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Er hatte nicht vor, viel mitzunehmen. Drei Pakete voll Bücher schickte er voraus. Er bat seine Mutter, sie vorläufig in seinem ehemaligen Kinderzimmer aufzubewahren. Das war alles gewesen. Dennoch wurde er immer nervöser, als der Abflug näher rückte. Eine Woche davor war sein Geburtstag. Noa weckte ihn mit Frühstück und Sekt im Bett, aber während er sie küßte, befiel ihn wieder die Angst. Er hatte es nie lange in Israel ausgehalten. Es war dieses Gefühl, von allen in die Pflicht genommen und vereinnahmt zu werden, das er nicht vertrug. Auch diesmal fürchtete er sich vor ihren Erwartungen. Er sah Familienfeiern, Eßgelage und ein Hochzeitsfest auf sich zukommen.

Später flanierten sie durch den Stadtpark. Jugendliche saßen am Rand des Kanals und reichten den Joint im Kreis weiter. Einer klimperte auf der Gitarre, und Ethan hätte sich gerne dazugesetzt und wäre am liebsten seinem Leben entstiegen wie einem Bus. Da sagte Noa:»Ich weiß, daß ich es war, die hier wegwollte, aber ich habe ein flaues Gefühl im Magen«, und kaum hatte sie das gesagt, nickte er, und sie lächelten einander an, als habe sie ihn eben beschenkt.

Sie setzten sich in ein Cafe, um einander zu versichern, daß es vielleicht besser sei, zu bleiben.»Lassen wir es doch.«—»Ja, bleiben wir einfach.«

Ein alter Mann saß da und versuchte, seiner Frau die Tasche zu entreißen.»Sie hat mich beraubt«, schrie er.»Hilfe! Polizei!«

Die Kellner umstanden den Tisch und tuschelten.

Die Ehefrau sagte:»So geht es seit gestern. Er erkennt mich nicht mehr. - Laß die Tasche aus. Das ist meine!«

«Ich weiß gar nicht, wer das ist. Sie raubt mich aus. Immer schon!«

Ein Kellner redete ihm gut zu.»Aber Herr Brauner, das ist doch Ihre Gattin. Sie kommen doch seit Jahrzehnten zu uns.«

Der Ober trat an ihren Tisch und wollte die Bestellung aufnehmen, aber Noa und Ethan saßen da und kicherten wie jene Jugendlichen im Park. Der Kellner grinste.»Noch gar nichts bestellt, aber schon so vergnügt?«

Noa rief:»Zwei Glas Sekt!«

Kaum waren sie zurück in der Wohnung, fielen sie übereinander her und hingen aneinander, Hals über Kopf, bis Ethan fragte, ob sie die Koffer gemeinsam kaufen sollten.

Während die anderen Passagiere schon standen und ihr Handgepäck aus den Fächern holten, schaltete Ethan sein Mobiltelefon ein, um seine Mutter zu erreichen. Ob er ihre Nachricht bereits abgehört habe. Seit einer Stunde versuche sie, ihn zu sprechen. Vater gehe es plötzlich schlechter.

Er werde so schnell wie möglich ins Krankenhaus kommen, sagte Ethan.

Als sie das Flugzeug verließen, hüllte sie der Hitzewickel ein. Alle rannten zur Paßkontrolle. Dann das Warten auf die Koffer an den Gepäckbändern. Ein Gerangel. Kein Zweifel. Sie waren angekommen.

Sie wurden von Noas Mutter und einem ihrer Brüder abgeholt. Ethan wollte sich zurückziehen, aber sie hielt ihn fest und flüsterte:»Sie bringen uns doch in unsere Unterkunft.«

Die Mutter fragte sogleich, warum sie nicht bei ihr wohnen wollten. Noa küßte sie und lächelte. Der Bruder, Aron, blickte ihn abschätzig an und meinte zu Noa:»Hohe Absätze solltest du nicht tragen.«

Gemeinsam hoben sie das Gepäck ins Auto. Ein kleiner Subaru. Die Mutter fragte ihn:»Seit wann lebst du in Wien?«Und:»Wo wohnen deine Eltern?«Und:»An welcher Uni bist du?«Und:»Warum sind deine Eltern damals fort?«Und:»Woher stammen sie?«Und:»Wo waren sie während des Weltkriegs?«Eine Batterie von Fragen, aber als die gestellt waren und er ihr so einsilbig, maulfaul und unfreundlich geantwortet hatte, wie die Sitten es hierzulande verlangten, wandte sie sich abrupt ab und redete den Rest des Weges kein Wort mehr mit ihm. Er wußte sich zu Hause, fühlte sich so heimisch und fremd zugleich, daß ihn die Sehnsucht erfaßte, sofort wieder fortzufliegen.

Sie fuhren in den Süden Tel Avivs, hielten unweit der Shenkin-Straße. Hier hatte Noa eine Dachwohnung gefunden. Eine Freundin, die einige Wochen im Ausland verbrachte, hatte sie ihr überlassen. Miete mußten sie nicht bezahlen, aber die Pflanzen gießen, den Kater füttern und die Wellensittiche.

«Gebt die beiden Vögel der Katze zum Fressen, und schon habt ihr zwei Probleme weniger«, meinte Noas Bruder. Eine Nachbarin händigte Noa die Schlüssel aus, während Ethan und Aron die Koffer hinaufschleppten.

