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»Malthus hat mir von dir berichtet, Delãny. Und davon, daß er dir ein Wiedersehen mit uns versprochen hat. Allerdings hätte ich nicht geglaubt, daß es tatsächlich dazu kommen würde - und noch dazu so schnell.«

Andrej erkannte die Stimme nicht. Doch sie hatte den gleichen merkwürdigen Akzent wie die des Hünen, der ihn mit seinem Einander fast in zwei Hälften geschlagen hätte. Die golden schimmernde Gestalt über ihm verschwamm wieder vor seinen Augen, und die drohende Bewußtlosigkeit, gegen die er so mühsam angekämpft lütte, meldete sich mit aller Macht zurück. Aber er durfte ihr nicht nachgeben. Wenn er es tat, würde ihn der goldene Ritter umbringen. Zuerst ihn und dann Frederic.

Seine Hand tastete zum Gürtel, um das Schwert zu ziehen. Der Goldene lachte hämisch, fegte Andrejs Hand mit einem Fußtritt zur Seite und zog sein eigenes Schwert.

»Du bist wirklich zäh, Delãny«, sagte er. »Es ist fast schade, daß du nicht lange genug leben wirst, um zu einem gleichwertigen Gegner zu werden.«

Andrejs Blick klärte sich jetzt rasch. Er konnte regelrecht spüren, wie die schrecklichen Verletzungen heilten, die die Flammen seinem Körper zugefügt hatten, aber er fühlte auch, wie seine Kräfte immer mehr dahinschmolzen. Die unheimliche Macht, die es ihm nicht erlaubte, hier und heute zu sterben, verlangte ihren Tribut. Er würde die Besinnung verlieren, in wenigen Augenblicken, so oder so.

Die Schwertspitze des Ritters berührte seine Kehle und wanderte zu seinem Herzen hinab, aber er stieß noch nicht zu, sondern sah Andrej aus eng zusammengepreßten Augen an und legte den Kopf auf die Seite.

»Du hast noch nie dem Tod ins Auge geblickt, wie?« Fragte er. »Es überrascht dich, was mit dir geschieht, und es macht dir ein bißchen angst.« Er nickte, als hätte Andrej tatsächlich darauf geantwortet. »Es lohnt sich kaum, einen Grünschnabel wie dich zu töten.« Er lachte. »Doch leider lohnt es sich noch viel weniger, dich am Leben zu lassen.«

Er ergriff das anderthalb Meter lange Schwert mit beiden Händen, spreizte die Beine und schwang seine Waffe hoch über den Kopf ... und plötzlich stürzte aus der Dunkelheit eine Gestalt heran und riß ihn von den Füßen.

Andrej hatte nicht einmal mehr die Kraft, den Kopf zu drehen, um den Kampf zu verfolgen. Er hörte den Ritter schreien - der Laut klang eher überrascht und zornig als erschrocken -, dann taumelte eine zweite Gestalt mit versengten Kleidern und rußgeschwärztem Gesicht an ihm vorbei. Er glaubte, Sergé zu erkennen, war sich dessen aber nicht sicher.

Ein Schwert blitzte auf. Ein dumpfer, knirschender Laut, wie von Stahl, der sich durch Metall und Fleisch bohrt. Es spielte keine Rolle. Nichts spielte mehr eine Rolle.

Andrej verlor das Bewußtsein.

6

Diesmal mußte er ziemlich lange ohne Bewußtsein gewesen sein. Noch bevor er die Augen aufschlug, spürte er, daß eine geraume Zeit vergangen war ... Stunden. Plötzlich war er sehr hungrig und verspürte quälenden Durst.

Er öffnete die Augen nur einen Spalt breit, konnte aber nicht mehr erkennen als einen dunklen, sternenklaren Himmel und die Silhouetten dürrer, blattloser Äste. Irgendwo neben ihm murmelte eine unverständliche Stimme etwas vor sich hin.

Andrej lauschte einen Moment konzentriert in sich hinein. Er hatte keine Schmerzen mehr, und als er vorsichtig zuerst seine Bein- und dann seine Armmuskeln anspannte, stellte er erleichtert fest, daß sie ihm gehorchten. Er war nicht gefesselt. Das - und die Erkenntnis, daß er diesen Gedanken überhaupt denken konnte und somit noch am Leben war - ließ ihn zumindest vermuten, daß er kein Gefangener von Domenicus und seinen drei goldenen Rittern war.

Andrej drehte vorsichtig den Kopf und erkannte zwei schattenhafte Gestalten, die neben einem fast heruntergebrannten Lagerfeuer saßen. Er konnte ihre Gesichter nicht erkennen. Einige Sekunden lang versuchte er vergeblich, dem gemurmelten Gespräch zu lauschen, dann gab er es auf und drehte den Kopf auf die andere Seite.

