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Vor der Transplantation hatten die Rosens von außen verhärtet gewirkt, nun war da nichts Verkrampftes mehr zu bemerken. Felix und Dina waren sehr zufrieden mit sich. Durch die Aufteilung ihrer Nieren war er zu ihrer und sie zu seiner besseren Hälfte geworden.

Er werde, sagte Ethan, am nächsten Morgen wiederkommen. Und er wolle von nun an jeden Tag da sein und sich um Vater kümmern.

«Was ist denn mit deinen Vorlesungen, deinen Symposien und Seminaren?«fragte Felix Rosen.

«Mach dir über meine Arbeit keine Gedanken. Du mußt jetzt gesund werden.«

Dina widersprach:»Du mußt arbeiten. Ich bin bei Felix.«

«Ich auch, Ima. Ich komme morgen früh.«

«Es ist der Tod«, sagte Ethan. Er kam erst spät nach Hause. Er sehe es dem Vater an. Der Blick werde trübe. Die Augen versänken, die Wangenknochen träten hervor. Das Gesicht werde zur Maske.

Sie glaube das nicht, meinte Noa. Felix sei ein Kämpfer. Der dürfe noch lange nicht abgeschrieben werden.

Er würde gerne weinen, aber aus irgendeinem Grund könne er nicht, so Ethan. Es sei wie bei einem Beinbruch. Der Schock betäube den Schmerz. Eigentlich verstünde niemand so recht, was seinem Vater fehle. Die Niereninsuffizienz führe nicht zu diesen Symptomen.

«Vielleicht eine harmlose Entzündung. Eine Schwellung, die auf die Lendenwirbel drückt. So etwas kann schrecklich quälen«, sagte sie.

Er wusch die Katzenschüssel aus und schüttete neues Futter hinein. Der Kater kam unter dem Sofa hervorgerannt und sprang an ihm hoch. Er versuchte, ihm auszuweichen. Dann goß er Samen in die Käfigbecher. Der olivgrüne Wellensittich hüpfte heran, der kobaltblaue schlief ungerührt weiter.

Ethan hatte den ganzen Tag im Krankenhaus verbracht. Um seine Arbeit kümmerte er sich nicht. Dabei mußte er mehrere Artikel und Referate fertigstellen. Sein Terminkalender für die nächsten Wochen war volclass="underline" ein Vortrag in New York, ein Seminar in Rom, eine Rede in Budapest, eine Veranstaltung in Antwerpen, dann eine Konferenz auf einem Schloß in Frankreich. Er verspürte keine Lust, Tel Aviv und seinen Vater jetzt zu verlassen. In zwei Tagungsprogrammen hatte er zu allem Überfluß gelesen, daß auch Rudi Klausinger dort auftreten würde.

Noa war unterwegs gewesen, hatte sich in der Galerie einer Freundin und im Studio eines Kollegen sehen lassen. Sie war losgezogen, um nach einer Wohnung Ausschau zu halten. Die Stadt war noch teurer geworden.

«Für Sie mache ich einen speziellen Preis«, sagte der Makler.»Aber wenn Sie mit Ihrem Freund einziehen… Wäre es nicht besser, gleich größer zu denken? Bleiben Sie nicht im Land? Denken Sie nicht an Ehe? Wollen Sie keine Kinder? Warum nicht? Sie haben doch genug Geld. Wollen Sie nicht mehr investieren? Wir haben einige wunderbare Objekte in Jaffa. Ein altes arabisches Haus. Wunderschöne Mauern. Aber keine Angst: ganz neu renoviert. Modernste Technik. Die ganze Straße wird umgebaut. Früher waren das Bruchbuden. Jetzt ist die Gegend in. Viele junge Familien aus Tel Aviv gehen dahin.«

Der Mann roch nach einer Mischung aus Parfüm und Sperma. Er drängte Noa seine Visitenkarte auf. Sie nahm sie mit spitzen Fingern. Draußen rief sie eine Freundin an. Sie sei wieder im Land und suche nach einer Bleibe.

Seine Garconniere in der Rechov Basel hatte Ethan an einen Chemiker aus England untervermietet. In der Dachwohnung, die Nurith ihnen für die Dauer ihrer Amerikareise überlassen hatte, konnten sie nur vier Wochen bleiben. Bei Ethans Mutter unterzuschlüpfen, hatte Noa abgelehnt, obgleich Dina Rosen ihr ausrichten ließ, dort sei genug Platz für sie und ihren Sohn. Gar kein Problem! Zwei Badezimmer, zwei Schlafzimmer und neben der Küche, dem Salon und der Eßecke noch ein separater Arbeitsraum, den Noa mit niemandem außer ihm teilen müßte.

