»Jedenfalls nicht klug genug, um zu verstehen, was ihr von uns wollt«, sagte er.
Ansbert nippte an seinem Bier. »Warum kommt ihr nicht mit uns?« fragte er. »Du siehst nicht aus wie ein Schwächling. Meine Brüder und ich sind Schausteller. Wir können immer einen Mann gebrauchen, der zupacken kann und keine Angst vor Arbeit hat. Und für deinen Bruder finden wir auch eine Aufgabe.«
Für einen Moment konnte Andrej die Spannung, die zwischen den vier Brüdern in der Luft lag, fast mit den Händen greifen. Er wollte antworten, aber in diesem Moment ... hörte er von draußen das Klirren von Waffen und eine Stimme, deren fremdartiger Dialekt ihm nur zu bekannt vorkam.
Es war wie ein Schlag in den Magen. Andrej stockte für Sekundenbruchteile buchstäblich der Atem. Das Gefühl einer fremden, durch und durch bösartigen Präsenz schlug mit fast körperlicher Wucht über ihm zusammen, so schnell und brutal, daß er für die Dauer von zwei oder drei schweren Atemzügen nicht einmal in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, irgendwie zu reagieren.
Es wäre ohnehin zu spät gewesen.
Die Tür flog auf, und drei, dann vier und schließlich fünf Männer in schweren Wollmänteln und Helmen betraten den Gasthof. Andrej wußte sofort, daß sie zu seinen Verfolgern gehörten.
Der goldene Ritter, der ihn mit dem Bihänder fast erschlagen hatte, war nicht dabei.
5
Ein sechster Mann betrat den Raum und zog mit einem übertrieben zur Schau gestellten Frösteln die Tür hinter sich zu. Als er sich herumdrehte, klaffte sein Mantel zwei Finger breit auseinander, und Andrej gewahrte darunter ein flüchtiges Aufblitzen wie von mattem Gold, vielleicht auch Messing, das durch die Kälte und Feuchtigkeit der Nacht beschlagen war.
Andrej senkte gerade rasch genug den Blick, um nicht aufzufallen. Alle Gäste hatten die Männer neugierig angestarrt, als sie hereinkamen, scheuten aber zugleich auch den direkten Blickkontakt mit den bewaffneten und nicht sonderlich freundlich aussehenden Gestalten.
Andrej hoffte, daß sein Verhalten in dieses Muster paßte. Der Mann in dem Messingharnisch schenkte ihm jedenfalls keinerlei Beachtung, sondern gesellte sich mit schnellen Schritten zu seinen Kameraden am Schanktisch und bestellte dasselbe wie sie: ein Bier.
Die Gespräche im Raum setzten - allerdings deutlich leiser als zuvor - wieder ein, und auch Andrej beugte sich wieder über seinen Teller und begann zu essen. Er nahm den Geschmack kaum wahr, so wenig wie die überraschten Blicke, die Ansbert und seine Brüder tauschten, oder sonst irgend etwas anderes. Die Präsenz des goldenen Ritters erfüllte die Gaststube mit einer solchen Macht, daß sie jeden anderen Sinneseindruck einfach erschlug. Es war nicht der Mann, gegen den er am Morgen gekämpft hatte.
Andrej sah aus den Augenwinkeln, wie Frederic sein Eßbesteck sinken ließ. Der Junge war leichenblaß geworden. Er hatte sich gut genug in der Gewalt, um die Männer an der Theke nicht anzustarren, aber seine Hände zitterten, zuerst ganz sacht, dann immer stärker, bis das Zittern seine Arme und Schultern hinauflief und schließlich von seinem ganzen Körper Besitz ergriff.
»Du mußt dich beherrschen«, murmelte Andrej.
Zu seiner Überraschung reagierte Frederic mit einem nervösen Nicken auf seine Worte. Er fuhr sich unsicher mit der Zungenspitze über die Lippen und preßte beide Hände flach neben seinem Teller auf den Tisch, um das Zittern zu unterdrücken.
»Kennt ihr diese Männer?« fragte Sergé leise.