Frederic lag zwei Meter neben ihm auf dem Rücken und schlief, hatte vielleicht ebenfalls das Bewußtsein verloren. Aber er lebte. Andrej konnte sehen, daß sich seine Brust regelmäßig hob und senkte.

Er richtete sich auf, kroch auf Händen und Knien zu Frederic hin und schlug die angesengte Decke zurück, die jemand über den Jungen gebreitet hatte. Im ersten Moment erschrak er. Frederics Kleider waren verkohlt. Sein Haar war bis auf die Kopfhaut abgesengt, seine Augenbrauen und Wimpern verschwunden. Aber sein Gesicht und der Teil seiner Brust, den Andrej unter dem zerfetzten Wams erkennen konnte, schienen unversehrt zu sein.

Er streckte die Hand aus, berührte zögernd Frederics Schläfe und spürte, wie rasend schnell der Puls des Jungen ging. Seine Stirn glühte.

»Mach dir keine Sorgen, Delãny«, sagte eine Stimme hinter ihm. »Er hat Fieber, aber das ist auch schon alles.«

Andrej blickte auf und sah in ein vom Feuer verheertes Gesicht. Sergés linkes Auge war zugeschwollen, das Fleisch darunter bis zur Kinnspitze rot und nässend. Seine Lippen waren so aufgequollen, daß er Mühe hatte, verständlich zu sprechen.

»Der Junge muß den besten Schutzengel diesseits des Schwarzen Meeres haben«, fuhr Sergé fort. »Genau wie du übrigens.«

In seiner Stimme lag etwas, das Andrej alarmierte. Sergés verbliebenes Auge glitzerte vor unübersehbarem Mißtrauen. Seine linke Hand war mit einem blutgetränkten Lappen umwickelt, aber die rechte lag griffbereit auf dem Schwert, das aus seinem Gürtel ragte.

»Dann sollten wir ihn schlafen lassen«, sagte Andrej und erhob sich. Frederic stöhnte und bewegte die Hände. Aber er wachte nicht auf.

Sergé trat einen halben Schritt zurück und machte gleichzeitig eine einladende Geste mit der verletzten Hand. Die andere blieb weiter auf dem Schwertgriff liegen. Sie blieb auch dort, während Andrej ihm die wenigen Schritte bis zum Lagerfeuer folgte.

Seine Augen hatten sich mittlerweile an das schwache Licht gewöhnt, so daß er Krusha erkannte, noch bevor er sich auf Sergés Wink hin - der genaugenommen nichts anderes als ein Befehl war - zu ihm ans Lagerfeuer setzte. Auch Krusha war verletzt, wenn auch nicht annähernd so schwer wie sein Bruder. Sein Gesicht und seine Hände waren mit einer Unzahl winziger roter Brandflecken gesprenkelt, und er hatte eine üble Schnittwunde am rechten Unterarm.

»Habt ihr mich hergebracht?« fragte Andrej.

Natürlich war das eine überflüssige Frage, aber Andrej fühlte sich auf eine sonderbare Weise befangen. Er war es nicht gewohnt, in der Schuld anderer zu stehen.

»Sie haben das Feuer gelöscht«, sagte Krusha, ohne direkt auf seine Frage zu antworten. »Bevor die Flammen auf die anderen Gebäude übergreifen konnten. Es hat eine Menge Tote gegeben. Die Leute sind sehr zornig.«

Andrej blickte aufmerksam von einem zum anderen. Krushas Gesicht war versteinert, während es Sergé sichtlich schwerfiel, sich zu beherrschen. Sicherlich hatte er starke Schmerzen.

»Wo ... sind eure Brüder?« fragte Andrej zögernd.

Krusha deutete hinter sich, ohne den Kopf zu wenden. »Vranjevc ist nicht rausgekommen«, sagte er tonlos.

Andrejs Blick folgte der Geste. Das schwache Licht des beinahe erloschenen Feuers reichte nur wenige Schritte weit - er hatte die reglos am Boden liegende Gestalt bisher nicht einmal bemerkt. Er stand auf, zögerte einen Moment und bewegte sich dann mit langsamen Schritten um das Feuer herum. Weder Sergé noch Krusha erhoben Einwände.

Man mußte kein Heilkundiger sein, um zu erkennen, daß Ansbert die Nacht nicht überstehen würde. Gesicht und Schultern waren nahezu unversehrt, doch der Rest seines Körpers war schrecklich verbrannt. Seine Brüder hatten ihn ausgezogen, wohl um zu verhindern, daß die verbrannten Kleider auf seiner Haut scheuerten und ihm zusätzlich Schmerzen bereiteten; aber dies war - wenn überhaupt - nur eine schwache Hilfe. Andrej dachte an die schrecklichen Augenblicke in dem brennenden Haus zurück und hoffte inständig, daß sich Ansbert - obschon noch bei Bewußtsein - in einem Zustand befand, in dem er keine Schmerzen mehr spürte. Aber er glaubte nicht recht daran.