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»Der Weg der Göttin könnte nur mit Worten und Wundern geebnet werden, wenn die Welt anders wäre, als sie ist. Aber so würde es schwieriger sein: Tränen, Unverständnis, Leiden würden nicht ausbleiben.«

›Der Pater‹, dachte ich. ›Er hat versucht, Angst in sein Herz zu säen. Doch ich werde sein Trost sein.‹

»Nicht das Leid wird diesen Weg kennzeichnen, sondern die Ehre zu dienen«, entgegnete ich.

»Die meisten Menschen mißtrauen der Liebe noch.«

Ich spürte, daß er mir etwas sagen wollte und es nicht schaffte.

Vielleicht konnte ich ihm helfen.

»Das habe ich auch schon gedacht«, unterbrach ich ihn. »Der erste Mensch, der den höchsten Gipfel der Pyrenäen bestiegen hat, hatte begriffen, daß das Leben ohne Abenteuer verschenkt ist.«

»Was meinst du damit?« fragte er, und ich sah, daß er wieder angespannt war. »Einer der Namen der Großen Mutter ist Unsere Heilige Mutter der Gnaden – weil sie aus großzügigen Händen ihre Segnungen an alle verschenkt, die für sie offen sind.

Wir können niemals das Leben anderer beurteilen, denn jeder weiß um den eigenen Schmerz und Verzicht. Du kannst für dich sagen, daß du auf dem rechten Weg bist; doch es ist etwas anderes, wenn du sagst, es sei der einzige Weg.

Jesus sagte: Das Haus meines Vaters hat viele Wohnungen.

Die Gabe ist ein Geschenk. Aber es ist auch ein Geschenk, eine Gnade, sein Leben in Würde zu leben, in Liebe für den Nächsten und arbeitsam. Maria hatte auf Erden einen Ehemann, der versucht hat, den Wert anonymer Arbeit zu zeigen. Obwohl es wenig erscheint, so war er es doch, der für ein Dach über dem Kopf und Nahrung gesorgt hat, damit seine Frau und sein Sohn alles das tun konnten, was sie getan haben. Seine Arbeit ist genauso wichtig wie ihre, auch wenn man ihr diesen Wert nicht beimißt.«

Ich sagte nichts. Er ergriff meine Hand.

»Verzeih mir meine Intoleranz.«

Ich küßte seine Hand und legte sie an mein Gesicht.

»Das ist es, was ich dir erklären möchte«, sagte er wieder lächelnd. »Daß ich in dem Augenblick, in dem ich dich wiedergetroffen habe, begriffen habe, daß ich dich durch meine Mission nicht leiden lassen durfte.«

Unruhe stieg in mir auf.

»Gestern habe ich gelogen. Es war das erste und das letzte Mal, daß ich gelogen habe«, fuhr er fort. »Anstatt ins Seminar zu fahren, bin ich in die Berge gefahren und habe mit der Großen Mutter gesprochen.

Ich habe gesagt, daß ich mich, wenn sie es wollte, von dir trennen und meinen Weg fortsetzen würde. Ich würde weiter unzählige Kranke vor meiner Tür warten haben, würde mitten in der Nacht aufbrechen, das Unverständnis derer, die den Glauben leugnen wollen, und die zynischen Blicke derer ertragen, die der rettenden Liebe mißtrauen. Wenn sie mich gebeten hätte, hätte ich auf das verzichtet, was ich auf der Welt am meisten liebe, auf dich.«

Mir fiel wieder der Pater ein. Er hatte recht gehabt. An jenem Morgen war er dabei, sich zu entscheiden.

»Wenn es aber möglich wäre«, fuhr er fort, »diesen Kelch an mir vorbeigehen zu lassen, versprach ich, der Welt durch meine Liebe zu dir zu dienen.«

»Was sagst du da?« fragte ich erschrocken.

Er schien mich nicht zu hören.

»Man braucht keine Berge zu versetzen, um seinen Glauben zu beweisen«, sagte er. »Ich war bereit, allein das Leiden auf mich zu nehmen, nicht aber, es zu teilen. Würde ich diesen Weg weitergehen, hätten wir nie ein Haus mit weißen Gardinen und einem Blick auf die Berge.«

»Ich will dieses Haus überhaupt nicht. Ich wollte nicht einmal hineingehen!« sagte ich, und ich zwang mich, nicht zu schreien.

»Ich will dich begleiten, dir im Kampf beistehen, zu denen gehören, die das Wagnis als erste eingehen! Du hast mir den Glauben wiedergegeben!«

Die Sonne hatte ihre Stellung verändert, und ihre Strahlen beschienen nun die Wände der Höhle. Doch all diese Schönheit begann ihre Bedeutung zu verlieren.

Gott hat die Hölle mitten im Paradies verborgen.

