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»Ich höre nicht, was du sagst, Mabel. In meinen Ohren dröhnt es ganz fürchterlich, und mir ist so schwindelig.« Sein Kilt bauschte sich auf wie in einer steifen Brise, und das Schwert in seiner Brust sah blind und rostig aus.

Aber bevor die Hexe ihren Mann genauer ansehen konnte, drang ein entsetzlicher Schrei vom Ostturm in ihre Ohren. Natürlich war es George, der da schrie, aber es war nicht der laute und lustvolle Schrei, an den sie gewöhnt waren. Es war ein heiseres, jammervolles Schreien, der Schrei von jemandem, der Schmerzen hat.

»Was ist denn nur mit uns los?« jammerte die Hexe. Sie schwebte zum Turm hinauf und barg George in ihren Armen. Die Umrisse seines Schädels waren erschreckend verwischt, und die Knochen fühlten sich weich wie Butter an.

»Was hast du denn, mein Liebling, was hast du?« »Es tut weh«, schrie George, »weh, weh, weh!« Die Hexe hielt ihn liebevoll in ihren Klauen, vergaß ihre Rückenschmerzen und flog hinunter, um nach den anderen Kindern zu sehen.

Winifred lag auf den Stufen, die in das Verlies hinunterführten. Sie war wie gelähmt. »Meine Schale ist weg, Mummy. Meine Schale ist kaputt. Meine Schale ... «

»Etwas Schreckliches geht hier vor.« Die Hexe war verzweifelt. »Wir müssen zusammenbleiben. Wo ist Humphrey?«

Bevor sie nach Humphrey suchen konnte, kam Tante Hortensia angeflogen. Ihre knotigen Knie ragten wie Ladestöcke hervor, ihr Halsstumpf war steif wie ein Brett. »Ich bin erstarrt, Mabel«, sagte sie und flog im Raum herum wie ein großes Eisenkreuz. »Ich kann mich überhaupt nicht mehr bewegen. Und mein Kopf ist wie aus Stein.«

Überall im Asyl geschahen furchtbare Dinge. Dinge, die keiner erklären oder verstehen konnte. Der Verrückte Mönch hatte große rote Beulen bekommen, die aus seinem Plasma hervorbrachen. Walter der Nasse wurde aufs Land geschleudert, er war knochentrocken. Das eine Auge vom Schack wurde weiß und schloß sich ganz, so daß er Tante Hortensias eisenharten Kopf mit lautem Poltern fallenließ und sich heulend unter einem Baum verkroch.

Ughtred und Grimbald lagen stöhnend am Boden und hielten sich den Bauch. Die Ladys verloren allmählich ihre Farbe. Das Blau der Blauen Lady verblaßte, die Grüne Lady verlor ihr Grün, und die Graue Lady wurde völlig farblos.

»Der Teufel und all seine dunklen Schatten mögen uns beistehen«, schrie die Hexe. »Was kann das nur sein? Und wo ist mein Kleiner? Wo ist Humphrey?«

»Es ist eine Seuche«, schrie Susi, die mit einem gebrochenen Flügel mühsam angeflogen kam. »Meine Jungen können nicht mehr fliegen. Sie sind zu schwach, um die Höhle zu verlassen. Seht euch mein Baby an, meine kleine Rose!«

Susi öffnete ihre Bauchtasche, und die Geister betrachteten voller Schrecken das schwächliche graue Wesen, das sich darin befand. Roses Augen waren trübe, ihre Fänge hingen blutig herab, ab und an stieß sie einen herzbewegenden Schmerzensschrei aus.

»Ich will euch nicht beunruhigen«, meinte der Schwebende Kilt, »aber seht euch mal meinen rechten Arm an.«

Seine Stimme klang so besorgt, daß sie sich alle gleichzeitig nach ihm umdrehten. Unterhalb des Ellbogens löste sich sein starker schottischer Plasmararm in Nichts auf.

»Das mache ich nicht selbst«, stieß der Schwebende Kilt mühsam hervor. »Es geschieht mit mir. Ich kann es nicht aufhalten. Ich werde aufgelöst, ausgelöscht, umgebracht.«

Diese schrecklichen Worte trafen die Geister wie ein Pfeil, der ihre Herzen durchdrang.

»Hamish!« jammerte die Hexe und warf sich gegen den von Unheil gezeichneten Körper ihre Gemahls. Winifred wimmerte: »Daddy, Daddy!«

Ein schwacher Schrei war von dem sich auflösenden George zu hören.

Schließlich war es Humphrey, der eine Erklärung für all die schrecklichen Dinge fand, die ihnen zustießen. Es war ein Humphrey, den keiner wiedererkannt hätte. Sein Geisterplasma sah wie ein altes Geschirrtuch aus, das man wochenlang in schmutzigem Abwaschwasser liegengelassen hatte. Seine Augenhöhlen glichen schmierigen Kohlenstückchen. Kette und Kugel, die er hinter sich herschleifte, schienen zu schwer für ihn zu sein.

