Graf Bathory runzelte die Stirn. »Verzeiht, Florescu, aber dieser Mann ...«
»Dieser Mann«, fiel ihm der Angesprochene ins Wort, »ist nicht mehr als ein Werkzeug. Es nutzt wenig, den Dolch zu zerbrechen, wenn man nicht weiß, wessen Hand ihn geworfen hat.«
Graf Bathory setzte zu einer Erwiderung an, doch er kam nicht zu Wort. Draußen wurden wütende Stimmen laut, dann wurde die Tür aufgestoßen, und zwei hilflos mit den Armen fuchtelnde Wachtposten stolperten rückwärts in den Gerichtssaal, gefolgt von einem dunkelhaarigen Racheengel, aus deren Augen Blitze schössen; begleitet wurde die aufs höchste erregte Frau von zwei Männern in polierten Brustharnischen aus Messing, die Andrej nur zu gut kannte: Einer von ihnen war der hühnenhafte Malthus, der ihn bereits einmal fast getötet hatte, den zweiten hatte er zum erst Mal in dem anschließend verbrannten Gasthaus gesehen.
Herzog Demagyar erhob sich halb aus seinem Stuhl. »Komteß!« begann er. »Was...?«
»Was geht hier vor?!« unterbrach ihn die Schwester des Inquisitors scharf. Sie war nahe daran, zu schreien.
»Bitte, verzeiht, Komteß«, sagte Demagyar unbehaglich, »aber ich muß Euch bitten, wieder zu gehen. Wir sitzen zu Gericht, und ...«
»Über einen Mann, den wir beanspruchen!« unterbrach ihn Maria zornig.
»Wie bitte?« Demagyar blickte die Frau fragend an.
Maria ignorierte die beiden Männer, die unbeholfen versuchten, ihr den Weg zu versperren oder sie auf andere Weise aufzuhalten, ohne dabei in die peinliche Situation zu geraten, die junge Frau berühren zu müssen; sie stürmte entschlossen auf Demagyar zu und blieb herausfordernd vor dem Tisch stehen.
»Spart Euch Euer vornehmes Getue, Demagyar«, fuhr sie ihn scharf an. »Ihr habt kein Recht, diesen Mann zu verurteilen! Das Recht, Gericht über den Mörder meines Bruders zu halten, steht allein mir zu! Und ich nehme dieses Recht in Anspruch!«
Der Herzog antwortete nicht sofort auf diese Forderung, sondern blickte Maria nur auf eine schwer zu deutende Art an. Auch Florescu wirkte ebenso verwirrt wie betroffen, während Graf Bathory wenigstens den Versuch unternahm, die Situation ein wenig zu entspannen. Andrej sah aus den Augenwinkeln, wie die beiden goldenen Ritter näher kamen und wie zufällig rechts und links hinter ihm stehen blieben. Er glaubte jedoch nicht, daß sie ihn angreifen würden. Sie konnten es sich so wenig leisten, ihn vor den Augen Demagyars und der anderen zu töten, wie sie das bei ihrem letzten Zusammentreffen auf dem Marktplatz in Anwesenheit all der unliebsamen Zeugen gekonnt hatten.
»Komteß, Ihr könnt versichert sein, daß wir Euren Schmerz verstehen und teilen«, sagte Graf Bathory. »Dennoch...«
»Dennoch habe ich Demagyars Wort«, unterbrach ihn Maria. »Oder habt Ihr bereits vergessen, daß Ihr mir versichert habt, ihn und den Jungen an mich auszuliefern, Herzog?«
Demagyar deutete ein Kopfschütteln an. »Keineswegs«, antwortete er mit steinernem Gesicht. »Aber das war, bevor Delãny ins Schloß eingedrungen ist und versucht hat, mich zu ermorden.«
Maria warf Andrej einen fast erschrockenen Blick zu. »Ist... das wahr?«
»Nein«, antwortete Andrej ruhig.
Der Herzog lachte. »Natürlich leugnet er. Was habt Ihr erwartet?«
»Daß Ihr Euer Wort haltet, Herzog.«
»Aber so versteht doch, Komteß«, seufzte Demagyar. »Ich kann Delãny nicht an Euch ausliefern, nicht einmal, wenn ich es wollte.«
»Er sagt die Wahrheit.« Graf Bathory deutete auf Andrej. »Delãny hat sich mehrerer schwerer Verbrechen schuldig gemacht. Es ist uns gar nicht möglich, ihn an Euch - oder irgend jemand anderen - auszuliefern. Nicht bevor der Gerechtigkeit hier Genüge getan ist.«
Maria ballte die Fäuste. Für Sekundenbruchteile zitterte sie am ganzen Leib. Andrej konnte sich vorstellen, was in der jungen Frau vorging. Aber sie beherrschte sich. Nach einem weiteren Augenblick öffnete sie die Fäuste, entspannte sich sichtbar und trat zwei Schritte zurück.
