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»Woher wissen Sie das?« fragte Frona mißtrauisch.

»Woher ich das weiß? Ich weiß es eben, verstehen Sie, Fräulein! Wenn einer sein Bild alle fünf Minuten in sämtlichen Zeitungen hat, dann weiß man eben, wie er aussieht.«

»Wer ist der Dritte?« fragte sie. Ihr Berichterstatter stellte sich auf die Zehenspitzen.

»Den kenn’ ich nicht«, gestand er betrübt. Dann fragte er seinen Nebenmann.

»Du, der Magere, mit dem ausrasierten Vollbart, der mit dem Lappen ums Knie, wer ist das?«

In diesem Augenblick aber stieß Frona einen Freudenschrei aus und stürzte auf den Mann mit dem Vollbart zu. »Matt! Mein lieber, alter Matt!«

Der Mann schüttelte ihr die Hand, aber sein Gesicht schien mißtrauisch. Er hatte keine Ahnung, mit wem er sprach.

»Du kennst mich nicht mehr, Matt? Untersteh dich, mir zu sagen, daß du mich nicht mehr kennst! Wenn nicht so viele fremde Leute hier wären, bekämst du jetzt auf der Stelle einen Kuß, daß du’s nur weißt, alter Bär!«

»Natürlich, ich kenne Sie natürlich. aber wenn Sie mich totschlagen, im Augenblick komme ich nicht darauf.«

Sie zeigte auf das Haus, in dem sie geboren worden war.

»Jetzt hab’ ich’s!« rief er. Als er sie dann aber von oben bis unten gemustert hatte, war er wieder enttäuscht. »Kann nicht sein. Muß mich irren. In dem Stall da haben Sie nie gewohnt.«

Frona nickte heftig mit dem Kopf.

»Dann bist du’s also doch? Die kleine, blonde Hexe, immer barfuß und mit bloßen Beinen? Die ich immer hab’ kämmen müssen?«

»Ja, ja!«

»Der kleine Satan, der mit dem Hundegespann durchgebrannt ist und mitten im Winter über den Paß wollte, weil ihr der alte Matt erzählt hatte, dort drüben höre die Welt auf?«

»Matt, lieber alter Matt! Und weißt du auch noch, wie ich mit den Mädchen aus dem Indianerlager schwimmen gegangen bin?«

»Und ich dich gerade noch an den Wuscheln gekriegt hab’, wie du schon am Ersaufen warst!«

»Und wie du dabei einen von deinen neuen Gummihandschuhen verloren hast?«

»Na, ob ich das noch weiß! Gerade erst bei deinem Vater gekauft, da im Laden, für zehn Dollar!«

»Und dann bist du fortgezogen. über den Paß ins Land hinein. und hast nichts mehr von dir hören lassen. Alle Welt hat geglaubt, du wärst tot.«

»Was du alles noch weißt! Und warst doch so ein winziges Frauenzimmer.«

»Acht Jahre alt war ich.«

»Laß mich mal nachrechnen, Mädel. Zwölf Jahre war ich drinnen im Land, heut zum erstenmal wieder an der Küste. Dann hast du jetzt also deine zwanzig auf dem Buckel?«

»Und bin fast ebenso groß wie du, alter Matt!«

»Ein ausgewachsenes, großes Mädel und gar nicht so übel. So ‘n bißchen mehr Fleisch könntest du gern auf den Knochen haben.«

»Mit zwanzig braucht man kein Fett. Fühle lieber hier!«

Sie streckte ihm den Arm hin und zeigte ihre Muskeln.

»Donnerwetter!« Er griff tüchtig zu. »Als ob du fürs tägliche Brot geschafft hättest.«

»Das nicht, aber Keulenschwingen, Boxen, Fechten! Außerdem Schwimmen, zwanzig Klimmzüge hintereinander! Und dann kann ich noch auf den Händen gehen!«

»Dann hast du deine Zeit nicht schlecht angewendet. Hier haben diese Kaffern erzählt, du wärst fortgereist, um da drüben zu büffeln.«

»Das ist heute nicht mehr ganz so, Matt. Sie pfropfen einem den Kopf nicht mehr so voll, daß die Beine zu dünn werden, um ihn zu tragen. Aber du, was machst du, Matt? Was hast du in diesen zwölf Jahren alles getrieben?«

»Also schau mich an, Mädel! Wie ich vor dir stehe, bin ich Herr Matthew McCarthy, König Matt der Erste aus der Eldorado-Dynastie. Mein Besitz ist unbegrenzt, und ich hab’ mehr Goldstaub gemacht, als ich je geträumt hätte. Jetzt hab’ ich genug, jetzt möcht’ ich wieder mal einen anständigen Whisky haben. Einen von der richtigen Sorte, ehe ich sterbe. Dazu fahre ich ‘rüber in die Staaten, denn hierheraus kommt immer nur das gepanschte Zeug. Außerdem will ich mich nach meinen Vorfahren umsehen. Ich glaube bestimmt, daß ich welche habe. Wenn du im übrigen ein paar Pfund Goldstaub nötig hast, kannst du’s mir ja sagen.«

»Den hol’ ich mir selbst, wenn ich welchen brauche.« Der Irländer Matt bahnte sich jetzt seinen Weg durch die Menge der Chechaquos, die ehrfürchtig vor ihm zur Seite wichen, und in seinem Fahrwasser segelte die leichte, kleine Frona. In den Augen all dieser Leute waren sie beide eine Art Götter des Nordens.

