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«Bei mir gibt es diesbezüglich nichts rauszukriegen.«

«Ich bin für Apartheid zwischen Juden und allen anderen, müssen Sie wissen. Ich plädiere für zwei Formeln der Begrüßung aller Menschen auf dieser Erde. Entweder: Ich bin Jude, stört Sie das? Oder: Ich bin kein Jude, stört Sie das? Was halten Sie davon?«

«Ich glaube nicht, daß ich darüber nachdenken möchte. Ich glaube nämlich, Sie meinen das nicht ernst.«

«Überlegen Sie: Auf diese Weise würden solche, die Juden nicht mögen, erst gar nicht in Kontakt zu Juden kommen. Das gleiche gilt für Juden, die keinen Kontakt zu Nichtjuden haben wollen. Und solche, die nichts gegen Juden haben, müßten nicht überlegen: Ist er ein Jude und meint womöglich, ich hätte etwas gegen Juden, oder ist er kein Jude und meint, ich sei Jude, und er hat etwas gegen Juden, oder er meint, ich hätte etwas gegen Nichtjuden? Durch meine Formel würden Argwohn und unnötige Ablenkung von dem eigentlichen Thema, über das sich zwei Menschen unterhalten wollen, von vornherein gar nicht aufkommen. Was meinen Sie?«

«Ich habe noch nie, wenn ich mit jemandem geredet habe, darüber nachgedacht, ob er ein Jude ist oder nicht.«

«Aber woher wissen Sie, ob Ihr jeweiliger Gesprächspartner nicht darüber nachdenkt?«

«Hundertprozentig genau weiß ich das natürlich nicht. Ich kenn’, glaub’ ich, gar keinen Juden. Aber warum sollte zum Beispiel in China jemand jemanden fragen, ob jemand anderer ein Jude ist.«

«Nicht fragen, ob er ein Jude ist! Sagen: Ich bin einer oder ich bin keiner, es stört mich, wenn Sie einer sind, oder es stört mich nicht, wenn sie einer oder wenn Sie keiner sind. Das ist ein Unterschied. Glauben Sie, in China gibt es keine Juden?«

«Das weiß ich doch nicht. Ich war noch nie in China. Außerdem glaube ich, alle Menschen sind gleich. Jedenfalls sollte man alle gleich behandeln.«

«Ich glaube das nicht. Und auch wenn Sie sagen, Sie glauben das, denken Sie weder so, noch handeln Sie danach in Ihrem alltäglichen Leben.«

«Woher wollen Sie das wissen, bitte?«

«Sonst würden Sie in den gleichen Worten mit Ihrem Vater sprechen, wie Sie mit mir sprechen. ›Ich bin‹ heißt zunächst ›Ich bin anders‹. ›Alle sind gleich‹ heißt also ›Keiner ist, wie er ist‹. Aber es möchte doch keiner so sein, wie er nicht ist. Geben Sie mir recht? Die Ungleichheit zwischen einem Juden und einem Nichtjuden hat, von der Beschnittenheit des Juden abgesehen, kein verläßliches, sinnlich wahrnehmbares Merkmal. Rein äußerlich unterscheidet sich Moses nicht sonderlich von den Ägyptern, Judas Makkabäus nicht von den Griechen, Bar Kochba nicht von den Römern und Robert Lenobel nicht von Jörg Haider. Also sollte man gleich zu Beginn jedes Kommunizierens, am besten in eine Begrüßungsformel verpackt, die sich jeder leicht merken kann, darauf hinweisen: Ich als Jude bin anders als Sie, der Sie ein Nichtjude sind. Und umgekehrt.«

«Genau das wäre rassistisch, denke ich.«

«Spinnerei, was Sie da sagen! Ob Sie so denken, bezweifle ich erneut. Das haben sich eure nichtjüdischen altlinken Achtundsechziger ausgedacht. Uns Juden haben das unsere jüdischen altlinken Achtundsechziger beibringen wollen. Zu welchem Zweck aber? Damit jeder nach außen hin so tue, als gäbe es keine Unterschiede. Im Inneren aber denkt man sich, es muß doch welche geben, es kann die Geschichte nicht so ein meschuggenes Ding sein, das über Jahrhunderte ein Pogrom nach dem anderen aufführt, ohne daß es einen Grund dafür gäbe?«

«Auch auf die Gefahr hin, daß ich jetzt nachplappere, was mir jüdische oder nichtjüdische Achtundsechziger vorgeplappert haben: Wenn einer sagt, es gibt einen Grund dafür, daß es immer Verfolgungen gegeben hat, so meint er doch in neunzig Prozent der Fälle, die Juden haben selber Schuld.«

«Ja, Sie plappern tatsächlich nach. Sie plappern nach, aber Sie denken nicht nach. Wenn die Kuh nicht wie der Ochs ist, ist ja auch nicht die Kuh schuld. Und nebenbei gesagt, der Ochs auch nicht. Die Mahnmale nach dem Holocaust, was sagen die? Wenn sie von Nichtjuden errichtet werden, steht dahinter der vom schlechtesten Gewissen aller Zeiten befohlene Sühnewunsch, nämlich: selbst ein Jude zu sein — ein Ehrenjude sozusagen, wobei die Ehre darin besteht, einer zu sein, der nichts gegen Juden hat. Diese Mahnmale sind umgedrehte Verdienstkreuze, die sich die Gojim an die Brust heften. Und Jad Vashem? Waren Sie schon einmal in Israel?