»Das werden wir sehen«, sagte sie gepreßt. »Ich würde Euch jedenfalls nicht raten, ihn anzurühren.«
»Bitte beruhigt Euch, Komteß«, sagte Demagyar sanft. »Ich verstehe Euren Schmerz, aber ich kann leider nichts für Euch tun.«
»Ihr versteht anscheinend nicht, worum es geht«, entgegnete Maria kühl. »Wenn mein Bruder stirbt, dann werdet Ihr Euch fragen lassen müssen, weshalb Ihr Euch weigert, den Mörder eines Inquisitors auszuliefern. Wollt Ihr wirklich den Zorn der römischen Kirche herausfordern?«
Wenn mein Bruder stirbt? dachte Andrej verblüfft. »Euer Bruder ... lebt?« fragte er.
»Schweigt!« donnerte Demagyar. »Ihr habt nur zu reden, wenn man Euch dazu auffordert.«
Maria antwortete trotzdem: »Er lebt. Aber ich weiß nicht, wie lange noch. Wenn er stirbt, dann Gnade Euch Gott, Andrej Delãny. Von mir jedenfalls habt Ihr keine Gnade zu erwarten.« Sie wandte sich wieder an den Herzog. »Und für Euch gilt dasselbe, Ják Demagyar. Ich weiß, daß ihr hier nicht allzuviel von der römischen Kirche haltet, aber mein Bruder ist kein gewöhnlicher Geistlicher. Er hat mächtige Freunde, die sich fragen werden, wie er zu Schaden kommen konnte, während er sich im Schütze Eurer Gastfreundschaft befand. Und bedenkt: Wenn die Türken wirklich zum Schlag gegen Constãntã ausholen, werdet auch Ihr Freunde brauchen!«
Demagyar erwiderte nichts auf diese Drohung, aber man sah ihm deutlich an, wie wenig sie ihn beeindruckte. Die junge Frau hatte wohl unbeabsichtigt die Wahrheit gesagt: Das Wort des Vatikans galt in diesem Teil des Landes nicht besonders viel. Rom war zwar mächtig, aber Rom war auch sehr weit entfernt. Und wenn die Türken wirklich versuchen sollten, Constãntã einzunehmen, würde der Papst sie nicht daran hindern können - selbst wenn er wollte.
»Wenn ich Euch nun bitten dürfte zu gehen«, sagte er nach einer Weile, freundlich, aber in wesentlich kühlerem Ton. »Ich werde mich später gerne mit Euch unterhalten.«
»Vergeßt nicht, was ich Euch gesagt habe«, sagte Maria. Sie drehte sich herum, streifte Andrej mit einem eisigen Blick und verließ in Begleitung der beiden Goldenen den Raum.
16
Das absurde Verhör dauerte noch annähernd zwei Stunden und endete damit, daß Demagyar Andrej einschärfte, bis zum nächsten Morgen noch einmal in sich zu gehen. Anschließend wurde der Gefangene nicht wieder in seine Zelle im tiefsten Kerker des Turmes gebracht, sondern in ein winziges Zimmer im Palas, das zwar kaum größer als das Turmverlies war und eine ebenso massive Tür hatte wie dieses, aber über ein Fenster und eine spärliche Möblierung verfügte. Es gab auch hier einen massiven eisernen Ring an der Wand, an den er gekettet wurde; allerdings schränkte die Kette ihn hier in seiner Bewegungsfreiheit weit weniger ein. Offensichtlich wurde Demagyars Gerichtssaal oft genug benutzt, daß sich ein solches Zwischenlager für Gefangene lohnte.
Außerdem bekam er etwas zu essen und eine Schale mit Wasser. Kaum eine halbe Stunde, nachdem man ihn wieder eingesperrt hatte, wurde die Tür plötzlich aufgerissen, und Maria sowie einer der beiden goldenen Ritter betraten den Raum.
Andrej war überrascht. Nach ihrem Auftritt im Gerichtssaal hatte er nicht damit gerechnet, die junge Frau so schnell wiederzusehen; und wenn überhaupt, dann allerhöchstens mit einem Messer in der Hand, um ihm die Kehle durchzuschneiden.
Zorn und Haß waren jedoch vollkommen aus ihrem Gesicht gewichen. Sie wirkte traurig, vielleicht ein bißchen verbittert, aber nicht mehr zornig.
Andrej erhob sich von seiner Liege, so weit seine Kette das zuließ. »Komteß.«
»Laßt den Unsinn, Delãny«, sagte Maria müde. »Ich bin keine Adlige.« Sie schloß die Augen, schwieg einige Sekunden, die Andrej wie eine Ewigkeit erschienen, und fragte dann ganz leise: »Warum?«