«Ende, Sir.«
Nicholson schaltete die Sprechanlage aus und wandte sich wieder Doc Blandy zu. Der Arzt hatte noch mit seinen Magenschlägen zu tun und saß ziemlich verkrümmt da, die Hände gegen den Leib gepreßt.
«Du kannst rausgehen und die Mädchen holen!«sagte Nicholson und zog seine gefütterte Jacke aus.»Zehn Minuten sind vorbei… diese Minuten werden sie nie im Leben vergessen!«
Dr. Blandy starrte den Commander aus weiten Augen an. Seine Lippen zitterten, als friere er, ja als läge er nackt auf einer Eisscholle.
«Du bist ein Sadist!«sagte er leise.»Du bist ein ausgemachter Satan! Du wolltest gar nicht tauchen.«
«Ich habe nie daran gedacht! Bin ich ein Mörder? Es sollte eine Lektion sein, und ich nehme an, sie sitzt.«
Dr. Blandy erhob sich im Zeitlupentempo. Er war einen Kopf größer als Nicholson und mindestens doppelt so schwer. Das war eine Überlegenheit, aber er verzichtete darauf, sie jetzt auszuspielen. Er bemerkte, daß Nicholson wieder die Fäuste geballt hatte, bereit, sich nicht überraschen zu lassen.
«So ein Schock kann einen Menschen wahnsinnig machen«, sagte er und tappte zur Tür.»Bete, mein Junge, daß die Mädchen nicht verrückt geworden sind. Wenn ich gleich fünf Irre vom Turm hole, rettet dich nichts mehr. Das schwöre ich dir.«
Er verließ den Kommandoraum, warf die Tür hinter sich zu und kletterte die Treppe zum Turmluk hinauf. Das Trommeln und Schreien der Mädchen hatte aufgehört. Erschöpft lagen sie auf der Plattform, und der Frost fraß sich durch ihre Körper. Eine eisige Kälte, die merkwürdigerweise auch eine große Gleichgültigkeit gegenüber allen Dingen mit sich brachte. Als sich der Verschluß drehte und die Einstiegluk hochklappte, reagierten sie nicht… mit Eis überkrustet von dem gefrorenen Sprühwasser hockten oder lagen sie herum und starrten Dr. Blandy mit absoluter Ausdruckslosigkeit an.
Blandy fragte nicht lange. Er trug zuerst die rothaarige Evelyn ins Boot und trat, als er an der Tür des Kommandoraums vorbeiging, gegen die Holzfüllung.
«Hilf mit, du Teufel!«brüllte er.»Sie sind wie Eiszapfen! Oder soll ich ihnen die Ohren und Nasen amputieren, weil sie abgefroren sind? Komm raus, du Sadist!«
Nicholson wartete, bis Dr. Blandy mit Evelyn über der Schulter im Lazarettgang verschwunden war, dann lief er die Turmtreppe hinauf und kletterte auf die Plattform. Monika kauerte an der Brüstung, auch sie mit Eis überzogen. Aber ihre Augen lebten und sahen ihn ungläubig an.
«Komm«, sagte er, packte sie um den Leib und schob sie über seine Schulter. Als er gehen wollte, krallte sich Joans Hand um sein Fußgelenk und hielt ihn fest. Sie konnte nicht mehr sprechen, aber ihr Griff war in der stummen Verzweiflung wie eine Eisenklammer.»Ich hole auch Sie!«sagte Nicholson und befreite sich mit einem Ruck von ihrer Hand.»Gleich werden Sie wieder aufgetaut, meine Damen. «Er schob Monika die Treppe hinunter, sie konnte aus eigener Kraft gehen und schwankte den Gang entlang. Dr. Blandy kam ihr entgegengerannt und hetzte die Treppe hinauf zum Turm.
«Stellen Sie sich nicht an die Heizung!«schrie er Monika zu.
«Ich weiß. «Sie nickte und die Eisschicht von ihr bröckelte ab.»Ich werde mich in eine Decke wickeln.«
Es dauerte keine sechs Minuten, bis alle Mädchen wieder an Bord waren und in ihrem Krankenzimmer auf den Betten hockten, stumm und starr und am ganzen Leibe zitternd unter ihren Decken. Nebenan kochte der Sanitätsmaat Blides auf einem Elektroherd, der zur Küche des Lazaretts gehörte, einen großen Topf Tee. Er wagte nicht mehr zu fragen, nachdem Blandy ihn angebrüllt hatte:»Halten Sie's Maul, Blides! Was Sie hier sehen, ist nicht passiert, verstanden! Wenn ein Ton nach draußen dringt von dem, was Sie hier sehen, kastriere ich Sie.«
Blides hatte davor keine Angst. Es war die Art, wie Doc Blandy sprach. Man gewöhnte sich daran, aber es zeigte immerhin, daß hier etwas geschehen war, was es nicht geben durfte. Also kochte er auf Kommando einen großen Pott Tee und wickelte die Mädchen in die Decken. Eine Sauerei ist es auf jeden Fall, dachte er. Auch wenn es verrückte geile Weiber sind. Das hier ist eine Viehtherapie!
