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»Für dich lohnt es sich«, sagt er.

Ich sehe weg, tue so, als sei ich an der Einrichtung des Restaurants interessiert. Ich hatte mich wie eine Kröte gefühlt, und nun war ich wieder eine Prinzessin.

›Ich würde seinen Worten gerne glauben‹, denke ich, während ich ein Bild mit Fischern und Booten anschaue. ›Doch das wird nichts ändern, wenigstens fühle ich mich nicht mehr so schwach, so unfähig.‹

»Entschuldige bitte, wenn ich aggressiv war«, sage ich.

Er lächelt, ruft den Kellner und zahlt.

Auf dem Rückweg bin ich noch verwirrter. Vielleicht ist es die Sonne. Aber nein, es ist Herbst, und die Sonne ist nicht mehr so heiß. Vielleicht ist es der Alte, doch der Alte ist längst aus meinem Leben verschwunden.

Vielleicht ist auch alles nur neu. Ein neuer Schuh ist unbequem.

Mit dem Leben ist es nicht anders: Es packt uns unversehens und zwingt uns, unsere Schritte ins Unbekannte zu lenken, immer dann, wenn wir es nicht wollen, wenn wir es nicht brauchen können.

Ich versuche mich auf die Landschaft zu konzentrieren, doch es gelingt mir nicht mehr, die Olivenhaine, die kleine Stadt auf dem Berg, die Kapelle mit dem Alten an der Tür zu sehen. Es ist mir alles fremd.

Ich erinnere mich an unseren Schwips von gestern und an das Lied, das er sang:

Las tardicitas de Buenos Aires tienen este no se…

Que se yo?

Viste, sali de tu casa, por Arenales Die Abende in Buenos Aires haben das gewisse Etwas… Wer weiß?

Hast du gesehen, wie ich die Rua Arenales entlangging, nachdem ich dein Haus verlassen hatte?

Wieso Buenos Aires, wo wir doch in Bilbao waren? Warum die Rua Arenales? Was wollte er damit sagen?

»Was war das für ein Lied, das du gestern gesungen hast?«

frage ich ihn.

»Balada para un loco, die Ballade für einen Verrückten«, sagt er. »Warum fragst du mich heute danach?«

»Nur so«, antworte ich.

Aber ich weiß, er hat es extra gemacht. Dieses Lied, das er mir vorgesungen hat, war eine Falle. Er hat mich den Text auswendig lernen lassen, dabei müßte ich meinen Kopf für meinen Examensstoff freihalten. Er hätte ein bekanntes Lied singen können, eines, das ich schon tausendmal gehört habe, aber er mußte natürlich eins nehmen, das ich noch nie gehört hatte.

Es ist eine Falle. Denn wenn dieses Lied später einmal im Radio gespielt wird oder jemand diese Platte auflegt, werde ich mich an ihn erinnern, an Bilbao, an die Zeit, in der der Herbst meines Lebens wieder zum Frühling wurde. Ich werde mich an die Erregung, an das Abenteuer, an das Kind in mir erinnern, das, Gott allein weiß, woher, wieder aufgetaucht war.

Er hat das alles bedacht. Er ist klug, erfahren und weiß, was er tun muß, um die Frau zu erobern, die er begehrt.

›Ich werde noch verrückt‹, sage ich mir. ›Ich glaube, ich bin Alkoholikerin, weil ich zwei Tage hintereinander etwas getrunken habe. Ich bin sicher, er kennt alle Tricks. Mit seiner sanften Art hat er mich fest im Griff.‹

»Ich bewundere den Kampf, den dein Verstand mit deinem Herzen ausficht«, hat er im Restaurant gesagt.

Aber er irrt sich. Denn ich habe bereits gekämpft und mein Herz schon vor langer Zeit besiegt. Ich werde mich nicht in das Unmögliche verlieben. Ich kenne meine Grenzen und die Grenzen meiner Leidensfähigkeit.

»Sag etwas«, bitte ich ihn, während wir zum Wagen zurückgehen.

»Was denn?«

»Irgend etwas. Rede mit mir.«

Er fängt an, mir etwas von den Erscheinungen der Jungfrau Maria in Fatima zu erzählen. Ich weiß nicht, wie er darauf kommt, aber die Geschichte von den drei Hirtenkindern, die mit der Muttergottes sprachen, lenkt mich von meinen Gedanken ab.

Mein Herz beruhigt sich allmählich. Jawohl, ich kenne meine Grenzen und habe mich im Griff.

Wir kamen nachts an. Es herrschte so dichter Nebel, daß man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Ich sah nur einen kleinen Platz, eine Laterne, einige vom gelben Licht schlecht beleuchtete mittelalterliche Häuser, einen Brunnen.