Sie hatte den Vorschlag zurückgewiesen. Sie wollte mit ihm allein sein. Ihre eigene Familie versuchte, sie zu vereinnahmen, da brauchte sie nicht auch noch die Überforderungen seiner Mischpoche. Es war schwer genug, die eigene Blase auf Distanz zu halten. Jeder Besuch bei ihrer Mutter, so Noa, zehre sie auf. Es sei, als würde sie mit Haut und Haaren verschlungen. Die Speisen schmeckten, aber die Dosis mache bekanntlich das Gift. Nicht bloß die Menge an Essen, auch das Übermaß an Liebe verwandle den Leckerbissen zum Fraß. Ihren Vater, längst von der Mutter geschieden, traf sie hingegen nur im Zwischendurch, in einem Cafe oder einem Laden. Immer war er in Eile, als wäre er auf der Flucht.

Wenn sie sich längere Zeit bei ihren Verwandten aufhielt, mußte sie nachher immer wochenlang abspecken. Ihre orientalischen Angehörigen waren — anders als jene Ethans — zwar keine Überlebenden, aber nicht weniger fürsorglich. Hier wurde jede Rückkehr zum orgiastischen Empfang, zum nahöstlichen Mulatschag. Seine Verwandten zählten viele Tote — Ermordete, die ihm bei jedem Bissen über die Schulter schauten. Ihre Großtanten und Großonkel aus Hebron und Marrakesch waren Heimgegangene anderer Art, weilten unter den Lebenden und waren dennoch dahin. Ihrem Großvater, Stammhalter des jüdisch-palästinensischen Zweiges, kam das Geburtsland fremd vor, seitdem es zur Heimat Israels geworden war. Er kannte sich darin nicht mehr aus, aber je verlorener er sich fühlte, um so verbissener haßte er alle Feinde des Staates.

Der Alte war empört gewesen, als sie ankündigte, nach Wien zu ziehen. Jahrhundertelang waren die Levys doch in Zion geblieben. Wozu gerade jetzt in die Diaspora gehen? Hatten die Alten durchgehalten, damit die neue Generation, die Kinder Israels, wegliefen, sobald sie endlich wieder Herr im eigenen Land waren? Ihre Liebe war von der Familie als Verrat am ganzen Volk, an Ben Gurion und König David höchstpersönlich angeklagt worden. Aber sie hatte dagegen rebelliert. Warum, hatte sie damals gefragt, konnten sich die Juden hier nicht endlich in eine Nation wie jede andere verwandeln? Mußte sich denn ein Finne, ein Italiener, ein Türke rechtfertigen, wenn er beschloß, in Wien zu leben? Sie hatte die Enge nicht mehr ertragen. Und sie war damals, vor zehn Jahren, nicht nach Wien gegangen, um jetzt zurück ins ehemalige Kinderzimmer verfrachtet zu werden.

Sie sahen einander kaum. Ethan mußte sich um den Vater kümmern. Hinzu kamen die beruflichen Umstellungen. Sie waren beide beschäftigt. Keiner warf es dem anderen vor. Allein verbrachten sie die Tage. Nachts kamen sie zusammen. Vielleicht war es die Art, wie sie in ihm einen anderen sah. Vielleicht war es die Art, ihn anzuschauen, die Art, wie sie dabei den Kopf hob. Er wußte nicht, was an ihr ihn so atemlos machte, was an ihr ihn nicht atemlos machte. Im Dunkeln nannte sie ihn Johann und Rossauer. Bei ihr konnte er außer sich sein. Nachher wußte er nie, wieviel Zeit vergangen war. Es brauchte einige Herzschläge, bis er verstand, wo er war. Der rotgetigerte Kater mied ihr Schlafzimmer.

Die Ärzte, so Ethan, wüßten nicht, woher die Schmerzen kamen. Unklar war, ob sie von der Insuffizienz der Niere herrührten oder ob — im Gegenteil — das Organ durch die anderen Beschwerden außer Tritt geraten war. Solch ein Syndrom könne durch eine Verquickung mehrerer Gebrechen ausgelöst werden, die einzeln gar nicht aufgefallen wären, aber zusammen einen Zusammenbruch der Physis bewirkten. Mit elektronischen Geräten rückte man Felix Rosen zu Leibe, und sein Blut wurde chemischen Analysen unterzogen, aber die Mediziner fanden nicht den Grund für seine Schmerzen.

Er war den ganzen Tag im Krankenhaus geblieben. Der Vater hatte sich wiederholt erkundigt, weshalb er nach Tel Aviv gekommen sei. Ob es denn bereits so schlimm um ihn stehe?» Sag es mir, Ethan. Ich will wissen, falls ich bald sterbe. Ich habe ein Recht darauf.«