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»Ich war schon in Sorge um dich«, sagte Frederic lachend, als er heran war. »Du warst lange weg.«

»Und du hast geglaubt, ich wäre ertrunken?« Andrej ließ sich in die Hocke sinken und bespritzte Frederic lachend mit Wasser. »Zu früh gefreut! Ich bin ein ausgezeichneter Schwimmer!«

Frederic wich kichernd zurück und hob die Hände vors Gesicht. Andrej bespritzte ihn weiter mit Wasser. Der Junge machte zwei weitere ungeschickte Schritte rückwärts, stolperte und fiel prustend in den Sand.

Für einen Moment war Andrej einfach nur glücklich. Er warf sich mit weit ausgebreiteten Armen auf Frederic, riß ihn vollends zu Boden und rollte lachend und prustend mit ihm durch die Brandung. Alle Sorgen fielen von ihm ab. Indem er Frederic umarmte und lachend und ausgelassen mit ihm durch den Sand rollte, war es, als fließe ein Teil der jugendlichen Kraft und Energie des Knaben in ihn selbst. Andrej war sich darüber im klaren, daß dies nur Selbstbetrug war; aber es war eine süße Lüge, ein kurzer, kostbarer Augenblick des Glücks, der ihm vielleicht nicht zustand, der aber trotzdem unbeschreiblich guttat.

Schließlich hörten sie auf, sich lachend in der Gischt zu wälzen, und lagen schwer atmend und leise lachend nebeneinander im Sand. Andrej blinzelte in das grelle Licht der Morgensonne, und selbst der beißende Schmerz, den die dünnen Lichtpfeile in seine Augen sengten, erschien ihm in dieser Situation wie ein Geschenk. Schmerz bedeutete Leben. Vielleicht war Schmerz sogar das einzige, was den Unterschied zwischen Leben und Tod wirklich definierte.

»Wieso kann ich nicht schwimmen wie du?« fragte Frederic lachend.

Andrej richtete sich auf die Ellbogen auf und wischte sich mit dem Handrücken das Salzwasser aus den Augen. »Ich nehme an, weil du es nie gelernt hast«, antwortete er. »Wäre das eine passende Erklärung?«

»Wann hast du es gelernt?« fragte Frederic.

Der Augenblick unschuldigen Glücks zerschmolz. Plötzlich war er wieder ein junger Mann, stand zitternd vor Furcht in einem Boot in der Mitte eines Sees, und Michail Nadasdy saß grinsend zwei Meter vor ihm und warf sich rhythmisch von rechts nach links und wieder zurück, mit keinem anderen Ziel, als das Boot - und vor allem ihn! - aus dem Gleichgewicht zu bringen.

»Ein ... guter Freund hat es mich gelehrt«, antwortete er zögernd. Aus seinem absurden Neid auf Frederic wurde ein ebenso absurder Groll, daß der Junge den Augenblick kindlicher Unschuld mit dieser harmlosen Frage zerstört hatte. Schon in der nächsten Sekunde fühlte er sich dieses Gedankens schuldig, und sein schlechtes Gewissen meldete sich. Ein Teufelskreis - albern, dumm, aber quälend.

»Und?« fragte Frederic. »Bringst du es mir auch bei? Ich würde gerne schwimmen können.«

»Ich fürchte, das ist nicht möglich«, antwortete Andrej. Es war wie ein kalter Wasserguß; unendlich kälter, als die eisige Brandung jemals sein konnte. Er setzte sich auf, legte die Unterarme auf die angesengten Knie und mußte für einen Moment mit aller Kraft darum kämpfen, seinen unsinnigen Groll auf Frederic nicht zu vollkommen absurdem Haß werden zu lassen.

Er sah den Jungen nicht einmal an, und trotzdem konnte er spüren, wie dessen Stimmung plötzlich umschlug. Ganz wie bei ihm selber waren die jugendliche Unschuld und Fröhlichkeit mit einem Schlag verschwunden, und eine dumpfe Traurigkeit ergriff von Frederic Besitz.

»Du hast mich gerettet, Andrej«, sagte er leise. »Ich wäre verbrannt, hättest du mich nicht aus dem Haus geholt.«

»Du hättest dasselbe für mich getan, wenn du gekonnt hättest«, sagte Andrej. Es klang dumm; es war dumm.

»Ich ... muß dir etwas sagen, Andrej«, sagte Frederic zögernd. Die Worte kamen schleppend. Andrej spürte, wie schwer es dem Jungen fiel, sie auszusprechen. Und er wußte auch, was er als nächstes sagen würde. Er wollte es nicht hören.

