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»Courbertin! Der kann Russisch!« tönte eine Stimme aus der Menge. Man machte dem Franzosen Platz. Trotz seines Zögerns wurde er in die vorderste Reihe geschoben.

»Sie können die Sprache?«

»Sehr sleckt! Ick ‘abe vergessen!«

»Nur los! Wir kritisieren nicht.«

Del gab dem Baron das Buch und schlug das vergilbte Titelblatt auf.

»Großartig, daß wir Sie haben, Herr Baron. Also los!«

Courbertin begann zögernd: »Dieses Buch, geschrieben von Pater Jakonsk, ist ein kurzer Bericht über sein Leben im Benediktinerkloster zu Obidorski und eine ausführliche Beschreibung seiner wunderbaren Abenteuer unter den Hirschmännern in Ostsibirien.«

»Sagen Sie uns, wann das hübsche kleine Buch gedruckt worden ist, Herr Baron?« verlangte Del.

»Warschau, 1807.«

Der Goldtaschengräber triumphierte: »Aufpassen, Leute! Nasen gespitzt! 1807!«

Der Baron las die Einleitung: »Es war alles Tamerlans Schuld«, begann er. Bei diesen Worten wurde Frona leichenblaß, sie kroch förmlich in sich zusammen. Einmal sandte sie ihrem Vater einen verstohlenen Blick zu, als bäte sie um Verzeihung. St. Vincent starrte sie an, sie fühlte es, aber sie gab ihm keinen Blick zurück.

Alles, was er sah, war ein weißes, völlig ausdrucksloses Gesicht.

»Als Tamerlan mit Feuer und Schwert durch Ostasien zog«, ging die Vorlesung weiter, »wurden Staaten vernichtet, Städte zerstört und Stämme wie Staub in alle Winde zerstreut. Ein ungeheures Volk wurde zum Lande hinausgejagt.«

»Überspringen Sie ein paar Seiten«, verlangte Bill Brown, »wir können nicht die ganze Nacht hier sitzen bleiben.«

»Die Bevölkerung der Küste bestand aus Eskimos, das sind heitere und gutartige Menschen«, buchstabierte Courbertin. Plötzlich wurde sein Vortrag flüssiger:

».sie nennen sik selber Ukilions, das ‘eißt Meeresleute. Ich kaufte ihnen Hunde und Proviant ab, wir kamen gut miteinander aus. Aber die Ukilions waren einem Binnenlandstamm Untertan, den Tschautschuins, das ‘eißt in unserer Sprache >Hirschmenschen<. Die Tschautschuins sind ein wildes, unbezwingbares Volk, grausam und bos’aft, wie nur Mongolen werden können. Kaum ‘atte ich die Küste ‘inter mir, da überfielen sie mik.«

Ein paar Seiten später erklärte Bill Brown: »Danke, das genügt. Wollen Sie uns noch einmal sagen, wann das Buch erschienen ist?«

»Warschau, 1807.«

In der Versammlung war kaum ein Mann, der den ganzen Bericht von St. Vincents Sklavenzeit, von seinem Aufstieg unter den Hirschmännern und seiner Flucht nicht schon oft gehört hatte oder mindestens vom Hörensagen kannte. Aus dem Flüstern und Kopfschütteln, mit dem der Anfang von Courbertins Vorlesungen aufgenommen worden war, wurde langsam heiteres Lachen, und zuletzt konnte man glauben, in einem Theater zu sein, auf dessen Bühne die lustigste Posse vorgeführt wurde. Die Männer schlugen sich auf die Schenkel, stießen einander in die Seiten, und zuletzt wurde ihr Lachen ein Gebrüll fassungsloser Heiterkeit.

»Willst du lieber nichts mehr mit der Geschichte zu tun haben?« fragte Welse leise seine Tochter. Ihr Gesicht hing voll von Tränen, aber sie schüttelte den Kopf.

»Ich muß ihn trotz allem verteidigen, Vater. Es ist meine Pflicht.«

St. Vincent war erstaunlich tapfer, als er endlich das Wort bekam, um sich zu verteidigen. Vielleicht hatte er nach diesem ungeheuren Ausbruch von Lachen das Gefühl, ganz ernst sei die Verhandlung nicht mehr. Jedenfalls sprach er klar und männlich und faßte sich kurz. Sein Bericht widersprach in keinem Punkt dem, was La Flitche und John vorgebracht hatten. Auch die Geschichte mit dem Waschzuber stellte er genauso dar, wie die schwedischen Zeugen es getan hatten. Er gab zu, daß Bella mit seiner Waffe getötet worden war, und behauptete, er habe sie Borg schon einige Tage zuvor geliehen. Die Anklage Bellas sei unbegreiflich, ganz sicher war die arme Frau verwirrt. Sicher sei sie nicht mit einer bewußten Lüge auf den Lippen gestorben. Er wolle der Toten keinen Stein ins Grab nachwerfen. Über die Aussage Del Bishops wolle er sich gar nicht äußern. Das sei kindisch, boshaftes Geschwätz eines Burschen, den man als Großmaul und Raufbold kannte. Der Mann sei mit ihm nach Alaska gekommen, alles andere sei Erfindung, zu töricht, um vor ernsten Männern darauf zu antworten. Ein Zeuge, der den Vorsitzenden zum Boxen herausfordert und bedroht, sei kein Zeuge.

