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Ob Wecken oder Fladen, ob Semmel oder Pita, jedes Stück, so Saba Avi, der Großvater, zu Noa, schmecke ein wenig nach ihm, und im Vertrauen erzählte er, wie wichtig es für einen Bäcker sei, gut zu riechen. Sie hatte als Mädchen gesehen, wie der Großvater seine Kundinnen empfangen hatte, wie er sie umsorgt und ihnen nachgeblickt hatte. Avi Levy war ein Meister, wenn es ums Einheizen und Anbraten ging, und er war Feuer und Flamme für all die Damen, die ihn besuchten.

Noa erinnerte sich. Sie sah den Großvater in der Backstube, sah, wie Frau Efron am Brot roch, und hörte sie sagen:»Wie das duftet«, und dabei blickte sie dem Großvater tief in die Augen, bis er sie anlächelte, und die Ventilatoren im Laden wirbelten um einiges schneller, und die Luft war so aufgeladen, daß die kleine Noa den Atem angehalten hatte, und der Atem stockte ihr heute noch, wenn sie daran dachte.

Ihre Eltern waren geschieden. Sie lebten in neuen Beziehungen. Wieso traute Ethan dem eigenen Vater keinen Seitensprung zu? Warum wollte er nichts davon wissen? So viele Rosens gab es doch nicht mehr. Er hatte ihr ein Album gezeigt. Das kleine aschkenasische Grüppchen aus Tanten und Cousinen. Er sei als Bub von diesen jiddischen Mames in die Wangen gekniffen worden. Der typische Zwickparcours. Das waren die Streicheleinheiten gewesen, die ihm als Kind zuteil geworden waren, denn die übergroße Liebe hatte keine milden Gaben zugelassen. Die Innigkeit war schonungslos. Warum sie nicht ein wenig mit Rudi Klausinger teilen? Wäre ein Halbbruder aus Favoriten nicht eine Bereicherung? Könnte so einer nicht helfen, die Familienbande ein wenig zu lockern?

Unentwegt hatte sich Ethan über die Enge in seiner Sippschaft beklagt. Und jetzt endlich kommt eine Wiener Mischkulanz daher, sprengt diese jüdische Version der Heiligen Dreifaltigkeit, stellt sich zwischen ihn, Dina und Felix, ist das Corpus delicti eines Ehebruchs, zwingt den treuen Ehemann zum Geständnis, und wie reagiert der anerkannte Kulturforscher, der Experte für die Dekonstruktion aller Mythen, der Meister aller geisteswissenschaftlichen Relativitätstheorien? Was macht der große Tabubrecher? Er verkündet, sein Abba, sein Vati, könne unmöglich eine Affäre gehabt haben. Selbst wenn der es zugibt.

Sie lagen im Bett. Umm Kulthum schluchzte ein Lied. Geigenmusik, die Kapriolen schlug. Er küßte sie, da läutete das Telefon.

Er möge sich die Briefe doch wenigstens anschauen, schlug Rudi vor. Ethan solle selber entscheiden. Vielleicht erkenne er die Handschrift. Sei er denn an der Wahrheit überhaupt nicht interessiert?

Ethan sagte:»Was beweisen schon solche Briefe? Selbst wenn sie einander liebten. War Felix Rosen der einzige Mann in ihrem Leben?«

«Hast du etwa Angst, sie dir anzuschauen? Fürchtest du, zugeben zu müssen, daß Felix sie schrieb?«

Er sah Noa ins Badezimmer verschwinden. Tschuptschik, der Kater, sprang vom Kleiderschrank und rannte ihr hinterher.

Sie einigten sich auf ein Lokal in der Shenkin.

Eine Stunde später saßen sie zu dritt vor dem Cafe. Noa war von der Ähnlichkeit der beiden überrascht. Rudi war eine südlichere, eine im landläufigen Sinne gefälligere Ausgabe von Ethan. Die Kellnerin, eine zierliche Person mit Dreadlocks unterm Turban, brachte die Getränke. Vorsichtig gruppierte sie alles um die Briefe und Dokumente herum. Einen Cappuccino für Ethan, Campari Soda für Noa und eine Flasche israelisches Bier, Goldstar, für Rudi. An einem Nebentisch diskutierte eine Gruppe junger Leute, einen American Pit Bull zu ihren Füßen. An einem anderen turtelte ein junges Paar. An einem dritten schwiegen sich drei Männer aus, ließen die Augen sprechen, blickten Frauen hinterher. In einiger Entfernung spielte ein Gassengeiger, saß zerlumpt auf der Erde. Einzelne Töne wehten herüber. Russische Folklore.

