens über naturwissenschaftliche Grundkenntnisse verfügte, war Major Rupert Prichett; er nahm an den Sitzungen der Arbeitsgruppe teil, in der die Hitlerrede analysiert wurde. Er war auch der einzige, der halbwegs Deutsch sprach (er selbst war es gewesen, der Otto Hahns Aufsatz ins Englische übersetzt hatte). Er erklärte den anderen Herren, daß»Waffe «Singular, nicht Plural sei; daß Hitler also von einer, einer einzigen Waffe gesprochen habe. Das löste eine Panik aus. — Im Mai 1940 trat Chamberlain zurück, und Winston Churchill bildete eine Allparteienregierung.

Im selben Monat traf Carl seinen Studienfreund Eberhard Hametner wieder — und zwar in Ardennes Forschungslaboratorium für Elektronenphysik. Hametner hatte dort eine vorläufige Anstellung gefunden. Er sah ausgezehrt aus, niedergebrannt, ein Schneidezahn fehlte ihm, auf seinem Kopf waren mehrere münzgroße haarlose Flecken, er trug eine dunkle Brille, weil seine Augen nur wenig Licht vertrugen. — Er hatte, weiß Gott, einen weiten Weg hinter sich.

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Gleich nach Hitlers Machtantritt war Eberhand Hametner nach Kopenhagen gefahren. Er hatte eine Einladung von Niels Bohr erhalten, an dessen Institut über seine Forschungen zur Frage der Kernschmelze in der Sonne zu sprechen. Dort erfuhr er, daß in Deutschland Kommunisten eingesperrt wurden. Er schrieb Geoffrey Brown nach England und bat ihn, er möge ein Stipendium für ihn besorgen. Das gelang auch, und Hametner zog nach London. Aus Dank gegenüber Geoffrey spannte er ihm seine Freundin aus. Eberhard habe ja nicht aufgehört, in Helen Abelson verliebt zu sein, und das habe auf sie wohl irgendwann Eindruck gemacht, meinte Carl. Um Geoffrey zu beweisen, daß er nicht einfach ein schäbiges Spiel treibe, machte er Helen einen Heiratsantrag. Sie stimmte zu; knapp ein Jahr später wurde ihr Sohn geboren. Als das Stipendium abgelaufen war, bekam Hametner eine wenig attraktive Stelle im Television Laboratory bei EMI (

His Master’s Voice) angeboten. Er und Helen zogen mit dem Kind nach Hayes in Middlesex. Die beiden und auch Geoffrey Brown setzten viel in Bewegung, um Freunden und Kollegen in Deutschland zu helfen, vor allem Einladungen an verschiedene Institute durchzusetzen, damit die Betreffenden Deutschland verlassen konnten. Zu diesem Zweck fuhr Hametner öfter nach Paris. Er lernte Frédéric Joliot-Curie kennen, der damals ebenfalls Mitglied der Kommunistischen Partei war. Auch Sascha Leipunski lernte er kennen; der russische Physiker war auf ein Gastsemester nach Paris gekommen. Leipunski schwärmte Hametner von dem neuen Physikalisch-Technischen Institut in Charkov in der Ukraine vor. Man suche dort dringend Wissenschaftler, die Bedingungen seien außerordentlich komfortabel, in mancher Hinsicht sogar fruchtbarer und animierender als an den Universitäten in den USA. Unter anderem waren dort Kapazitäten wie Weissberg, Pomerantschuk oder Hellmann tätig. Das Institut bot Hametner eine ordentliche Professur und die Leitung eines Kernphysikalischen Instituts an, wenn er sich entschlösse, für wenigstens fünf Jahre in die Ukraine zu kommen. Er sagte zu und übersiedelte mit der Familie nach Charkov. Auch Helen fand Arbeit, sie unterrichtete russische Wissenschaftler in englischer Sprache und leitete zudem einen Literaturkurs. Ihr Kind wurde tagsüber in dem institutseigenen Kindergarten versorgt. Hametner hatte große Freude an seiner Tätigkeit, finanzielle Mittel schienen nahezu unbegrenzt zur Verfügung zu stehen. (Er untersuchte die Wechselwirkung von Neutronen mit Materie. Seine Forschungen bekamen nach der Entdeckung der Kernspaltung Bedeutung für den Aufbau und die Dimensionierung von sogenannten Uranmaschinen.) Und dann änderte sich in kurzer Zeit alles. Der NKWD verhaftete Mitarbeiter des Instituts. Als Hametner protestierte, wurde er ebenfalls verhaftet und ins Butyrka-Gefängnis nach Moskau gebracht. Helen verließ mit ihrem Sohn die Sowjetunion, floh über Riga nach Dänemark; sie bat Niels Bohr zu helfen. Und Bohr half wieder. Er organisierte eine internationale Protestbotschaft, die unter anderem von Irène Curie, ihrem Mann Frédéric Joliot-Curie, von Jean Perris und sogar von Eleanor Roosevelt, der Gattin des amerikanischen Präsidenten, unterzeichnet und an Stalin weitergeleitet wurde. Tatsächlich kam Hametner frei. Aber nicht, weil sich Stalin von den Wissenschaftlern und Amerikas First Lady hatte erweichen lassen, sondern weil er inzwischen einen Pakt mit Hitler geschlossen hatte, in dem unter anderem vereinbart worden war, daß in die Sowjetunion geflüchtete deutsche Kommunisten ausgeliefert würden. Die Beamten des NKWD übergaben den gefolterten, halb verhungerten, an Augenschmerzen leidenden Hametner in Brest-Litowsk an die Kollegen der Gestapo, die ihn nach Berlin in das Gefängnis in der Prinz-Albrecht-Straße brachten, wo er bis zur seelischen Erschöpfung verhört wurde. Diesmal half der Nobelpreisträger Max von Laue, der sowohl Hametner als auch Helen noch aus Göttingen kannte. Er sprach forsch bei der Gestapo vor, nahm alles zusammen, was er an Stimme zur Verfügung hatte, fragte, ob die Herren denn überhaupt eine Ahnung hätten, wen sie da im Gefängnis festhielten, ob sie denn nicht wüßten, was dieser Mann für die deutsche Wissenschaft bedeute. Das zeigte Wirkung. Hametner wurde an von Laue übergeben, damit der ihn für deutsche Zwecke einsetze. Es war allerdings klar, daß er das Land nicht verlassen durfte und daß er von der Gestapo beschattet wurde. Von Laue besorgte ihm die Stelle am Institut von Manfred von Ardenne.