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Und endlich kam der Schmerz.

Andrejs Hände begannen zu zittern. Das schwarze Feuer in seiner Seele erlosch, doch zurück blieb keine Asche, sondern ein roter, brodelnder See aus schierer Pein. Seine Augen füllten sich mit Tränen, und seine Hände zitterten immer stärker. Er hatte Mühe, sein Schwert einzustecken, und die winzige Bewegung, sich zu Frederic herumzudrehen und auf den Jungen hinabzublicken, überstieg fast seine Kräfte.

Frederic lag auf dem Rücken. Seine Augen standen weit offen, und der Ausdruck darin schwankte zwischen Verständnislosigkeit und allmählich aufkeimendem, fassungslosen Entsetzen.

»Was ... ist passiert?« murmelte er. »Hast du ihn getötet?«

Für die Dauer eines Herzschlages war Andrej einfach nicht fähig zu begreifen, was er sah. Frederic lebte. Er lag in einem See von Blut, seine Kleider waren zerfetzt, und er mußte furchtbar schlimm verletzt sein, aber er lebte!

Andrejs Fassungslosigkeit machte einer jähen, fast schmerzhaft tiefen Erleichterung Platz.

»Nicht bewegen!« sagte er hastig. »Um Gottes Willen, rühr dich nicht! Bleibe ganz ruhig liegen!«

Er ließ sich neben Frederic auf die Knie sinken und drückte die Schultern des Jungen zurück, als der sich aufrichten wollte.

»Hast du ihn getötet?« wiederholte Frederic. Seine Stimme klang belegt. Vielleicht war die Schwäche, die Andrej darin hörte, schon die erste Berührung des Todes.

Er schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Aber das spielt jetzt keine Rolle. Du mußt...«

Andrej brach mit einem überraschten Stirnrunzeln ab. Während er sprach, hatte er behutsam mit den Fingern den Leib des Jungen abgetastet, um die Schwere der Verletzung zu erkunden, die ihm das Schwert zugefügt hatte. Frederics Brust war voller Blut, aber die Haut darunter war unversehrt.

»Du bist... nicht verletzt?« fragte er zweifelnd.

Frederic richtete sich benommen auf - diesmal ließ Andrej es zu -, sah an sich hinab und machte eine Bewegung, die irgendwo zwischen einem Achselzucken und einem Kopfschütteln lag.

»Nein«, sagte er zögernd. Es klang eher wie eine Frage als wie eine Feststellung.

Andrej starrte ihn an. Er hatte nicht wirklich gesehen, wie das Schwert Frederic getroffen hatte. Vielleicht hatte er einfach Glück gehabt. Vielleicht hatte die Klinge des Mörders nur sein Hemd zerfetzt, ohne die Haut darunter auch nur zu ritzen, und vielleicht stammte all das Blut tatsächlich nur von dem Toten, der über ihm zusammengebrochen war. Aber vielleicht ... er verscheuchte erschrocken den Gedanken. Er mußte sich hüten, mehr in Frederic zu sehen, als da war. Es war ein Zufall, ein unglaublicher Zufall, aber mehr auch nicht.

Um seine eigene Verwirrung zu überspielen, zwang er sich zu einem nervösen Lächeln und stand mit einer viel zu heftigen Bewegung auf.

»Hast du Schmerzen?« fragte er.

»Nein.« Diesmal war es eine Feststellung. Frederic drehte sich schwerfällig herum, so daß er für kurze Zeit reglos auf Händen und Knien dahockte, schüttelte den Kopf und stand dann übertrieben umständlich auf. Andrej beobachtete ihn sehr aufmerksam, bereit, beim geringsten Anzeichen von Schwäche sofort einzugreifen.

Es war nicht nötig. Frederic zitterte am ganzen Leib, war aber ganz offensichtlich wirklich unverletzt, auch wenn es an ein Wunder grenzte. Vielleicht hatte sich das Schicksal einfach entschieden, einen winzigen Teil der Schuld zurückzuzahlen, die es ihm gegenüber hatte.

Frederic drehte sich unsicher zu ihm um, sah einen Moment lang ihn und einen sehr viel längeren Augenblick den Krieger an. Dann holte er aus und trat dem Toten so wuchtig in die Rippen, daß der auf die Seite rollte. Andrej wollte ihn ganz instinktiv zurückreißen, führte die Bewegung dann aber nicht zu Ende, sondern legte ihm nur sanft die Hand auf die Schulter.

