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Meine Augen füllten sich mit Tränen.

»Dasselbe geschieht mit der Liebe«, fuhr sie fort. »Es gab sie vorher, und es wird sie immer weiter geben.«

»Es ist, als kennten Sie mein Leben«, sagte ich.

»Alle Liebesgeschichten haben etwas gemeinsam. Ich habe dies auch schon in meinem Leben durchgemacht. Doch daran denke ich nicht mehr.

Ich erinnere mich daran, daß die Liebe in der Gestalt eines anderen Mannes, in der Gestalt neuer Hoffnungen, neuer Träume wiederkam.«

Sie reichte mir das Papier und den Stift.

»Schreiben Sie alles auf, was Sie fühlen. Holen Sie es aus Ihrer Seele, vertrauen Sie es dem Papier an, und werfen Sie es dann fort. Die Legende besagt, daß der Rio Piedra so kalt ist, daß alles, was in ihn hineinfällt – die Blätter, die Insekten, die Federn der Vögel –, sich in Steine verwandelt. Wer weiß, vielleicht ist es ja eine gute Idee, das Leid in sein Wasser zu werfen.«

Ich nahm das Papier, sie küßte mich und sagte, ich könne, wenn ich wollte, zum Mittagessen wiederkommen.

»Vergessen Sie eines nicht«, rief sie mir nach. »Die Liebe bleibt. Nur die Männer ändern sich!«

Ich lachte, und sie winkte.

Ich sah lange auf den Fluß. Weinte, bis ich keine Tränen mehr hatte.

Dann begann ich zu schreiben.

Epilog

Ich schrieb einen ganzen Tag und noch einen und noch einen.

Jeden Morgen ging ich ans Ufer des Rio Piedra. Jeden Abend kam die Frau, nahm mich beim Arm und führte mich in ihr Zimmer im alten Kloster.

Sie wusch meine Wäsche, bereitete das Abendessen, redete über Nichtssagendes mit mir und brachte mich ins Bett.

Eines Morgens, ich hatte das Manuskript fast beendet, hörte ich das Geräusch eines Wagens. Mein Herz tat einen Sprung, doch ich wollte nicht glauben, was es mir sagte. Ich fühlte mich schon von allem befreit, bereit, in die Welt zurückzukehren und wieder ein Teil von ihr zu werden.

Das Schwierigste war vorüber, aber die Sehnsucht nach ihm würde noch lange fortbestehen.

Doch mein Herz hatte recht gehabt. Obwohl ich vom Manuskript nicht aufblickte, hörte ich seine Schritte und spürte seine Gegenwart.

»Pilar«, sagte er und setzte sich neben mich.

Ich antwortete nicht. Ich schrieb weiter, doch ich konnte meine Gedanken nicht mehr zusammenhalten. Mein Herz machte Bocksprünge, versuchte sich aus meiner Brust zu befreien und zu ihm zu eilen. Doch ich ließ es nicht zu.

Er blieb dort sitzen, blickte auf den Fluß, während ich unablässig schrieb. Wir verbrachten so den ganzen Morgen – wortlos –, und ich erinnerte mich an das Schweigen in jener Nacht am Brunnen, wo ich plötzlich begriffen hatte, daß ich ihn liebte.

Als meine Hand vor Müdigkeit nicht mehr weiterschreiben konnte, machte ich eine Pause. Da sprach er.

»Es war dunkel, als ich aus der Höhle herauskam, und ich konnte dich nicht finden. Da bin ich nach Saragossa gefahren.

Und dann nach Soria. Und ich wäre auf der Suche nach dir um die ganze Welt gefahren. Ich beschloß dann, zum Kloster von Piedra zurückzukehren, um zu sehen, ob ich eine Spur finden konnte. Und da traf ich eine Frau.

Sie zeigte mir, wo du warst. Und sagte, daß auch du all die Tage auf mich gewartet hast.«

Meine Augen füllten sich mit Tränen.

»Und ich werde an deiner Seite sitzen bleiben, solange du an diesem Fluß sitzt. Und wenn du schläfst, werde ich vor deinem Haus schlafen. Und wenn du weit weg reist, dann werde ich dir folgen.

Bis du zu mir sagst: ›Geh.‹ Dann gehe ich. Doch ich werde dich bis an mein Lebensende lieben.«

Ich konnte mein Weinen nicht mehr verbergen. Ich sah, daß auch er weinte.

»Ich möchte, daß du eines weißt…«, begann er.

»Sag nichts. Lies«, antwortete ich und reichte ihm die Seiten, die auf meinem Schoß lagen.

Den ganzen Nachmittag lang blickte ich auf das Wasser des Rio Piedra. Die Frau brachte uns belegte Brote und Wein, machte irgendeine Bemerkung zum Wetter und ließ uns wieder allein. Immer wieder hielt er im Lesen inne und schaute gedankenverloren zum Horizont.

Irgendwann beschloß ich, einen Spaziergang im Wald zu machen, an den kleinen Wasserfällen vorbei, entlang den Hängen voller Geschichte. Als die Sonne unterzugehen begann, kehrte ich an den Platz zurück, an dem ich ihn verlassen hatte.

»Danke«, waren seine ersten Worte, als er mir die Seiten zurückgab. »Und verzeih mir.«

An den Ufern des Rio Piedra saß ich und lächelte.

»Deine Liebe rettet mich und gibt mir meine Träume zurück«, fuhr er fort.

Ich schwieg, saß reglos da.

»Kennst du den 137. Psalm?« fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte Angst davor, etwas zu sagen. »An den Ufern zu Babylon…«

»Doch, ja, ich kenne ihn«, sagte ich und spürte, daß ich ganz allmählich ins Leben zurückkehrte. »Er handelt vom Exil. Er erzählt von den Menschen, die ihre Harfen an die Bäume hängen, weil sie die Musik nicht mehr spielen können, die ihr Herz verlangt.«

»Doch nachdem der Sänger der Psalmen vor Sehnsucht nach dem Land seiner Träume geweint hat, verspricht er sich selbst: Vergesse ich dich, Jerusalem, so verdorre meine Rechte.

Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke, Jerusalem.«

Ich lächelte wieder.

»Ich hatte ihn fast vergessen. Und du erinnerst mich wieder daran.«

»Glaubst du, daß deine Gabe zurückkehrt?« fragte ich.

»Ich weiß es nicht. Doch Gott gibt einem im Leben immer eine zweite Chance. Er gibt sie mir durch dich. Und er wird mir helfen, meinen Weg wiederzufinden.«

»Unseren Weg«, fiel ich ihm ins Wort.

»Ja, unseren Weg.«

Er nahm mich bei den Händen und zog mich hoch.

»Hol deine Sachen«, sagte er. »Träume machen Arbeit.«

Januar 1994