»Mummy, Daddy ... ihr alle ... schreckliche Männer... sie umzingeln das Asyl. Männer in schwarzen Mänteln mit weißen Kragen. Sie sagen furchtbare Dinge ... Sie wedeln mit Vogelbeerzweigen ... «

Tante Hortensia stieß einen so markerschütternden Schrei aus, daß alle erstarrten. »Exorzismus! Das ist es. Exorzismus!«

»Was ist... Exorzismus ... Tantchen?« wollte Winifred wissen, die noch immer die Luft nach ihrer Wasserschale absuchte.

»Es ist die einzige Möglichkeit, Geister umzubringen, sie an ihren Ursprungsort zurückzuschicken. Zaubersprüche, Gebete, Ebereschenzweige, ein Ding, das man Drudenfuß nennt... das alles wird angewendet. Ach, meine Lieben«, Tante Hortensia wurde gefühlvoll im Angesicht des Todes. »Mit uns geht es zu Ende. Wir sind erledigt.«

»Aber wer, wer sollte uns denn ... exorzieren wollen?« Walter der Nasse hatte sich ins Schloß geschleppt. Er knisterte vor Trockenheit und hatte kaum noch die Kraft, etwas zu sagen.

»Ich habe drei Geistliche gesehen«, flüsterte Humphrey. »Und einen blassen Mann mit schwarzen Haaren, der sie antrieb. Ich glaube, das ist der Mann, den wir beim Premierminister gesehen haben. Der gesagt hat, wir könnten hier leben.«

»Lord Bullhaven!« schrie der Schwebende Kilt. Verzweifelt blickten die Geister einander an, als sie begriffen, was passiert war.

»Eine Falle«, sagte die Hexe, die ihren schwindenden Gatten im Arm hielt. »Wir sind in eine Falle gegangen.«

13. Kapitel

Und so war es. Die Geister waren in eine Falle gegangen, in eine schreckliche und gefährliche Falle. Lord Bullhaven war ganz und gar nicht das, was er zu sein vorgab. Keineswegs war er der freundliche reiche Mann, der den armen heimatlosen Geistern einen Platz anbot, an dem sie in Frieden leben konnten. In Wirklichkeit hatte er beschlossen, so viele Geister wie möglich an einen Ort zu locken und sie zu beseitigen.

Das mag einem nicht nur grausam, sondern auch dumm vorkommen. Denn auch wenn man Geister nicht besonders mag, muß man doch zugeben, daß sie niemandem Schaden zufügen. Aber Lord Bullhaven konnte nichts ertragen, was auch nur im geringsten vom Üblichen oder Normalen abwich. Er wohnte in einem großen Haus auf dem Land, das Bullhaven Hall hieß. Es war ein sehr ordentliches, langweiliges Haus mit vielen quadratischen Räumen und geraden Korridoren. Auch der Garten war quadratisch und gerade. Wenn ein strahlendblauer Ehrenpreis oder ein goldäugiges Gänseblümchen oder eine purpurrote Mohnblume wild auf einem seiner Kieswege zu wachsen wagte, schrie Lord Bullhaven nach dem Gärtner, und der mußte sie mit einem Unkrautvernichtungsmittel umbringen.

Sein Gartenteich sah aus wie ein Rechteck, das man im Mathematikunterricht zeichnet, und er tat so viel Chlor hinein, daß Wasserpflanzen keine Chance hatten. Die Eibenhecken waren exakt geschnitten, und die Statuen wurden mit Seifenwasser sorgfältig geschrubbt, so daß sich kein Moos und keine Schlingpflanzen an ihnen festsetzen konnten.

Im Haus sorgte Lord Bullhaven für die gleiche Ordnung. Die arme Lady Bullhaven durfte nichts anziehen, was nicht genauso war wie das, was alle anderen trugen. Wenn sie versuchte, ihm etwas Ausländisches vorzusetzen, zum Beispiel eine Pizza oder Risotto oder Apfelstrudel, spuckte er es aus und sagte, er dulde kein Schweinefutter in seinem Haus. Seine Kinder, Wystan und Emily, durften keine Märchen lesen, weil in ihnen ungewöhnliche Dinge vorkamen. Sie wurden nicht in die Dorfschule geschickt, denn dort wären sie mit schmutzigen und gewöhnlichen Kindern zusammen gewesen. Lord Bullhaven mochte weder Iren noch Waliser, weder Juden noch Katholiken, und er haßte Chinesen, Afrikaner und Griechen. Er war für Auspeitschen und Aufhängen, und sein Lieblingsspruch lautete: Spare die Rute, und du verdirbst das Kind. Er war also wirklich kein liebenswerter Mensch.