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Weil ich es Abe versprochen hatte, deshalb. Weil Abe gesagt hatte, er sei in Carl verliebt gewesen wie in keinen anderen Mann, und daß ihm kein anderer Mann im Leben so weh getan habe wie Carl. Deshalb.

«Woher weißt du überhaupt, daß mir Abe davon erzählt hat?«fragte ich.

«Weil er«— inzwischen hatte ihn seine schlechte Laune wieder in ihr Netz gezogen —»es mir am Telefon gestanden hat. Übrigens, noch während du bei ihm warst. ›Er sitzt drüben am Klavier‹, sagte er. Ich hörte, wie du diese Ballade von dem Indianer geklimpert hast, das war dein Lieblingsstück damals. Abe konnte nichts für sich behalten, gar nichts, nicht einmal einen Tag lang.«

4

Im späten Herbst desselben Jahres verließ Carl fluchtartig New York, und Abe hörte lange Zeit nichts von ihm. Er schrieb ihm ein halbes Dutzend Briefe nach Wien. Carl antwortete auf keinen. Fünf Jahre vergingen, es war Winter, New York versank im Jahrhundertschnee, da stand Carl wieder vor Abes Tür, mager, braungebrannt, mit einem Schafzüchterhut auf dem Kopf und in bester Laune. Er kam aus Kanada, war dort in einem englischen Internierungslager gewesen, aber nur ein Dutzend Tage und war bevorzugt behandelt worden. Er habe geheiratet, erzählte er, seine Frau lebe in Lissabon, er wolle amerikanischer Staatsbürger werden und sich, mindestens solange der Krieg dauere, irgendwo in den Staaten niederlassen, seine Frau werde nachkommen. Er fragte Abe, ob er einer seiner Bürgen bei den Immigrationsbehörden sein wolle.»Jeder Mensch auf der Welt möchte amerikanischer Staatsbürger werden«, sagte Abe.»Aber nicht jeder ist Jake Candor«, antwortete Carl.»Willkommen«, sagte Abe und umarmte ihn. Tatsächlich wurde Carl in einem geradezu mysteriösen Eilverfahren zum Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika erklärt.»Danke für deine Hilfe«, sagte er; und war auch schon wieder spurlos verschwunden.

Zu Beginn des großen Kriegsverbrecherprozesses in Nürnberg erfuhr Abe, daß Edith Stein in Auschwitz ermordet worden war. Abe wußte nicht, ob Carl immer noch in den USA lebte, wie er die Zeit während des Krieges verbracht, wo und woran er gearbeitet hatte, ob er inzwischen in das befreite Wien zurückgekehrt war — ob er überhaupt noch lebte. Er schickte mit der Post der amerikanischen Armee von Nürnberg aus ein Telegramm nach Wien, Rudolfsplatz 2, in dem er Carl dringend bat, mit ihm Kontakt aufzunehmen, es betreffe Edith Stein. Carl rief bei der Nummer an, die ihm Abe im Telegramm angegeben hatte, es war die amerikanische Pressestelle des IMT, und es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie Abe an den Apparat geholt hatten. Als Carl schließlich Abes Stimme hörte, war ihm, als sei keine Zeit vergangen, vor allem nicht so eine Zeit, und Abe empfand es nicht anders.

Edith Stein, berichtete Abe, sei nach der Machtergreifung der Nazis gemeinsam mit ihrer Schwester nach Holland geflohen. Bald darauf hätten die Deutschen das Land besetzt und alle Nichtarier für staatenlos erklärt und die Juden aufgefordert, sich zur Emigration, das hieß: zur Deportation anzumelden. Die Kirchen der Niederlande protestierten dagegen, die Evangelischen kündeten die Verlesung einer Kanzelbotschaft, die Katholiken die Verlesung eines Hirtenbriefes an, darin sollte die Politik der Nationalsozialisten im allgemeinen, ihre Rassenpolitik aber besonders scharf verurteilt werden. Der Reichskommissar für die besetzten Niederlande —»dein Landsmann Seyß-Inquart«— bot den Bischöfen einen Kompromiß an: Wenn sie sich bereit erklärten, den Hirtenbrief seinen Wünschen gemäß abzuändern, verspreche er, alle getauften Juden von der Deportation auszunehmen. Der Erzbischof von Utrecht, Johannes De Jong, nannte den Vorschlag eine Offerte Satans und lehnte ab. Wenige Tage nach der Verlesung von Hirtenbrief und Kanzelbotschaft in den Kirchen der Niederlande holte die SS Edith Stein und ihre Schwester aus dem Kloster ab und verschleppte die beiden zusammen mit Tausenden anderen nach Auschwitz.

