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Ihre Brust hob und senkte sich, ihr Atem ging schneller und unregelmäßig und eine zarte Röte auf ihren Wangen zeigte Andrej, daß es ihr womöglich ähnlich erging wie ihm - oder daß sie sich über alle Maßen über den Burschen ärgerte, der sie so unverhohlen anstarrte. Dennoch: Sie erwiderte seinen Blick so offen und frei, daß er nicht anders konnte, als sich in ihren dunklen Augen zu verlieren, die ihm wie zwei abgrundtiefe Bergseen vorkamen, gleichermaßen tief wie rein.

»Beides«, brachte Andrej schließlich mit belegter Stimme hervor und durchbrach damit die knisternde, kaum noch zu ertragenen Pause. »Aber...«

»Dann laßt Euch gesagt sein, daß man ein Kind nicht mittels Angst erziehen sollte«, fuhr sie befangen fort.

»Furcht ist ein schlechter Lehrmeister.« Die letzten Worte flüsterte sie fast.

»Ich habe keine Angst«, sagte Frederic mit Trotz in der Stimme.

»Natürlich nicht.« Sie lachte leise. »Kein richtiger Junge hat vor irgend etwas Angst. Wie ist dein Name, kleiner Held?«

»Frederic«, antwortete Frederic mißtrauisch. »Aber ich bin schon lange nicht mehr klein.« Seine Augen verengten sich. »Warum wollt Ihr das überhaupt wissen?«

»Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht beleidigen. Ich weiß nur gerne, mit wem ich rede. Mein Name ist Maria. Und wie heißt Ihr?« fragte sie an Delãny gewandt.

»Andrej«, antwortete Delãny. »Frederic ist mein ... mein Neffe.« Die Worte klangen nicht einmal in seinen eigenen Ohren überzeugend. Was war nur mit ihm los? Das letzte Mal, daß er so auf einen Menschen reagiert hatte, war, als er Raqi kennengelernt hatte.

Allein dieser Gedanke versetzte ihm einen tiefen Stich. Irgendeinen Menschen - ganz gleich, wen - mit seiner geliebten Raqi zu vergleichen, bedeutete einen Verrat an ihrer Liebe.

»Ich ... es tut mir leid«, sagte er unbehaglich. »Aber wir sind ein wenig in Eile. Wir haben eine Verabredung und ... und noch einen weiten Weg vor uns.«

»Und zweifellos hat Euch Eure Mutter den guten Rat gegeben, Euch nicht von fremden Frauen ansprechen zu lassen«, fügte Maria mit übertrieben gespieltem Ernst hinzu. Dann lachte sie - ihre Stimme war so hell und klar wie der Klang einer gläsernen Glocke - und streckte Frederic die Hand entgegen. »Hast du vielleicht noch genug Zeit, dir von mir eine Zuckerstange schenken zu lassen, Frederic?«

Der Junge war nun vollends verwirrt - und Andrej kaum weniger. Sie lebten nicht in einer Zeit, in der eine Frau einen fremden Mann einfach auf offener Straße ansprach, nicht einmal, wenn es sich um eine so ungewöhnliche Frau wie diese Maria handelte. Aber das allein war es nicht. Irgend etwas an ihrer bloßen Anwesenheit erschreckte ihn so sehr, daß er am liebsten auf der Stelle davongerannt wäre.

Und wahrscheinlich hätte er das auch getan, wäre da nicht dieser sonderbare Ausdruck auf Frederics Gesicht gewesen. Der Junge wirkte immer noch erschrocken und verunsichert, aber da war auch noch etwas anderes.

»Es tut mit leid«, wollte Andrej die Unterhaltung beenden, »aber wir ...«

Doch Frederic sagte: »Gerne«, als hätte er Delãnys Worte überhaupt nicht gehört.

Maria ließ erneut dieses helle, glockenhafte Lachen ertönen, in dem eine deutliche Spur von - wenn auch gutmütigem - Spott mitschwang. Ihre Augen funkelten.

»Frederic!« sagte Andrej streng.

»So herzlos könnt Ihr nicht sein, Andrej«, versuchte Maria ihn umzustimmen, »einem Kind eine Zuckerstange zu verweigern, das zum ersten Mal in seinem Leben in der Stadt ist und noch nie einen richtigen Markt gesehen hat.«

»Woher wißt Ihr das ?« fragte Andrej mißtrauisch.

Maria lachte erneut. »Es steht euch in den Gesichtern geschrieben.« Sie streckte wieder die Hand nach Frederic aus und machte mit der anderen eine auffordernde Geste.