»Nein«, antwortete Andrej. »Jedenfalls ... nicht direkt.«
Selbst das Sprechen fiel ihm schwer. Die Gegenwart des goldenen Ritters und seiner fünf Begleiter erfüllte den Raum wie ein erstickender Geruch, der ihm den Atem nahm und sich klebrig lähmend über seine Gedanken legte. Seine rechte Hand glitt in einer verstohlenen Bewegung vom Tisch und unter die Decke, in die er sich gewickelt hatte, und tastete nach dem Griff seines Schwertes. Nur um bereit zu sein. Er durfte es um keinen Preis zu einem Kampf kommen lassen, nicht gegen sechs Krieger zugleich, von denen ihm zumindest einer ebenbürtig, wenn nicht überlegen war, und vor allem nicht hier in der Herberge. Selbst wenn er gewann - woran er nicht wirklich glaubte -, würde ein Handgemenge in diesem engen, überfüllten Raum zu einem unbeschreiblichen Blutbad führen. Und es waren schon zu viele Unbeteiligte gestorben.
Worauf warteten die Männer? Warum musterten sie nicht die Gäste? Warum stellten sie dem Wirt nicht peinliche Fragen, um herauszubekommen, ob er Andrej kannte und etwas über seinen Aufenthaltsort wußte?
Sergé nahm einen großen Schluck aus seinem Bierkrug, wischte sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund und erhob sich. Andrejs Herz klopfte heftig in seiner Brust, als er sah, wie Sergé die Hand hob und den Männern an der Theke zuwinkte.
»Ihr Herren«, sagte er.
Frederics Augen wurden schwarz vor Angst, und Andrejs Herz schlug noch heftiger als zuvor. Hatte Sergé den Verstand verloren, oder wollte er sie verraten? Seine Hand schloß sich fester um den Griff des Sarazenenschwertes. Wenn der Gaukler glaubte, sich ein schnelles Kopfgeld verdienen zu können, würde er nicht mehr lange genug leben, um es in Empfang zu nehmen.
»Ihr Herren, entschuldigt bitte«, rief Sergé noch einmal.
Andrej widerstand mit einiger Mühe dem Drang, sich herumzudrehen, aber er konnte hören, wie mindestens zwei, drei Männer näher kamen.
»Was willst du?« fragte eine barsche Stimme.
Sergé setzte ein betrunkenes Grinsen auf und prostete jemandem zu, der unmittelbar hinter Andrej stand. »Bitte entschuldigt die Störung, edle Herren«, lallte er mit schwerer Zunge, »aber meine Brüder und ich haben uns gefragt, ob wir nicht miteinander ins Geschäft kommen könnten.«
Andrej trank an seinem Bier und versuchte aus den Augenwinkeln einen Blick auf den Mann neben sich zu erhäschen. Er sah wenig mehr als einen Schatten, der zu dunkel und zu klein war, um zu dem goldenen Ritter gehören zu können. Seine Hand schloß sich fester um den Griff des Sarazenenschwertes.
»Was bringt dich auf die Idee, daß wir an einem Geschäft mit euch interessiert sein könnten?« fragte der Mann.
»Und was hättet ihr uns zu bieten?« fügte eine zweite Stimme hinzu.
»Ihr seid auf dem Weg nach Constãntã, habe ich recht?« fragte Sergé.
»Und wenn es so wäre?«
»Meine Brüder und ich haben dasselbe Ziel«, antwortete Sergé. »Wir fragen uns, ob wir gemeinsam weiterreiten könnten?«
»Wozu?« Diesmal hörte Andrej einen deutlichen Unterton von Mißtrauen in der Stimme des Fremden heraus.
»Wir sind reisende Künstler«, sagte Sergé. »Morgen ist Markttag. Ein guter Standplatz ist bares Geld wert. Aber den werden wir nicht bekommen, wenn wir erst morgen früh nach Constãntã hineinkommen.«
»Das ist euer Problem«, mischte sich eine weitere Stimme mit einem Akzent ein, den er nicht vergessen würde - nicht, nachdem sich das Bild des goldenen Ritters auf seine Netzhaut eingebrannt zu haben schien, der mit dem drohend erhobenen Bihänder über ihm gestanden hatte und später, als sich das Blatt gewendet hatte, zu ihm gesagt hatte: »Was willst du? Meinen Namen oder meinen Kopf?«
»Wieso gibst du dich überhaupt mit diesem Gesindel ab, Bogesch?« fuhr der Mann mit dem schweren Akzent fort. »Wir haben keine Zeit für solchen Unsinn.«
Der Mann näherte sich, trat mit schnellen Schritten um den Tisch herum und blieb auf der anderen Seite stehen. Andrej wußte sofort, daß er es war. Er war sehr groß, hatte schulterlanges, gewelltes blondes Haar und wirkte deutlich jünger als der goldene Ritter, gegen den er vor ein paar Tagen gekämpft hatte. Sein Gesicht hätte sympathisch wirken können, wäre in seinen Augen nicht ein Ausdruck von Gier gewesen, der Delãny zutiefst erschreckte.