Frederic schüttelte sie ab und holte zu einem weiteren Tritt aus, setzte den Fuß dann aber wieder ab. Auf seinem Gesicht kämpften die widersprüchlichsten Gefühle miteinander, aber am stärksten waren wohl doch Furcht und Hilflosigkeit.

»Warum hast du das getan?« fragte Andrej leise.

Frederic starrte ihn trotzig an und schwieg.

»Weil er dich töten wollte?« fragte Andrej. »Oder weil er zu denen gehört, die Borsã überfallen haben?«

Frederics Augen wurden schmal. »Du hast ihn getötet«, sagte er.

»Das war etwas anderes«, widersprach Andrej. Er sah die Verwirrung, die seine Worte auf Frederics Gesicht auslösten, und ganz plötzlich begriff er, wie wichtig dieser Moment für den Jungen war. Was immer er jetzt sagte, mochte vielleicht darüber entscheiden, wie Frederics Leben weiter verlief.

»Warum?« fragte Frederic trotzig. »Weil du ein Krieger bist und ich ein Kind?«

»Weil er dich töten wollte«, antwortete Delãny. »Ich habe ein Leben ausgelöscht, um ein anderes zu retten.«

»Und wer gibt dir das Recht dazu?«

Andrej fühlte sich hilflos. Michail Nadasdy hatte ihn so vieles gelehrt, aber auf eine Situation wie diese hatte er ihn nicht vorbereitet.

»Ich weiß es nicht«, gestand er nach kurzem Zögern. »Vielleicht gibt es keinen Grund, der schwer genug wiegt, ein Leben auszulöschen. Aber wenn ich wieder vor der Entscheidung stünde, würde ich es wieder tun.«

»Hast du den goldenen Ritter deshalb verschont?« fragte Frederic böse. Seine Feindseligkeit war nichts als Trotz, kindlicher Zorn und vor allem Furcht, die ein Ventil suchte und dafür verantwortlich war, daß der Junge einfach auf den ersten Menschen losging, den er sah. Sie hätte von Andrej abprallen sollen, ohne ihn zu verletzen, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Die Worte taten so weh, daß er für einen Moment nicht in der Lage war, etwas darauf zu erwidern.

»Ich bin nicht ganz sicher, wer wen verschont hat«, sagte er schließlich. »Aber wir werden uns wiedersehen, keine Sorge.«

Er drehte sich mit einem Ruck herum. »Komm mit«, sagte er. »Wir haben einen Gefangenen. Ich bin sicher, er hat eine Menge interessanter Dinge zu erzählen.«

Der dritte Angreifer hatte versucht, sich davonzuschleppen und den Waldrand zu erreichen, aber seine Kräfte hatten ihn auf halber Strecke verlassen. Er lag wimmernd im Gras. Als Andrej und Frederic herankamen, hob er die Arme vors Gesicht und schluchzte vor Angst. Vielleicht auch vor Schmerz. Sein rechtes Knie war zertrümmert. Andrej mußte nur einen einzigen, flüchtigen Blick darauf werfen, um zu wissen, daß es nie wieder heilen würde.

Der Anblick versetzte ihm einen leichten, aber überraschend schmerzhaften Stich. Auch das war etwas, worauf Michail Nadasdy ihn nicht hatte vorbereiten können. Er hatte ihn gelehrt, mit Fußtritten, Ellbogenstößen und Schlägen der bloßen Hand armdicke Holzscheite zu zertrümmern, und er hatte ihm gesagt, daß er mit der gleichen Leichtigkeit Knochen zerbrechen und Schädel einschlagen konnte.

Aber es gab einen Unterschied zwischen Wissen und Erleben, und dieser Unterschied war entsetzlich.

Er bedeutete Frederic mit einer Kopfbewegung, zurückzubleiben, ließ sich neben dem Verwundeten auf die Knie sinken und zwang mit sanfter Gewalt seine Arme herunter.

»Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte er. »Ich werde dir nichts tun.«

Seine Worte zeigten keine Wirkung. Die Furcht in den Augen des Mannes explodierte zu nackter Panik, er begann am ganzen Leib zu zittern.

»Nein!« wimmerte er. »Rühr mich nicht an! Du bist der Teufel! Es ist wahr, was sie über dich erzählen.«

»Was erzählen sie denn?« fragte Andrej.

»Daß ihr mit dem Teufel im Bunde seid«, wimmerte der Krieger.

»Wir?«

»Die Delãnys«, antwortete er. »Ihr seid Zauberer. Hexer, die sich der schwarzen Magie verschrieben haben.«

Andrej sah aus den Augenwinkeln, wie Frederic zusammenzuckte, widerstand aber der Versuchung, sich zu dem Jungen herumzudrehen.