«Das war am Rande des Todes!«sagte Blandy schwitzend, als alle Mädchen im Lazarett waren. Sie schlürften den dampfenden Tee und hielten die Porzellanbecher mit zitternden Händen fest. Jetzt, beim Auftauen, lösten sich auch die Nerven und hatten Platz für den Schock.
«Ich weiß. «Nicholson ging zurück zum Kommandoraum. Blandy folgte ihm… die Abrechnung war noch nicht gemacht.»Und jetzt tauche ich!«
«Wenn vor uns nicht der Nordpol läge und die Unterquerung des Eises, würde ich das Offizierskorps aufrufen, dich abzusetzen und Bernie Cornell das Kommando übertragen! Du bist der rüdeste Hund, den es je in der Navy gab.«
«Vielleicht!«Nicholson setzte sich auf seinen Kommandostuhl. Griffbereit vor ihm lagen alle elektronischen Befehlskontakte. Auf einem kleinen Radarschirm kreiste ununterbrochen der Radarstrahl und markierte als kleine flimmernde Punkte die schwimmenden Eisberge.»Aber jetzt haben wir Ruhe, Paul! Wenn ihr meutern wollt — bitte! Ich werde dem Admiral melden, daß Cornell das Kommando übernommen hat, ich werde mich in meine Koje rollen und abwarten. Das große Fressen kommt bei der Rückkehr in Norfolk! Ich habe nur meine Pflicht getan.«
«Mit Pflicht kann man alles entschuldigen!«sagte Blandy dumpf.»Von Pflicht haben auch die deutschen KZ-Kommandanten gesprochen! Wenn wir in Norfolk sind, werde ich gegen dich Anklage erheben wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit!«
«Das steht dir frei. Ich tue meinen Auftrag im Namen des Weltfriedens. Mein Boot ist kein Puff. Ist dir klar, daß wir zwei Cruise-Raketen an Bord haben?«
Dr. Blandy sah Nicholson verständnislos an.»Was haben wir hier?«
«Zwei elektronisch gesteuerte und nach dem Abschuß durch Satelliten gelenkte Atomraketen, die kreuz und quer über das Land fliegen können, nur zweihundert Meter tief und damit unterhalb aller gegnerischen Radarketten. Ihre Reichweite ist beliebig einstellbar, und man kann mit ihnen jedes Ziel, zum Beispiel irgendwo in der Sowjetunion, treffen! Sie ist sechs Meter lang und nur fünfzig Zentimeter dick. Man kann sie um Berge lenken, man kann sie während des Fluges umdirigieren, und sie trifft das Ziel mit genauer Treffsicherheit von wenigen Metern Abweichung. Und das bei einem Flug von dreitausend Kilometern, wenn du willst! Es gibt auf der Welt nichts mehr, was den Cruise Missiles entgegenzusetzen ist, und es gibt kein Mittel der Abwehr dagegen!«
«Und das haben wir an Bord?«sagte Blandy heiser.
«Ja. Deshalb die neuen, herausklappbaren Abschußrampen. Wir können sie unter Wasser abfeuern, und sie steigen aus dem Meer und rauschen ohne gegnerische Radarentdeckung ihrem Ziel zu. Wenn man sie sieht, ist es schon zu spät. Der Atomschlag ist perfekt.«
«Entsetzlich!«
«Und dafür, ihr Idioten, habe ich die Verantwortung!«Nicholson legte die Finger auf die Alarmtaste für das Blitztauchen.»So, und nun geh hin, du Pillendreher, und mach den Offizieren den Vorschlag, zu meutern und mich in die Koje zu schicken!«
Er drückte auf den Knopf. Vom Maschinenraum und aus der Navigationsleitung kamen die Rückmeldungen sofort. Alarmtauchen! Die Kammern wurden geflutet, die POSEIDON I tauchte weg wie ein Stein. Dr. Blandy schüttelte sich wie ein nasser Hund, der sein Fell vom Wasser befreit.
«Hätte ich das alles vorher gewußt, wäre ich nie an Bord dieses Saukastens gekommen!«sagte er.»Wer weiß was von diesen Teufelsraketen?«
«Nur diejenigen, die unmittelbar damit zu tun haben. Es sind zehn Mann! Und die lassen sich lieber zerhacken, als daß sie auch nur einen Piep von sich geben. «Nicholson drückte auf die Rundsprechanlage und winkte Blandy zu, den Mund zu halten.»Alle Offiziere wieder auf ihre Wachen!«befahl er.»Wer hat Dienst in der Zentrale und im Kommando?«