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»Mensch, Winston, alter Kater! Dich habe ich aber lange nicht mehr geknuddelt. Ich habe dich schon richtig vermisst.«

Schnurr, schnurr, SCHNURR! Das geht mir umgekehrt genauso. Was allerdings erstaunlich ist. Hätte man mir vor ein paar Monaten erklärt, dass ich mich mal freiwillig von einem Kind auf den Arm nehmen lassen würde – ja, dass ich mich sogar darauf freuen würde –, ich hätte mich schlappgelacht. Bevor ich Kira und ihre Freunde kennenlernte, mochte ich Kinder nämlich überhaupt nicht. Sie waren mir meistens zu laut und zu wild. Mittlerweile muss ich aber zugeben, dass mein Leben ohne Kinder ganz schön langweilig war. So … RUHIG!

»So, ihr beiden Schmusekatzen«, mischt sich Tom ein, guckt dabei vorwurfsvoll über den Rand seiner großen braunen Hornbrille und kräuselt seine Nase mit den vielen Sommersprossen, »genug gekuschelt! Ich brauche jetzt ganz dringend ein Spaghettieis mit extra viel Raspelschokolade. Lasst uns endlich bestellen. Der heutige Schultag hat mich echt völlig geschrottet!«

»Wieso? Was war denn so schlimm bei dir?«, erkundigt sich Kira mitfühlend. »Ich fand’s eigentlich ganz in Ordnung.«

»Tja, wenn ich ’ne Zwei statt ’ner Vier in Mathe zurückbekommen hätte, würde ich mich auch nicht beschweren. Aber vor allem«, Tom seufzt schwer, »killt mich die neue Klassen-Buddy-Idee von Herrn Prätorius. Aber so was von!«

Herr Prätorius ist der Biologielehrer der 7c und gleichzeitig ihr Klassenlehrer. Ein sehr netter Mensch – und ein großer Katzenliebhaber, natürlich! Insofern wundert es mich, dass er eine Idee gehabt haben soll, die Tom so schrecklich findet. Auch wenn ich mir unter einem Klassen-Buddy rein gar nichts vorstellen kann, bin ich mir sicher, dass es eine gute Sache ist. Mit dieser Meinung stehe ich offensichtlich nicht allein da.

»Was hast du denn gegen die Idee? Ich fand sie ganz gut«, wundert sich Pauli und fährt sich mit den Händen durch ihre Haare, die ziemlich wild in alle Richtungen abstehen und pechschwarz sind. Pauli sagt von sich selbst immer, sie sei ein Punker, was offenbar bedeutet, dass sie die Haare so tragen muss. Und zerrissene Jeans und T-Shirts noch dazu, gekrönt von dick schwarz umrandeten Augen. »Wenn klar ist, wer sich um deine Arbeitsblätter und Hausaufgaben kümmern soll, falls du mal krank bist, kannst du wenigstens sicher sein, dass es auch wirklich einer macht. Das war doch sonst eher Glückssache und hat auch öfter mal überhaupt nicht geklappt.«

»Stimmt«, gibt ihr Tom recht. »Dagegen habe ich auch nichts. Aber dass die Buddys ausgelost worden sind, das finde ich einfach doof. Ich meine, wir hätten uns doch selbst um die Verteilung der Partner kümmern können. Dann hätte jeder einen Buddy bekommen, der halbwegs nett ist.«

Kira und Pauli zucken fast gleichzeitig mit den Schultern.

»Ist doch nicht so schlimm«, sagt Kira dann. »So oft kommt das schließlich auch nicht vor. Man kann ruhig mal Arbeitsblätter für jemanden mitnehmen, den man nicht so toll findet.«

»Ach ja?« Tom schaut sehr skeptisch. »Wen hast du denn zugelost bekommen?«

Kira zögert einen Moment, dann rückt sie mit der Sprache raus. »Äh, ich habe Pauli gezogen.«

Tom reißt die Augen auf. »Ernsthaft?«

»Ja, echt ein Riesenzufall.«

»Wie bitte? Wir haben achtundzwanzig Schüler in der Klasse, es waren also vierzehn Namen in der Lostrommel, die die übrigen vierzehn ziehen mussten – und du erwischst ausgerechnet Paulis Zettel? Das glaube ich nicht! Du hast bestimmt geschummelt.«

Kira sagt nichts, Pauli fängt an zu kichern.

»Na ja, ein bisschen nachgeholfen haben wir schon. Kira hatte erst Emilia, aber den Zettel hat sie schnell wieder in die Schachtel geworfen.«

Verstehe ich vollkommen. Emilia ist zusammen mit ihrer Freundin, der fiesen Leonie, das mit Abstand schrecklichste Mädchen in der 7c. Unfreundlich, arrogant – und auch nicht gerade die hellste Kerze auf der Torte. Alles in allem also eine sehr unerfreuliche Mischung. Der würde ich auch nicht gern die Hausaufgaben vorbeibringen, wenn sie krank ist.

»Tja, beim zweiten Mal Ziehen hatte ich dann mehr Glück«, bestätigt Kira. »Da hatte ich Pauli. Gut, oder?«

Tom seufzt noch einmal sehr tief.

