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In der gleichen Sekunde brach die Hölle los. Weitere Armbrustbolzen zischten heran, und gleichzeitig flogen überall entlang der Straße Türen auf, aus denen Männer in schwarzen Mänteln und mit gezogenen Schwertern ins Freie stürmten.

Andrejs Pferd bäumte sich auf, als ein Armbrustbolzen seinen Hals streifte und einen langen, blutigen Kratzer darauf hinterließ. Er versuchte sich festzuhalten, aber seine gefesselten Hände rutschten am Sattelknauf ab, so daß er rücklings aus dem Sattel kippte. Mit letzter Anstrengung schaffte er es noch, sich im Sturz so zu drehen, daß er, statt auf die Schulter oder gar auf den Schädel zu fallen, nur wie bei einem ungeschickten Sprung schmerzhaft mit dem linken Knie aufschlug.

Einen Sekundenbruchteil später rollte er sich mit einer verzweifelten Bewegung auf dem nassen Kopfsteinpflaster zur Seite, um den wirbelnden Hufen seines Pferdes zu entgehen, und sprang aus der gleichen Bewegung heraus auf die Füße.

Eine Gestalt in einem wehenden schwarzen Mantel drang auf ihn ein. Andrej riß instinktiv die Hände vors Gesicht, aber der Mann zögerte aus einem unerfindlichen Grund, zuzuschlagen, obwohl er das von seiner Position aus ohne Schwierigkeiten hätte tun können. Andrej konnte sich Hemmungen dieser Art in seiner augenblicklichen Lage nicht leisten. Er schleuderte den Angreifer mit einem Fußtritt zu Boden, spürte eine Bewegung hinter sich und warf sich instinktiv zur Seite.

Eine Schwertklinge zischte an seinem Gesicht vorbei und prallte funkensprühend gegen die Wand.

Andrej beendete seine begonnene Drehung und registrierte überrascht, daß ihn einer der Männer des Herzogs attackiert hatte; und seine Verblüffung nahm noch zu, als ihm klar wurde, daß der Mann offenbar absichtlich danebengezielt hatte. Er verschob die Auseinandersetzung mit diesem neuerlichen Rätsel auf später, tänzelte einen Schritt zur Seite und fegte auch diesen Soldaten mit einem Fußtritt zu Boden. Der Mann fiel, ließ sein Schwert fallen und schloß die Augen.

Der Uniformierte war kein besonders guter Schauspieler. Er war weder bewußtlos noch nennenswert verletzt oder gar tot, sondern spielte nur den Bewußtlosen. Andrej verstand nicht, was er damit bezweckte. Der Kampf in der Gasse war so gut wie entschieden. Die Angreifer waren in der Überzahl, und sie hatten im ersten Ansturm fast die Hälfte der herzoglichen Garde ausgeschaltet. Selbst wenn dieser Soldat der größte Feigling unter den Männern des Herzogs war, konnte er durch sein Schauspiel nur verlieren; denn die maskierten Angreifer würden sich zweifellos davon überzeugen, daß ihre Opfer auch wirklich alle tot waren. Die einzige Chance, dieses Gemetzel zu überleben, bestand in einer schnellen Flucht.

Wie es aussah, gab es diese Chance allerdings für Andrej selbst nicht mehr. Ják Demagyar und Graf Bathory verteidigten sich Rücken an Rücken und mit erstaunlichem Erfolg, aber außer ihnen standen nur noch ein einziger Soldat und Andrej selbst auf den Füßen. Die Zahl ihrer Gegner mußte indessen mindestens ein Dutzend betragen. Andrej verstand nicht, weshalb dieser Kampf nicht schon längst vorüber war.

Als hätte dieser Gedanke dem Schicksal ein Stichwort gegeben, fiel in eben dieser Sekunde der letzte von Demagyars Männern, von gleich zwei Schwertern durchbohrt; praktisch im selben Augenblick wurde auch der Herzog getroffen. Funken stoben aus seiner Schulter, als eine Klinge gegen das Kettenhemd prallte. Demagyar schrie auf, ließ sein Schwert fallen und ging in die Knie, wodurch plötzlich Graf Bathorys Rücken ungeschützt war. Nur einen halben Herzschlag darauf prallte ein Schwert mit der flachen Seite gegen dessen Hinterkopf. Graf Bathory stöhnte auf, ließ seine Waffe fallen und kippte stocksteif nach vorne.

Andrej sah verwirrt nach beiden Seiten. Links von ihm standen drei der maskierten Angreifer, auf der anderen Seite vier, und dabei hatte er nicht einmal diejenigen mitgezählt, die Demagyar und Graf Bathory ausgeschaltet hatten. Diese Männer verstanden mit ihren Waffen umzugehen, während er selbst gefesselt war. Er hatte keine Chance. Selbst wenn er sein Sarazenenschwert zur Hand gehabt hätte, wäre er kaum in der Lage gewesen, sich einer solchen Übermacht zu erwehren.