Noas Mutter war von der Wohnung so beeindruckt, daß sie gleich anbot, ihnen ein Essen zu kochen und Noas andere Geschwister samt Anhang hierher einzuladen. Ethan sagte:»Großartige Idee «und spielte mit dem Gedanken, den Rückflug auf der Stelle zu buchen. Er ging auf und ab, um zu sehen, wo er seinen Laptop aufstellen sollte.

Noas Bruder umarmte seine Schwester:»Wenn du irgend etwas brauchst, Noale…«Dann rannte er die Stufen hinunter.

Die Mutter fragte, was sie jetzt vorhätten. Ob sie nicht am Abend bei ihr essen wollten? Noa meinte:»Unmöglich. Wir müssen erst ankommen. Da ist schrecklich viel zu tun. Ethan muß gleich weiter. Sein Vater liegt im Spital. Wir sind letztlich deshalb hier.«

Noas Mutter faßte sich an den Mund. Sie sah ihn erschüttert an, als kenne sie Felix Rosen seit vielen Jahren. Ja, sagte er, er müsse leider sogleich fort, um in die Klinik zu fahren. Gerne wäre er noch mit ihr zusammengesessen. Nein, sie solle ihn nicht mitnehmen. Er nehme lieber ein Taxi.

Der Vater lag in einem Einzelzimmer. Unbebrillt und fremd. Er schaute zur Decke. Der Blick verschwommen. Sein Gesicht aufgequollen. Die Haut glänzte gelblich. Insgesamt wirkte er ausgebleicht und aufgebläht. Der Atem ging stoßweise. Der ganze Raum lag im Rhythmus des Ächzens. Aber als er ihn sah, strahlte er ihn an.

«Tuschtusch? Wie blaß du bist. «Ethan beugte sich über den Kranken, drückte ihm einen Kuß auf die Stirn, und Felix Rosen mühte sich, ihm entgegenzukommen, aber er konnte kaum den Kopf bewegen. Die Mutter stand auf der anderen Seite des Bettes.

Ob er denn Schmerzen habe, fragte Ethan, worauf der Kranke die Brauen hob, als sei er vom Gedanken, ihn, der hier vor sich hin stöhnte, könnte irgend etwas quälen, überrascht. Zu Mittag, sagte die Mutter, hätte Ethan ihn sehen sollen; das jetzt sei nichts dagegen. Felix Rosen blickte ihn an, als hinge er, der alte Kämpfer, nicht an einer Infusionsnadel, sondern läge im Schützengraben. Die Handtücher seien nicht mehr frisch, sie besorge neue, meinte die Mutter und ließ die beiden allein. Kaum war sie verschwunden, flüsterte der Vater, als enthülle er ein Geheimnis.»Die Hölle, sie kommt nicht erst nach dem Tod, sondern schon davor. «Er lag gekrümmt im Bett. Das linke Bein hochgelagert, die rechte Schulter aufgestützt. In dieser Stellung gehe es besser, erklärte er. Er steckte in einem grünen Nachthemd oder einer Art Schürze, und wenn die Decke verrutschte, blitzte der Po hervor.

Ob er denn keine Medikamente bekomme, fragte Ethan. Der Vater lächelte. Der Schmerz sei zu groß. Zu groß für den eigenen Körper. Ein Fremdling, der einen von innen zerreißt. Er schmunzelte, während er redete. Dann wieder das Keuchen. Er vertrage bestimmte Medikamente nicht. Wegen der Nieren. Welch ein lustiges Ringelspiel. Da beiße sich die Katze in den Schwanz. Hinter seiner Ironie verbarg sich Unsicherheit, eine Schwäche aus Angst und eine Angst vor Schwäche, denn hier lag Felix Rosen, ein Patriarch, dessen Macht und Vermögen weit über die Familie hinausreichten, lag hilflos und ausgeliefert und ließ sich nichts anmerken, sondern streichelte die Hand des Sohnes und erzählte, antwortete auf keine Frage, die ihm gestellt wurde, und gab Antworten, die keiner erbeten hatte. Als die Schwester hereinkam, preßte er hervor, dies sei Frida, die Seele der Nephrologie, die kümmere sich um alles, was ihm an die Nieren gehe. An die eine Niere zumindest, die jetzt auch nicht mehr gehe, fügte er hinzu, und sie versicherte mit schwerem russischem Akzent, Ethan wisse ja gar nicht, wie glücklich er sei, einen solchen Vater zu haben, worauf der abwinkte. Sie solle nicht übertreiben, sondern sagen, wann der nächste Untersuchungstermin sei. Da sei ein Röntgen vorgesehen und ein Ultraschall. Ob sie bitte herausfinden könne, wann der Neurologe vorbeikäme, und die Schmerzspezialistin habe ihn zu sich bestellen wollen, und der Physiotherapeut sei auch angemeldet, und danach wolle ihn der Kardiologe sehen, der allerdings nur aus Freundschaft, aber all das müsse mit dem Internisten abgestimmt werden, und nachdem er der Krankenpflegerin alle Anweisungen gegeben hatte und sie davongelaufen war, flüsterte er, in diesem Spital herrsche nichts als Chaos, zwar seien die Ärzte angesehene Spezialisten, der Professor gelte als Koryphäe, das Pflegepersonal bemühe sich sehr, aber der Betrieb sei ein Moloch, und wenn Mutter nicht nach dem Rechten schaute oder er selbst das Ganze nicht in die Hand nehme, würde überhaupt nichts weitergehen.»Bei der Transplantation, Ethan, werde ich mich noch selbst aufschneiden müssen!«