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«Das sind Kunstwerke«, sagte Carl.

«Such dir eines aus«, sagte Abe.»Und wenn du wieder gehst, denk daran: Es ist nicht nötig, daß du dich nicht bei mir meldest.«

«Danke«, sagte Carl.

Abe hatte für seinen Freund ein Feldbett organisiert. In dem Häuschen war Platz genug, Carl hatte ein kleines Zimmer für sich allein, oben zwischen schrägen Wänden.

Am ersten Abend nach Carls Ankunft gingen sie in die Felder hinaus, die gleich hinter dem Haus begannen. Einer der Soldaten folgte ihnen in einigem Abstand.

Erst gingen sie auf einem Feldweg. Das Gras auf dem Mittelstreifen war aufgeschossen und verdorrt und vom Wind zur Seite gekämmt worden. Wer war in den vergangenen Sommern hier gegangen, mit einem Fuhrwerk gefahren, einem Traktor? Sie kamen an einem Bauernhof vorbei, in einem der Fenster brannte Licht. Neben dem Scheunentor lehnten Schaufeln, Rechen, Harken. Sie verließen den Weg, schritten über das Gras hinweg, über Stoppelfelder, über Herbstklee.

«Du bist übrigens Journalist für eine kleine deutsche Zeitung in Minnesota«, sagte Abe.»Denk dir einen Namen aus, einen deutschen, den vergessen sie gleich wieder. Als die Nazis in Österreich einmarschiert sind, bist du geflohen. Weil du Halbjude bist oder Vierteljude. Den Unterschied kennen sie nicht und ist ihnen auch egal. Du bist unter deinem amerikanischen Namen akkreditiert.«

«Und wenn das jemand nachprüft?«fragte Carl.

«Dafür interessiert sich hier niemand.«

Sie gelangten an einen Bach, der von Weidenstümpfen gesäumt war. Er schlängelte sich durch die Wiese, sein Wasser blitzte und zog lautlos dahin, träg wie Öl. Kein Rufen von einem Tier. In ihrem Rücken den Soldaten, der durch die Nase atmete. An den Schläfen spürten sie einen matten, kühlen Hauch von den Hügeln herunter. Es roch säuerlich nach Sägemehl. Der Boden war moosig, an manchen Stellen versanken die Stiefel knöcheltief im Weichen, und wenn man sich auf die Absätze stellte, sanken sie noch tiefer ein. Das Mondlicht zeichnete die Silhouette der Hügel ringsum. Kein Weg war von hier aus zu sehen, kein Haus.

«Und daß ich mit ihm sprechen kann?«fragte Carl.

«Bist du verrückt! Völlig ausgeschlossen.«

«Mach es möglich!«bat Carl.»Behaupte einfach, von einem Journalisten sei nie die Rede gewesen. Ein Mißverständnis. Behaupte, ich sei ein aus Wien geflohener, sechzehnteljüdischer Psychologe.«

«Weißt du, was ein Rorschachtest ist?«

«Nein.«

«Schon durchgefallen, Jake. Ich werde dich zu Hause einem Rorschachtest unterziehen, dann weißt du es. Und deinen IQ werde ich auch messen.«

Abe machte es möglich. Nachdem Carl den Prozeß einige Tage lang von der Pressetribüne aus verfolgt hatte, stellte ihn Abe einem amerikanischen Oberst vor. Der schaute ihm gelangweilt in die Augen und nickte, und das war alles.

Dr. Jakob C. Candor nahm allerdings nur an einem einzigen Tag als Assistent von First Lieutenant Dr. Abraham Fields an der Verhandlung teil. Nach diesem Tag hatte er bereits genug.»Es war allerdings auch ein höchst bemerkenswerter Tag«, erzählte mir Abe.»Ein wahnsinniger Tag.«

5

An diesem Tag verhandelte das Gericht die Okkupation Österreichs durch die Hitlertruppen. Carl und Abe saßen an einem eigenen Tischchen — eine Aktentasche breit, zwei lang —, aber ihr Platz bot freien Blick zu der Bank mit den Angeklagten. Sie waren schließlich Psychologen und mußten das Mienenspiel der Angeklagten beobachten können. Abe trug Uniform, Carl eine Armbinde. Vor beiden lagen Block und Bleistift.

Die Anklage schilderte die Vorgehensweise Görings, er hatte» das Unternehmen Otto«, wie die Operation genannt wurde, geleitet. Die österreichischen Nazis, so der Plan, sollten Unruhen anzetteln, Straßenschlachten provozieren und so weiter, daraufhin sollte Bundeskanzler Seyß-Inquart von Berlin militärische Hilfe erbitten, damit Ruhe und Ordnung wiederhergestellt würden. Das Telegramm, das Seyß-Inquart an Hitler schicken sollte, diktierte ihm Göring von Berlin aus ins Telefon. Aber das Diktieren wurde dem Reichsmarschall zu langweilig, und in seiner Ungeduld rief er in den Hörer — der Vertreter der Anklage zitierte wörtlich, Göring hatte nämlich alle seine Telefonate und Gespräche stenographieren lassen:»Ach was, Seyß! Sie brauchen gar nichts zu schicken, ich habe das Telegramm ja vor mir. Sparen wir uns den Umweg!«— Ein knallender Lacher von der Anklagebank: Göring. — Die Anklage zitierte nun aus einem anderen Telefongespräch, nämlich jenem, das Göring am 13. März 1938, einen Tag nach der Okkupation, mit Ribbentrop geführt hatte. Er gab darin dem Außenminister des Deutschen Reiches, der gerade in London weilte, Anweisungen, wie er den Einmarsch in Österreich gegenüber den Engländern rechfertigen solle. — Und die Verlesung dieses Dokuments geriet zu einer wahnsinnigen Komödie.

Göring schien an diesem Prozeßtag besonders gut gelaunt zu sein, am Beginn der Sitzung hatte er mit angedeuteter Verbeugung und Handkuß eine amerikanische Journalistin gegrüßt, die er von früher her kannte. Als ihm mitgeteilt wurde, er solle das unterlassen, antwortete er, er wolle doch nicht glauben, daß es in der Kompetenz dieses Gerichtes liege, einem Mann die guten Manieren zu verbieten; und erntete damit eine Heiterkeit auf der Pressetribüne, die lange nicht abebbte, zumal er mit jener Journalistin einen clownesken Flirt aus Gesten und Blicken zu spinnen begann. Sogar der Chefankläger Mr. Jackson hatte geschmunzelt — was ihm Göring mit einem zugeworfenen Handkuß dankte und dafür abermals Gelächter erntete. Nun, als er im Kopfhörer seine damals an Ribbentrop gerichteten, erst ins Englische, anschließend von einem Dolmetscher ins Deutsche zurückübersetzten Worte hörte, platzte Göring heraus vor Lachen. Er hatte einen ansteckenden Lacher, und was vorgelesen wurde, war ja auch komisch. Doppelt komisch sogar — erstens einmal, weil die Übersetzung doch ziemlich plump war, zum anderen, weil die Art, wie Göring am Telefon über die Sache geredet hatte, in so eklatantem Widerspruch zum Ereignis, nämlich dem Überfall auf einen souveränen Staat, stand.