»Wen hast du denn erwischt?«, will Pauli von ihm wissen. Tom holt tief Luft und bläst seine Backen auf, bevor er antwortet.

»Emilia. Ich habe Emilia gezogen.«

Maunz! Als Kater bin ich natürlich kein Experte in Sachen Losverfahren – aber ich denke, die beiden Mädchen sollten Tom schleunigst ein sehr, SEHR großes Spaghettieis ausgeben!

Musik liegt in der Luft.

Und Männer sind auch Menschen.

»Danke, Herr Professor! Wirklich vielen Dank!«

Nanu, was ist denn hier los? Kira, Pauli und ich kommen gerade in dem Moment in die Wohnung, in dem Anna Werner mit Schwung um den Hals fällt. Das ist sonst eigentlich nicht ihre Art. Also, ich meine, normalerweise halten Werner und Anna immer ein bisschen Abstand. Nicht so, dass man denken könnte, dass sie sich nicht mögen. Im Gegenteil – ich glaube, die beiden verstehen sich sogar richtig gut. Aber so wie ich meinen alten Werner kenne, wird der schüchtern, wenn er jemanden sehr mag. Und ich glaube, er mag Anna sehr. Seitdem Anna und Kira bei uns wohnen, benimmt er sich jedenfalls anders als all die Jahre davor. Zum Beispiel achtet er mehr auf sein Äußeres. Gepflegt war Werner natürlich immer, aber neuerdings verbringt er verdächtig mehr Zeit vor dem Spiegel. Dann wuschelt er sich seine braunen Locken mit den grauen Strähnen mal in die eine, mal in die andere Richtung. Das ist allerdings völlig sinnlos, denn bei Werners Frisur macht es gar keinen Unterschied, ob die Locken nach links oder rechts springen: Sie sieht immer ziemlich verwegen aus. Seit Kurzem scheint sich Werner überdies auch genau zu überlegen, was er anzieht. Und wenn ihm dann nicht gefällt, was er im Spiegel sieht, zieht er sich sogar noch mal um. Das ist völlig neu! Als Olga, Annas Schwester, noch unsere Haushälterin war, hat er das jedenfalls nie gemacht. Ich werde das genauer beobachten!

Jetzt will ich allerdings erst einmal wissen, warum Anna mein Herrchen denn nun so begeistert umarmt hat. Anna strahlt immer noch über das ganze Gesicht und Werner steht ein bisschen verlegen da. Ich trabe näher an die beiden heran und spitze die Öhrchen.

»Gern geschehen, Anna. Es wäre doch viel zu schade, wenn dieser schöne Flügel zu einem reinen Möbelstück verkäme. Also, wenn Sie ab und zu darauf spielen würden, würde ich mich sehr darüber freuen.«

Ach so. Es geht um dieses komische Klavierdings, das neuerdings unser Wohnzimmer blockiert. Der Flügel. Komischer Name für ein Klavier, oder? Wenn ich es richtig verstanden habe, ist Werners Mutter Erika von einem großen Haus in eine kleine Wohnung gezogen und konnte das Ungetüm nicht mitnehmen. Da Werner von seinen Geschwistern mit Abstand die größte Wohnung hat, haben wir das Riesenteil geerbt. Offenbar ist es wertvoll und sollte daher nicht, wie die anderen Möbel, auf den Sperrmüll. Tja. Und so verstellt es jetzt unser schönes Wohnzimmer. Und das, obwohl es ganz offenbar ein Instrument ist und Werner völlig unmusikalisch.

Kira räuspert sich. »Hallo, Mama, hallo, Herr Hagedorn! Ich habe Pauli mitgebracht – ich hoffe, das ist in Ordnung! Die letzte Stunde ist ausgefallen, Pauli hat ihren Schlüssel vergessen und ihre Mutter ist noch nicht zu Hause.«

»Kein Problem«, brummt Werner und Anna nickt zustimmend.

»Ich habe sowieso mal wieder zu viel gekocht«, sagt sie und lacht. »Da können wir jede Unterstützung beim Essen gebrauchen.«

»Super, danke!«

Wir pilgern weiter in Richtung Kiras Zimmer. Als Kira und Anna bei uns eingezogen sind, haben sie sich zunächst das Gästezimmer geteilt. Aber als dann klar wurde, dass die beiden bleiben würden, hat Werner sein großes Arbeitszimmer geräumt und seinen Schreibtisch in das kleine Zimmer neben der Küche gestellt. Das war bis dahin eine Rumpelkammer mit Fenster, aber nun, aufgeräumt und frisch gestrichen, sieht es gar nicht mal so schlecht aus. Kira wohnt im alten Gästezimmer und Anna im ehemaligen Arbeitszimmer und Werner hat es jetzt deutlich kürzer zum Kühlschrank, wenn er für das Nachdenken über irgendein wahnsinnig kompliziertes physikalisches Problem dringend einen Joghurt oder ein Wurstbrötchen braucht. Nur für mich hat sich nichts geändert: Mein Körbchen steht immer noch in dem langen Flur, schräg gegenüber der Wohnungstür.