Frederic hob den Arm, um ihre Bewegung zu erwidern, drehte sich dann aber halb zu Andrej herum und warf ihm einen flehenden Blick zu. Seine Gesichtszüge entgleisten schlagartig, als er in Andrej s Richtung sah.

Wie erstarrt stand er da und sah über die Köpfe der vielen Menschen hinweg. Im ersten Moment glaubte Andrej, Domenicus sei mit seinem Gefolge zurückgekehrt, und der Junge sei im Begriff, eine Dummheit zu begehen, würde sich vielleicht mit einem Aufschrei auf den Mörder seiner Familie stürzen, ohne die unausweichlichen Konsequenzen zu bedenken. Dennoch zwang sich Delãny dazu, nicht panisch herumzufahren, sondern nur leicht den Kopf zu drehen, so daß er aus den Augenwinkeln in dieselbe Richtung blicken konnte, in die Frederic so entsetzt starrte.

Es waren nur zwei Reiter, die ihre Tiere im leichten Schrittempo durch die Menge lenkten, und im ersten Moment wollte Andrej schon aufatmen - bis er sie erkannte. Sein Herz schien einen Moment auszusetzen und dann mit schmerzhafter Wucht weiterzuhämmern, als er die zwei Silhouetten gewahrte. Es waren die beiden goldenen Ritter, die ihn in dem Wirtshaus aufgespürt hatten, und er konnte sich nur zu lebhaft vorstellen, was sie mit ihm anfangen würden, wenn sie auf ihn aufmerksam wurden. Sie ritten sehr langsam, fast gemächlich, so, als suchten sie jemanden - er wußte nur zu gut, wen -, und er spürte fast körperlich die Bedrohung, die von ihnen ausging.

Während Andrej die zwei aus den Augenwinkeln weiter zu beobachten versuchte, wandte er sich wieder Maria zu. »Ich will ja kein Spielverderber sein«, sagte er hastig und ohne das Entsetzen vollständig aus seinem Gesicht drängen zu können. »Aber heute haben wir wirklich keine Zeit dafür. Vielleicht ein anderes Mal?«

Marias Gesicht war anzusehen, daß sie die unerwartete Wendung des Gespräches enttäuschte und daß sie nicht begriff, was plötzlich mit ihm los war. Doch darauf konnte er nun wirklich keine Rücksicht mehr nehmen. Das Gespräch mit der jungen Frau hatte für ihn plötzlich und unerwartet eine ganz andere Bedeutung bekommen: Die Ritter ließen ihre Blicke ganz unverhohlen über die Menge schweifen, aber sie würden auf der Suche nach einem Mann und einem Jungen sein und nicht damit rechnen, daß sich die beiden Gesuchten in ein Gespräch mit einer jungen Schönheit vertieft hatten.

»Oh nein, das könnt Ihr mir doch nicht antun«, sagte Maria hilflos. Sie machte nicht den Eindruck, als würde sie Andrej und Frederic vollkommen kampflos davongehen lassen. »Wollt Ihr wirklich so herzlos sein, mich hier einfach stehenzulassen?«

Andrej versuchte zu lächeln, aber es wurde nur eine Grimasse daraus. Es fehlte noch, daß er die junge Frau in Gefahr brachte, weil sie zusammen mit ihm gesehen wurde. »Es tut mir leid«, stieß er hervor, »aber wir müssen leider weiter. Vielleicht will es das Schicksal, daß wir uns unter günstigeren Umständen wiedersehen?«

Er wartete keine Antwort ab, packte Frederic am Arm und zog ihn hinter sich her. Maria blieb nun ihrerseits nichts anderes übrig, als den Jungen loszulassen, den sie bis zu diesem Zeitpunkt immer noch am Arm ergriffen hatte. Ihrem Gesicht war deutlich anzusehen, daß sie darüber nicht sehr glücklich war und daß sie nicht begriff, was plötzlich in Andrej gefahren war. Sie rief ihnen noch etwas hinterher, doch Delãny konnte ihre Worte nicht verstehen; sie wurden von den auf- und abschwellenden Marktgeräuschen verschluckt.

Es wurde höchste Zeit. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte Andrej das Aufblitzen eines goldenen Brustpanzers. Er beschleunigte sein Tempo, ohne auf Frederic Rücksicht zu nehmen, und zog ihn regelrecht hinter sich her. Ein weiterer Blick bestätigte seine Befürchtung. Die goldenen Ritter lenkten nun ihre Pferde quer über den Marktplatz und strebten, ohne auf die Marktbesucher Rücksicht zu nehmen, in ihre Richtung.