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Das Frühstück am nächsten Morgen verlief wie beschrieben: kühl und in Zeitlupe. Hinterher schlug Margarida vor, wir — sie und ich, nur sie und ich — könnten doch am Inn entlangwandern, die Rucksäcke mitnehmen, Proviant einkaufen und erst am Abend zurückkommen — wenn sich die Launen von König und Königin gebessert hätten, ergänzte ich für mich.

Bei diesem Spaziergang nun öffnete sie mir ihr Herz — und ich ihr das meine auch ein Stück weit.

Den» großen falschen Schritt«, erzählte sie weiter, habe sie getan, als sie allein nach Lissabon fuhr. Sie meinte, es dürfe nicht genügen, ihrem Verlobten lediglich in einem Brief mitzuteilen, daß sie sich von ihm trennen wolle. Sie mußte es Daniel sagen und ihm dabei in die Augen schauen.

Margarida hatte bis dahin noch mit keinem Mann geschlafen. Im Zug von Coimbra nach Lissabon beschloß sie, es mit Daniel zu tun. Sie meinte, es ihm schuldig zu sein. Und sie wollte nicht mehr Jungfrau sein. Carl hatte ihr von seinem Leben in New York erzählt, und sie war sich sehr provinziell vorgekommen. Sie wollte es vorher wenigstens einmal ausprobiert haben.

In Daniels Wohnung waren große Fenster zu einem Garten hinaus, die reichten bis zum Boden. Sie ließen sich schräg stellen, so daß sie in einem steilen Winkel ins Zimmer ragten. Es war später Nachmittag, sie waren eingeschlafen, und als sie erwachten, fiel ein Licht auf die Scheibe, und sie sahen sich darin gespiegelt. Sie lagen beide auf der Seite, Margarida im Rücken des Mannes, der noch immer meinte, ihr Verlobter zu sein. Sie hatten sich mit dem Leintuch zugedeckt. Sein Oberkörper war bis zur Brust frei. Eine Haarsträhne war über sein Gesicht gefallen, im Spiegelbild sah sie aus wie eine zornige, hoch in die Stirn ragende Braue. Margaridas Haar war über die Matte ausgebreitet, auf ihren Wangen lag ein Schimmer der vom Fensterglas gebundenen Sonne. Sie waren im selben Moment aufgewacht und hatten ihr Bild in der Fensterscheibe gesehen. Weiß wie Zementfiguren waren die beiden dort über ihnen. Sie wagte es nicht, sich zu bewegen, schielte zum Fenster hin, bis ihr die Augäpfel in den Höhlen weh taten. Die Bäume und Telefonmasten und der Giebel des Nachbarhauses und die Wolken darüber schlugen durch das Trugbild hindurch, und es fiel ihr leicht, die zwei dort oben als andere zu sehen.

«Ich sagte, daß ich die Verlobung lösen will, daß ich einen anderen heiraten werde. Aber ich wußte im selben Moment, daß es nicht so funktionieren würde, wie ich mir vorgenommen hatte. Nämlich weil bereits ein falscher Schritt getan war.«

Sie fuhr nach Coimbra zurück. Sie teilte ihrem Vater ihren Entschluß mit. Er stellte sich auf ihre Seite. Ohne daß Margarida davon wußte, zahlte er an Daniels Familie eine Entschädigung. Davon erfuhr sie erst viel später.

Carl und Margarida heirateten in der Kirche Santa Cruz, einem Monumento Nacional; darauf hatte ihr Vater bestanden; es sollte eine unübersehbare Geste gegenüber allen sein, die hinter seinem Rücken tuschelten, sollte sagen: Seht her, ich bin nicht nur einverstanden mit diesem Schwiegersohn, ich bin stolz auf ihn. Als Trauzeugen begleiteten sie ein Kollege Mathematiker und eine Kusine, die von Herrn Durao bestellt war, weil sich sonst niemand fand, der Margarida diesen Dienst erweisen wollte. Als Carls Gastlektorat schließlich zu Ende war, folgte ihm Margarida nach Lissabon. Alle ihre Sachen ließ sie im Haus des Vaters, nur ein paar Bücher nahm sie mit. Sie wohnten in der Rua do Salitre über dem Kontor von Bárány & Co., das war eine Viertelstunde von Daniels Wohnung entfernt. Aber sie nahm keinen Kontakt zu ihm auf. Lange Zeit nicht.