«Wir haben ihren Mörder«, sagte Abe.»Er steht hier vor Gericht.«

Carl fuhr nach Nürnberg. Das war im November 1945.

First Lieutenant Abraham Fields war nicht zusammen mit den anderen Mitgliedern des Gerichts, die etwa seinen Rang einnahmen, untergebracht; er war als einer der letzten nach Nürnberg gekommen, und der Quartiermeister hatte die Zimmer in den requirierten Häusern bereits vergeben. Es gab nur wenige Gebäude in Nürnberg, die einigermaßen bewohnbar waren. Der Justizpalast samt nahe gelegenem Gefängniskomplex war merkwürdigerweise von den Bomben verschont geblieben. Die Nürnberger nannten ihre Stadt das» Adolf-Hitler-Gebirge«. Menschen, die ein Leben lang hier gewohnt hatten, fanden nicht einmal mehr ihre Straße. Mauerreste ragten in den Himmel, Kamine, keine Bäume gab es mehr, überall waren Schutthaufen. Abe wurde ein kleines, unversehrtes Haus etwas außerhalb der Stadt zugewiesen. Es war umgeben von einem Obstgarten, und wenn man zum Fenster hinaussah, konnte man sich einbilden, es hätte nie einen Krieg gegeben. Wer hier vorher gelebt hatte, wußte er nicht. Er wohnte zusammen mit zwei Soldaten, die waren zu seinem Schutz bestellt, einer war zudem sein Chauffeur, der ihn jeden Morgen in die Stadt und am Abend wieder nach Hause fuhr. Zu Mittag aß er meistens in dem Hamburger-Grill im Keller des Justizpalastes, für Abendessen und Frühstück versorgte er sich im PX, dem Supermarkt für Armeeangehörige. Auf die Idee, sich mit Basteln von Schmuckkästchen die freie Zeit zu vertreiben, war er gekommen, als er an einem der ersten Tage durch die Stadt gegangen war und einen Mann zwischen den Trümmerhalden beobachtete, der solche Blechschatullen verkaufte. Er saß, in einen schwarzen Mantel gehüllt, auf einem Ziegelstein, vor sich auf einem Brett hatte er etwa ein Dutzend fertiger Kästchen aufgereiht, und ohne den Blick auch nur einmal zu heben, um vielleicht nach Kundschaft zu spähen, klopfte er das Blech für ein nächstes Stück zurecht. Nicht weit von ihm hockten eine Frau und zwei Kinder um einen Behelfsofen, der aus einem zurechtgebogenen Stück Zinkblech und einer Dachrinne gefertigt war. Auf dem Ofen stand ein Topf mit Suppe. Die Frau gab Abe ein Zeichen. Er trat zu ihr hin und sagte:»Ich spreche Deutsch.«—»Kaufen Sie ihm etwas ab«, sagte die Frau. — »Ist er Ihr Mann?«fragte er. — »Und wenn es nicht so wäre?«—»Dann ist es eben nicht so«, gab Abe in dem gleichen Ton zurück. Er ging vor dem Mann in die Hocke, nahm ein Kästchen in die Hand, fragte:»Woraus sind die gemacht?«—»Aus euren Konserven«, gab der Mann unverzüglich zur Antwort, hob langsam den Blick und musterte Abe.»Warum sprechen Sie Deutsch?«fragte er.»Ich habe es gelernt, in Amerika.«—»Und waren Sie schon einmal in Deutschland?«—»Nein.«—»Und gefällt es Ihnen?«Abe zuckte mit der Schulter, sagte nichts. Eine Weile schaute er dem Mann noch bei der Arbeit zu, schließlich spazierte er zurück zum Gerichtsgebäude. Am selben Abend noch säuberte er zwei Konservendosen, in denen gelber Käse aus Texas gewesen war, schnitt sie an den Lötstellen auf, klopfte sie mit einer Steinguttasse auf dem Küchentisch flach, holte aus seinem Necessaire Nagelschere und Nagelfeile und probierte sein erstes Stück. Er durchsuchte das Haus nach Werkzeug und geeignetem Material — Draht, Glas, Stoff. Seine Ansprüche wuchsen, die Kästchen wurden von Mal zu Mal barocker, ihre Konstruktion komplizierter. Es gab zweistöckige mit Schublädchen und einem Deckel mit Scharnier. In den Prozeßpausen zeichnete er Skizzen.