«Auch nicht, leider.«

«Merkwürdig. Jedesmal, wenn ich dort war, habe ich deutsche Jungen und Mädchen gesehen, die ihre Stirn gegen die Klagemauer schlugen.«

«Sie sind sehr ungerecht. Aber ich glaube immer noch nicht, daß es Ihr Ernst ist.«

«Haben Sie sich jemals überlegt, warum sich die deutsche Linke von allen nationalen Befreiungsbewegungen auf der ganzen Welt ausgerechnet in die der Palästinenser so sehr verknallt hat? Doch nicht etwa, weil ihnen deren Feind als Feind so nahe steht? Oder vielleicht gerade deshalb? Ich mache Ihnen einen anderen Vorschlag: Wenn ein Mensch einen anderen Menschen zum erstenmal trifft, soll er entweder sagen: ›Ich bin Jude. Falls du keiner bist, will ich dir nur mitteilen, daß ich dir nicht vorwerfe, was unsereinem von euereinem angetan wurde.‹ Genau das sagen all die Jad Vashem. Oder, wenn dieser Mensch kein Jude ist, soll er sagen: ›Falls du ein Jude bist, sei versichert, ich werfe dir nicht vor, daß du mir vorwirfst, was unsereiner euereinem angetan hat.‹ Das steht in den Gesichtern der Nichtjuden geschrieben, die Jad Vashem besuchen. Ist das besser? Wir bewegen uns in die Zukunft wie der Engel der Geschichte. Im Rückwärtsgang nämlich. Den entsetzten Blick nach hinten gerichtet, wo sich die Leichen der Ermordeten bis in die Wolken hinauf türmen. Und weil uns der Wind, der aus dem Paradies weht, weg von den Leichen nach vorne treibt, meinen wir, wir hätten das Recht, die Leichen als Argumente für irgend etwas zu verwenden, damit sie wenigstens für irgend etwas verwendet werden. Wer hat Ihrer Meinung nach Jesus Christus umgebracht?«

«Keine Ahnung. Ich war damals noch nicht auf der Welt.«

«Kein guter Witz.«

«Keine gute Frage.«

«Die Frage ist nicht so schlecht. Die Antwort könnte lauten: Die Juden haben ihn umgebracht.«

«Ich denke, die Römer haben ihn umgebracht.«

«Warum denken Sie das?«

«Es gibt historische Belege, denke ich.«

«Über Jesus Christus existiert nicht ein einziger gesicherter historischer Beleg. Zum Glück gibt es die Römer. Schließlich haben die Deutschen ja nicht sechs Millionen Römer ermordet. Angenommen, sie hätten, dann wären für unsere lieben nichtjüdischen altlinken Achtundsechziger bestimmt die Juden die Christusmörder gewesen. Meinen Sie nicht auch?«

«Das habe ich nicht richtig mitbekommen. Aber wenn ihn tatsächlich die Juden umgebracht hätten? Und? Ich kann mir vorstellen, daß es fünfzig fünfzig steht. Daß die Römer ungefähr ähnlich wahrscheinlich die Mörder von Jesus sind wie die Juden, oder? Aber den Italienern hat man das nie vorgeworfen. Das kommt übrigens nicht von mir, das kommt von meinem ehemaligen Geschichtslehrer. Mich interessiert dieses Thema nicht besonders, tut mir leid. Das werden Sie als Jude mir sicher vorwerfen. Aber das Thema interessiert mich einfach nicht besonders. Geschichte überhaupt nicht so sehr. Ich bin kein Jude, Sie sind Jude. Was ist der Unterschied?«

«Das will ich Ihnen sagen: Der Holocaust hat das Buch ersetzt. Das ist eine bestürzende Diagnose. Über zweitausend Jahre war die Tora der Stab, an dem sich jeder Jude festhalten konnte, wenn er sich auf schwankendem Boden durch die Finsternis bewegte. Ich bin Jude, weil meine Mutter Jüdin ist, ja, das auch, aber zuvorderst doch: Ich bin Jude, weil ich glaube, was in der Bibel steht. Und nicht nur das. Ich brauche die Bibel nicht einmal zu lesen. Ich bin Jude, weil ich weiß, daß die Bibel unser Buch ist. Die Tora ist uns, und zwar nur uns Juden geschenkt worden von Gott. Heute heißt es: Ich bin Jude, weil ich zu denen gehöre, die Hitler ausrotten wollte. Und die Juden sind eifersüchtig auf jeden Massenmord — auf die Opfer von Stalin, die Opfer der Roten Khmer, den Völkermord in Ruanda. Immer muß dazugesagt werden: Halt, das läßt sich nicht mit dem Holocaust vergleichen! Aber wer will denn vergleichen? Kein Mensch mit halbwegs gesundem Verstand will Massenmord mit Massenmord vergleichen. Aber viele Juden und noch mehr gojische Ehrenjuden predigen dauernd, der Holocaust lasse sich nicht vergleichen. Als ob es einen Wettbewerb im Fach Grauen gäbe. Warum predigen sie das dauernd? Ich halte das für einen klassischen Fall von Übertragung. Die Ehrenjunden, weil sie einen Dämon in sich spüren, der eben doch vergleichen will, nämlich mit dem perversen Wunsch, daß herauskommen möge, der Holocaust war nicht so schlimm wie sein Ruf, denn der Ruf des einen relativiert sich am Ruf des anderen. Die Juden aber vergleichen — und als Jude finde ich das besonders traurig —, weil sie nicht mehr glauben, das Buch habe die Kraft, uns zu einigen. Niemand weiß mehr, wovon im Deuteronomium berichtet wird, aber jeder kennt die Zahl der in Auschwitz ermordeten Juden. Und wenn es früher hieß, den Juden, und zwar allein den Juden ist das Wort Gottes geschenkt worden, dann heißt es jetzt: Den Juden, und zwar allein den Juden ist der Holocaust geschenkt worden.«