»Der Eldorado-König Matt McCarthy und eine richtige Welse, wirklich und wahrhaftig, eine Tochter von Jacob Welse!«

Sie trat aus dem glitzernden Birkenwald heraus und flog leicht über die betaute Wiese dahin, während die ersten Sonnenstrahlen auf ihrem flatternden Haar flammten. Die Erde strotzte von Feuchtigkeit und quoll unter ihren Füßen, und die nassen Pflanzen schlugen ihr gegen die Knie, daß flüssige Diamanten leuchtend sprühten. Die Morgenröte färbte ihre Wangen und funkelte in ihren Augen, und sie glühte von Jugend und Liebe, denn da sie keine Mutter gehabt, war sie am Busen der Natur aufgewachsen, und sie liebte die alten Bäume und Schlingpflanzen leidenschaftlich. Das undeutliche Gemurmel erfreute ihr Ohr, und der feuchte Brodem der Erde stieg ihr süß in die Nase.

Dort, wo der obere Teil der Wiese in einem dunklen, engen Waldweg verschwand, fand sie zwischen langstengeligem Löwenzahn und leuchtenden Butterblumen ein Büschel Alaskaveilchen. Sie warf sich der Länge nach zu Boden, begrub ihr Antlitz in der duftenden Kühle und preßte die purpurne Pracht an sich. Sie schämte sich nicht. Sie war zu den komplizierten Lebensbedingungen der großen Welt, zu ihrem Schmutz und zu ihrer verderblichen Hitze gewandert und war einfach, rein und gesund wiedergekehrt. Und sie freute sich dessen, wie sie jetzt dalag und zurückglitt zu den alten Tagen, als die Welt mit dem Horizont begonnen und geendet hatte, und sie über den Paß gereist war, um den Abgrund zu schauen.

Fronas Kindheit war unter sehr harten Bedingungen verlaufen. Es hatte nur wenige, aber strenge Bindungen für sie gegeben, die sie später den »Brot- und Bettglauben« nannte. Das war, soviel ihr bekannt war, auch der Glaube ihres Vaters gewesen, von dem sie im übrigen wußte, daß sein Name unter den Männern einen guten Klang hatte. Es war der Glaube, mit dem starke, reine Männer jeder Gefahr trotzten oder in den Tod gingen, der Glaube Jacob Welses und Matt McCarthys, der Indianerjungen, mit denen sie gespielt hatte, der Indianermädchen, deren Feldherrin sie im Amazonenkrieg gewesen, der Wolfshunde sogar, die sich in den Strängen mühten und Schlitten über den Schnee zogen. Das war ein gesunder Glaube! Ein Rotkehlchen zirpte aus dem Birkenwald, ein Rebhuhn schwirrte im Wald auf, ein Eichhörnchen schoß über ihrem Kopf mit sicherem Sprung von einem Baum zum anderen. Der Tag begann. Vom Fluß her, den sie nicht sah, tönten die Rufe der Glücksjäger, die sehr früh das Lager verlassen hatten und anfingen, sich ihren schweren Weg nach Norden zu erkämpfen.

Als Frona Gras und Blumen lange genug umarmt hatte, stand sie auf und schlug den alten Weg nach dem Lager des Dyea-Stammes ein. Sie begegnete einem Knaben, der bis auf die geflickten Hosen ein nackter Bronzegott war. Er suchte Holz und sah sie bös an. Sie sagte ihm in der Dyea-Sprache guten Morgen, aber er lachte frech, und als sie weiterging, streckte er ihr die Zunge heraus. So war es früher nicht gewesen. Als sie dann einem großen, finster blickenden Sitka-Indianer begegnete, grüßte sie nicht. Am Rande des Waldes sah sie das Lager vor sich liegen, aber nicht das alte Lager mit seinen zwanzig oder dreißig Hütten, die unordentlich über das Gelände verstreut waren. An seiner Stelle befand sich da ein mächtiges Dorf. Es reichte bis zum Flußufer hinab, wo die langen Kanus, je zehn oder zwölf in einer Gruppe, lagen. Von weit her waren die Stamme hier zusammengekommen. Sie sah lauter fremde Indianer mit ihren Weibern und Hunden, ihrem Hab und Gut. Frona erkannte Männer aus Juneau und Wrangel, Styx mit brennenden Augen von jenseits des Passes, kriegerische Chilcoots und Eingeborene der KöniginCharlotte-Insel. Die meisten musterten sie finster, fast zornig; ein paar freche Halunken riefen ihr unanständige Worte zu.