Trotzdem hob er die gefesselten Hände und suchte mit leicht gespreizten Beinen nach festem Stand. Er atmete tief ein, versuchte sich zu entspannen und lockerte gleichzeitig seine Muskeln auf jene schnelle, äußerlich kaum bemerkbare Art, die Michail Nadasdy ihn gelehrt hatte. Fast augenblicklich spürte er, wie sich seine gewohnte Gelassenheit und innere Stärke wieder einstellten. Er war zuversichtlich, mindestens zwei oder drei der Angreifer ausschalten zu können, bevor sie ihn überwältigten.

Nur - die Männer griffen ihn nicht an. Statt dessen hörte er, wie sich hinter ihm eine Tür öffnete. Delãny wollte herumfahren, aber seine Reaktion kam zu spät. Ein harter Schlag in den Nacken löschte sein Bewußtsein aus.

18

Nicht zum ersten Mal in den letzten Tagen erwachte Andrej mit schmerzendem Kopf, einem widerwärtigen Geschmack im Mund und gefesselten Händen und Füßen. Doch eines war neu: Diesmal hatte man ihm auch die Augen verbunden, so daß er keine Möglichkeit hatte, seine Umgebung zu untersuchen. Aber er spürte, daß er nicht allein war, und er spürte auch, daß er sich nicht unter freiem Himmel befand, sondern in einem geschlossenen und offensichtlich sehr großen Raum - wahrscheinlich einem Lagerhaus. Ein wildes Durcheinander von verschiedensten Gerüchen stürmte auf ihn ein: nasses Stroh, Mehl, Getreide und längst verfaultes Gemüse, Holz und Gewürze; alles durchdrungen von einem sachten, aber penetranten Salzwassergeruch. Sein neues Gefängnis lag am Hafen.

Und er vernahm auch Geräusche: Männer hasteten hin und her, Metall klirrte, etwas offensichtlich sehr Schweres wurde getragen. Niemand sprach.

Andrej war in aufrechter Haltung an einen Pfeiler oder Balken gebunden worden. Zusätzliche Stricke um seine Beine und die Stirn verhinderten, daß er auch nur die geringste Bewegung ausführen konnte; ja, er konnte nicht einmal den Kopf drehen. Wer auch immer ihn in seine Gewalt gebracht hatte - dieser Jemand wußte offensichtlich nur zu gut, wozu er fähig war. Delãny spannte dennoch unauffällig die Muskeln an und prüfte die Festigkeit seiner Fesseln, kam aber zu demselben Ergebnis wie zuvor: Die Stricke waren fest genug, um einen tobenden Bullen zu halten - und mindestens zwei Dutzend Männer, mochten diese auch noch so wütend sein.

Andrej beschloß, seine Kräfte nicht länger sinnlos zu vergeuden, sondern sich auf das zu konzentrieren, was ihm seine Sinne verrieten. Rings um ihn herum herrschte hektische Betriebsamkeit. Andrej schätzte, daß sich mindestens ein Dutzend Männer in diesem Raum aufhielten, die damit beschäftigt waren, eine große Menge an Waren herein- oder hinauszuschaffen. Etliche Gegenstände, mit denen sie sich abmühten, schienen sehr schwer zu sein, wie man aus den schnaubenden Atemzügen sowie gelegentlichem Ächzen und Stöhnen schließen konnte. Seltsam war nur, daß niemand ein Wort sprach.

Andrej versuchte die Geräusche der Arbeitenden zu ignorieren, um die anderen, darunter verborgenen Laute herauszufiltern. Das gelang ihm auch, aber er erfuhr dadurch nichts wesentlich Neues. Befremdlich klang nur ein gelegentliches Ächzen und Knarren, das von etwas sehr Großem, das sich bewegte, herrühren mußte. Aber er konnte diesen Laut nicht genau einordnen.

Zeit verging. Andrej hatte keine Möglichkeit festzustellen, wieviel, aber es war lange, mindestens eine Stunde, vielleicht sogar zwei oder drei. Schließlich hörte er Schritte, die schnell und zielstrebig auf ihn zukamen; und noch bevor die Binde von seinen Augen gerissen wurde, spürte er, daß sich mehrere Männer in seiner Nähe aufhalten mußten. Andrej blinzelte ein paarmal und öffnete vorsichtig die Lider, um nicht geblendet zu werden. Trotzdem dauerte es einige Sekunden, bis der verschwommene Fleck vor seinen Augen schließlich die Konturen eines Gesichts annahm.