»Du weißt es nicht«, sagte er, und ich sah, wie seine Augen mich anflehten, ihn doch zu verstehen. »Du kennst das Risiko nicht.«

»Doch du bist glücklich dabei.«

»Ich bin wohl glücklich, aber es ist mein Risiko.«

Ich wollte ihn unterbrechen, doch er hörte mir nicht zu. »Daher habe ich gestern die Heilige Jungfrau um ein Wunder gebeten«, fuhr er fort. »Ich habe sie gebeten, mir meine Gabe wieder zu nehmen.«

Ich traute meinen Ohren nicht.

»Ich habe etwas Geld und all die Erfahrungen, die ich auf meinen Reisen gesammelt habe. Wir werden ein Haus kaufen, ich werde mir eine Anstellung suchen und werde Gott dienen wie einst Joseph, in demütiger Anonymität. Ich brauche keine Wunder mehr, um meinen Glauben lebendig zu halten. Ich brauche dich.«

Meine Beine wurden schwach, wie kurz vor einer Ohnmacht.

»Und in dem Augenblick, als ich die Heilige Jungfrau darum bat, mir die Gabe wieder zu nehmen, begann ich mit fremden Zungen zu reden«, fuhr er fort. »Die Zungen sagten mir: ›Lege deine Hände auf die Erde. Ihre Gabe wird aus dir heraustreten und zur Großen Mutter zurückkehren.‹«

Panik erfaßte mich.

»Du hast doch nicht…«

»Doch. Ich tat das, was der Heilige Geist mich tun hieß. Der Nebel lichtete sich, und die Sonne erstrahlte zwischen den Bergen. Ich fühlte, daß die Heilige Jungfrau mich verstanden hatte – denn auch sie hat viel geliebt.«

»Doch sie ist ihrem Mann gefolgt! Sie hat den Weg ihres Sohnes akzeptiert!«

»Wir besitzen nicht ihre Kraft, Pilar. Meine Gabe wird auf jemand anderen übergehen – sie wird niemals vergeudet.

Gestern im Restaurant habe ich in Barcelona angerufen und den Vortrag abgesagt. Wir fahren nach Saragossa. Dort kennst du viele Leute, und wir könnten dort anfangen. Ich werde schnell eine Arbeit finden.«

Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.

»Pilar!« sagte er.

Doch ich war schon wieder in den Tunnel zurückgekehrt, ohne die Schulter eines Freundes, auf die ich mich stützen konnte – verfolgt von den unzähligen Kranken, die sterben, von ihren Familien, die leiden würden, von den Wundern, die nie getan würden, vom Lachen, das die Welt nun nicht mehr schmücken würde, von den Bergen, die nun immer an ihrem Platz bleiben würden.

Und ich sah nichts – nur die beinahe körperliche Dunkelheit, die mich umgab.

Freitag, 10. Dezember 1993

Am Ufer des Rio Piedra saß ich und weinte. Meine Erinnerungen an jene Nacht sind wirr und undeutlich. Ich weiß nur, daß ich dem Tode nahe war – doch ich erinnere mich nicht mehr an sein Gesicht und wohin er mich führte.

Ich würde mich gern daran erinnern, damit ich es auch aus meinem Herzen verbannen könnte. Doch es gelingt mir nicht.

Seit ich aus dem Tunnel in die nun nachtdunkle Welt trat, erscheint mir alles wie ein Traum.

Kein Stern strahlte am Himmel. Ich erinnere mich vage daran, daß ich bis zum Wagen gegangen bin, die kleine Tasche, die ich bei mir hatte, herausgenommen habe und ziellos weitergelaufen bin. Ich muß bis zur Straße gekommen sein, versucht haben, per Anhalter nach Saragossa zurückzukehren.

Doch es hat nicht geklappt. Ich bin schließlich in die Gärten des Klosters gegangen.

Das Rauschen des Wassers war allgegenwärtig. Überall gab es Wasserfälle, und mir war klar, daß mich die Große Mutter mit ihrer Anwesenheit immer verfolgen würde. Ja, sie hatte die Welt geliebt. Sie hatte die Welt so wie Gott geliebt, denn auch sie hat ihren Sohn hingegeben, damit er für die Menschen geopfert würde. Doch wußte sie auch etwas über die Liebe einer Frau zu einem Mann?

Sie mag aus Liebe gelitten haben, doch es ging um eine andere Liebe. Ihr himmlischer Bräutigam war allwissend, tat Wunder.

Ihr Bräutigam auf Erden war ein einfacher Arbeiter, der an alles glaubte, was ihre Träume erzählten. Sie hat nie erfahren, was es bedeutet, einen Mann zu verlassen oder von ihm verlassen zu werden. Als Joseph sie aus seinem Hause vertreiben wollte, weil sie schwanger war, schickte der himmlische Bräutigam sogleich einen Engel, um dies zu verhindern.