»Nein«, sagte er. »Das mußt du nicht.« Es kostete ihn große Kraft, den Kopf zu drehen und Frederic ins Gesicht zu blicken. Er sah genau das, was er erwartet hatte: Frederics Gesichtsausdruck war gequält. Er hatte Angst vor dem, was er sagen wollte, und unendlich viel mehr Angst vor der Antwort, die er vielleicht erhalten mochte.

»Aber du ...«

»Ich weiß, was du sagen willst«, fiel ihm Andrej ins Wort. »Ich will es nicht hören. Wir werden deine Mutter und die anderen Dorfbewohner befreien. Darauf gebe ich dir mein Wort. Mehr kann ich nicht tun. Ich wollte, ich könnte es - aber ich kann es nicht.«

Etwas an der Art, wie Frederic ihn ansah, irritierte - ja, erschreckte - ihn. Aber er gestattete sich nicht, den Gedanken weiter zu verfolgen. Es zu tun hätte vielleicht bedeutet, sich endgültig einzugestehen, daß er das Unglück über Borsã gebracht hatte. Diesen Gedanken könnte er nicht ertragen - nicht jetzt.

Andrej stand auf, drehte sich herum und registrierte erleichtert, daß Sergé wieder da war. Er kam aus einer völlig anderen als der erwarteten Richtung auf ihn zu und schien es ziemlich eilig zu haben. Er rannte noch nicht, war aber auch nicht mehr sehr weit davon entfernt. Nur wenig später tauchte auch Krusha über den Dünen auf. Er hatte sich tief über den Hals seines Pferdes gebeugt und trieb das Tier mit aller Kraft an.

»Da stimmt etwas nicht«, murmelte Andrej.

Er registrierte Frederics Reaktion nur aus den Augenwinkeln, aber sie schockierte ihn dennoch: Frederic stand auf und drehte sich zu den beiden näher kommenden Männern herum, und auf seinem Gesicht erschien plötzlich ein Ausdruck von Ernst, der im krassen Gegensatz zu seiner Jugend stand. Nicht zum ersten Mal, seit er Frederic kennengelernt hatte, kam ihm zu Bewußtsein, wie wenig Kind Frederic manchmal war. Nicht oft - aber manchmal eben doch - zeigte der Junge eine Abgeklärtheit, die ihm nach Andrejs Meinung nicht zustand. Und vielleicht war das sogar der wirkliche Grund, aus dem sie jetzt hier waren. Vater Domenicus und seine Begleiter hatten mehr getan, als Borsã das Rückgrat zu brechen und die Menschen, die sie liebten, zu töten - sie hatten nicht nur Marius, sondern auch Frederics Jugend gestohlen, das kostbarste Gut eines Menschen.

Die Brüder trafen nahezu gleichzeitig bei ihnen ein. Krusha wirkte erschöpft. Vom Maul seines Pferdes troff flockiger weißer Schaum, und er selbst war am ganzen Leib in Schweiß gebadet. Er mußte die ganze Strecke von Constãntã bis hier im Galopp zurückgelegt haben.

»Was ist passiert?« fragte Frederic, noch bevor Krusha ganz aus dem Sattel gestiegen war. »Wirst du verfolgt?«

»Nein.« Krusha ließ sich schwerfällig zu Boden gleiten und wandte den Kopf in die Richtung, aus der er gekommen war. »Jedenfalls glaube ich es nicht«, fügte er etwas leiser hinzu.

»Warum bist du dann so schnell geritten?« hakte Andrej nach. Er ergriff die Zügel von Krushas Pferd, zog den Kopf des Tieres zu sich herab und streichelte beruhigend seine Nüstern. Das Tier zitterte vor Anstrengung und war nicht fähig stillzustehen. Noch ein kurzes Stück weiter, dachte Delãny zornig, und Krusha hätte es zuschanden geritten.

»Weil ich interessante Neuigkeiten habe«, antwortete Krusha gereizt. Er machte aber keine Anstalten, diese Worte irgendwie zu erklären, sondern ging steifbeinig zwischen Andrej und Frederic hindurch, ließ sich kurz vor der Brandungslinie in die Hocke sinken und schöpfte mit beiden Händen Wasser, um sein Gesicht zu kühlen.

Andrej folgte ihm. Er beherrschte sich nur mit Mühe. Er hatte längst eingesehen, daß es ein Fehler gewesen war, sich mit Krusha und seinem Bruder einzulassen. Aber er hatte keine andere Wahl gehabt.