»Der Nebel!« sagte er erregt. »Wir sind in Saint-Savin.«

Der Name sagte mir nichts. Aber wir waren in Frankreich, und das fand ich aufregend.

»Warum sind wir hier?«

»Wegen des Hauses, das ich dir verkaufen will«, antwortete er lachend. »Außerdem habe ich versprochen, daß ich am Tag der Unbefleckten Empfängnis hierher zurückkehren würde.«

»Hierher?«

»Ja, hier in der Nähe.«

Er hielt den Wagen an. Wir stiegen aus, er nahm mich bei der Hand, und wir gingen durch den Nebel.

»Dieser Ort trat unerwartet in mein Leben«, sagte er.

›Du auch in meins‹, dachte ich.

»Hier dachte ich einmal, ich hätte mich verlaufen, doch das stimmte nicht: in Wahrheit fand ich hier meinen Weg.«

»Du sprichst in Rätseln«, sagte ich. »Hier habe ich begriffen, daß du mir in meinem Leben fehlst.«

Ich sah mich um. Ich begriff nicht, wieso.

»Was hat das mit deinem Weg zu tun?«

»Wir werden uns ein Zimmer suchen, denn die beiden einzigen Hotels in dieser kleinen Stadt sind nur im Sommer geöffnet.

Dann essen wir in einem guten Restaurant zu Abend, ganz entspannt, ohne die Polizei auf den Fersen, ohne Hals über Kopf zum Wagen rennen zu müssen. Und wenn der Wein unsere Zunge gelöst hat, dann reden wir ausführlich miteinander.«

Wir lachten beide. Ich war schon zu entspannt.

Während der Reise wurde mir deutlich, was für Unsinn ich gedacht hatte. Als wir durch das Gebirge fuhren, das Frankreich von Spanien trennt, hatte ich Gott darum gebeten, mir die Anspannung und die Angst von der Seele zu nehmen.

Ich war es müde, diese kindliche Rolle zu spielen, mich so zu verhalten wie viele meiner Freundinnen, die Angst vor der unmöglichen, unerfüllbaren Liebe hatten, jedoch nicht einmal wußten, was diese ›unmögliche Liebe‹ überhaupt war. Wenn ich so weitermachte, würde ich noch alles verderben, was mir diese paar Tage mit ihm zusammen Gutes geben konnten.

›Vorsicht‹, dachte ich, ›Vorsicht mit dem Haarriß im Staudamm.

Ist er erst da, kann ihn nichts auf der Welt wieder schließen.‹

»Möge uns die Heilige Jungfrau von nun an beschützen«, sagte er.

Ich antwortete nicht.

»Warum sagst du nicht Amen?« fragte er.

»Weil ich es nicht so wichtig finde. Es gab Zeiten, in denen gehörte die Religion zu meinem Leben, doch diese Zeiten sind vorüber.«

Er machte auf dem Absatz kehrt, und wir gingen zum Wagen.

»Ich bete noch«, fuhr ich fort. »Ich habe gebetet, als wir über die Pyrenäen gefahren sind. Doch das geschieht fast automatisch, ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich daran wirklich glaube.« »Warum?«

»Weil ich gelitten habe und Gott mich nicht erhört hat. Weil ich viele Male in meinem Leben versucht habe, von ganzem Herzen zu lieben, und die Liebe am Ende mit Füßen getreten, verraten wurde. Wenn Gott die Liebe ist, müßte er sich um mein Gefühl mehr kümmern.«

»Gott ist die Liebe. Doch wer davon etwas versteht, ist die Heilige Jungfrau Maria.«

Ich brach in Lachen aus. Als ich ihn wieder ansah, war er ernst.

Es war kein Scherz gewesen.

»Die Heilige Jungfrau kennt das Geheimnis der vollkommenen Hingabe«, fuhr er fort. »Und da sie geliebt und gelitten hat, hat sie uns vom Schmerz befreit. Genauso, wie Jesus uns von den Sünden befreit hat.«

»Jesus war Gottes Sohn. Die Heilige Jungfrau war nur eine Frau, der die Gnade zuteil wurde, ihn in ihrem Schoße zu empfangen«, entgegnete ich. Ich wollte das unpassende Gelächter wiedergutmachen, ich wollte, daß er merkte, daß ich seinen Glauben respektiere. Aber über Glaube und über Liebe diskutiert man nicht, vor allem nicht in einer so reizenden Stadt wie dieser.

Er öffnete den Kofferraum und holte die beiden Taschen heraus. Als ich mein Gepäckstück selbst tragen wollte, lächelte er.

»Laß nur, ich trage es für dich.«