Jetzt erhob sich Bill Brown: »Sie wollen, Angeklagter, mit zwei geheimnisvollen Männern einen furchtbaren Kampf bestanden haben?«

»Jawohl.«

»Wie kommt es dann, daß Sie ohne jede Wunde, ja selbst ohne eine Schramme aus diesem Kampf hervorgegangen sind, während der Körper des ermordeten John Borg eine ganze Reihe furchtbarer Wunden trägt? Dieselben Mordbuben, die John Borg so schrecklich zugerichtet haben, haben mit Ihnen gekämpft, ohne Sie auch nur zu verletzen?«

»Das weiß ich nicht, das kann ich auch nicht erklären. Jedenfalls beweist es nicht, daß ich John Borg oder seine Frau getötet habe.«

Damit schloß das Verhör.

Dann griff Frona ein. Sie wußte, daß die beste Parade der Hieb ist, und packte den Stier bei den Hörnern:

»Ihre Fragen beweisen doch absolut, was der Angeklagte zu seiner Verteidigung sagt. John Borg war - dies mindestens hat die Verhandlung klar ergeben - ein eifersüchtiger Wüterich -immer im Angriff - bewaffnet - zehn Zentimeter größer, zwanzig Kilogramm schwerer als der Angeklagte! Wie denken Sie sich die Nacht, wenn Gregory der Mörder oder besser gesagt der Totschläger war? Ein Schuß von hinten, ein meuchlerischer Stoß mit dem Dolch gegen den Besitzer einer Sklavin, nach der ihm der Sinn stand, das wäre möglich. Aber

- meine Herren - eine Reihe furchtbarer Verletzungen, von denen keine tödlich war. wie soll er sie dem riesenstarken Borg zugefügt haben, ohne selbst verwundet zu werden? Und Bella? Bella sollte zugesehen haben, wie die beiden Männer miteinander kämpften, wie ihr Herr von dem Fremden zuschanden geschlagen wurde, ohne einzugreifen, ohne die Tür aufzureißen und gellend um Hilfe zu schreien? Die Tatsachen, Herr Staatsanwalt, auf die Sie Ihre Anklage stützen, schlagen Ihnen ja selbst ins Gesicht! Nie hätte ich gedacht, daß ein Mann, ein Jurist, an strenges logisches Denken gewöhnt, so erstaunliche Schlüsse ziehen könnte! Natürlich müssen Dritte auf dem Kampfplatz gewesen sein, ob es ein Mann oder zwei Männer, wie der Angeklagte sagt, ob es vielleicht eine ganze Schar von Mordbuben war, darauf kommt es nicht an! Es kommt nur darauf an, daß die Schlacht sich nicht zwischen dem Mörder und seinem Opfer allein abgespielt haben kann. Mag St. Vincent gesündigt haben, mag er ein Lügner und Renommist sein, ein Weiberjäger. der Mörder John Borgs und Bellas kann er nicht sein! Und das Blut an seinen Händen? Man hat so lächerlich viel Aufhebens von diesem Blut gemacht und dabei übersehen, daß La Flitches eigene Mokassins mit Blut befleckt sind! Haben wir daraus den Schluß gezogen, Herr La Flitche müsse in den Handel verwickelt sein? Haben wir behauptet, er sei der Mörder, weil seine Füße durch Blut gewatet sind? Diese Behauptung haben wir nicht erhoben, weil sie wahnsinnig wäre, weil trotz aller Blutspuren auf Herrn La Flitche auch nicht ein Schatten von Verdacht liegt.«

»Sehr richtig!«

»Gut gesprochen!«

»Ich danke Ihnen, meine Herren! Und ebenso richtig, ebenso unleugbar ist es, daß auf Herrn Gregory kein Schatten von Verdacht liegt. Er hat das Unglück gehabt, in eine Angelegenheit voll geheimnisvoller Vorgänge verwickelt zu werden. Er hat das Unglück gehabt, in einer Hütte zu schlafen, in der Entsetzliches geschah, in der es von Blut dampfte und grauenhafte Wunden geschlagen wurden, an denen er aber kein Teil hatte. Das ist alles. Das Leben jedes Menschen ist heilig, hier in der Einöde von Alaska so gut wie in New York oder in Stockholm, meine Herren! Sie werden die eigenen Hände nicht mit dem Blut eines Menschen beschmutzen, gegen den kein Schuldbeweis zu erbringen ist. Sie werden Ihr Gewissen rein halten, meine Herren Geschworenen!«