Ethan sah die Briefe durch. Sie können nicht von seinem Vater stammen, sagte er. Der habe eine andere Handschrift. Der formuliere auch ganz anders, viel klarer, nicht so verspielt wie der hier.

Noa widersprach.»Das ist kein Geschäftsschreiben, sondern eine Liebeserklärung. Und vor vierzig Jahren wird Felix romantischer gewesen sein als heute während der Dialyse.«

Rudi nickte. Sein Bruder, sagte er, ja, er sagte sein Bruder, werde nichts zugeben, solange ihm nicht ein Foto, am besten ein Film präsentiert würde, in dem zu sehen sei, wie Karin Klausinger es mit Felix Rosen getrieben hatte, wie seine Mutter daraufhin schwanger wurde und ihn zur Welt brachte, und nur, wenn sie beide zum Abschluß auch noch in die Kamera erklären würden, daß Ethan und Rudi Halbbrüder seien, dann könnte er — vielleicht — die Wahrheit akzeptieren. Doch wahrscheinlicher wäre, daß er auch dann noch meinte, es handle sich um nachgestellte Szenen. In Wirklichkeit fühle Ethan jedoch genau, wie unhaltbar seine Position geworden sei.»Du belügst dich selbst. «Er rief der Kellnerin zu, er wolle ein weiteres Goldstar.

«Du unterstellst mir eine Lüge? Ausgerechnet du?«Ob es etwa Zufall sei, daß Rudi sich für denselben Job beworben, den Nachruf auf Dov verfaßt und dafür auch noch ihn, Ethan, zitiert habe? Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, mit einem Halbbruder um ein und dieselbe Stelle zu konkurrieren und gleichzeitig mit ihm einen öffentlichen Disput auszutragen? Und nicht nur das. War Rudi etwa nicht längst mit Felix in Kontakt gewesen? Es sei ihm doch immer nur um seine Stelle gegangen, nichts anderes stecke hinter der ganzen Geschichte. Ja, seine, denn sie war doch Ethan auf den Leib geschneidert worden. Ethan sagte:»Du hast den Nachruf nicht für Dov, sondern gegen mich geschrieben.«

«Was soll ich getan haben? Bist du paranoid?«

«Ich bin deine fixe Idee.«

Rudi tat so, als höre er gar nicht mehr zu.»Mach kein Mysterienspiel daraus. Was ist ungewöhnlich daran, wenn ich einen Nachruf für einen Wiener Überlebenden schreibe? Ich mache das immer wieder. Und bist du nicht ein renommierter israelischer Intellektueller? Wieso nicht dich zitieren? Ist es verboten?«

Noas seidenes Lächeln.»Nein«, sagte sie,»es ist natürlich erlaubt, die Worte des eigenen Halbbruders zu zitieren, nicht aber seinen Namen zu nennen. Es ist bloß bezeichnend.«

Ethan schrie:»Du wußtest, wer ich bin. Diese ganze Inszenierung, die Debatte in der Zeitung, alles eine Lüge. Von Anfang an. Deshalb glaube ich dir nicht. Du bist nicht mein Bruder. Du bist nur irgendein Bastard mit Hintergedanken.«

Ja, ein Bastard, feixte Rudi. Jawohl. Das sei er von Anfang an gewesen. Und nur deshalb akzeptiere ihn Ethan nicht, das habe er immer gewußt.

«Was denkst du dir eigentlich? Du kannst ihm doch nicht vorwerfen, ein Bastard zu sein«, fuhr Noa ihn an. Ihre Stimme war heiser geworden.»Ihr zwei seid einander wert.«

«Ich scheiß auf dein Verständnis. Ethan trifft zumindest den Punkt. Ich bin ein Bastard. Ein Mamser. Das hört mit der Kindheit nicht auf, sondern begleitet einen durchs ganze Leben. «Er rückte mit dem Sessel vom Tisch weg.

Der American Pit Bull, der unter dem Nebentisch lag, sprang auf, knurrte und bellte ihn an. Rudi schrak zusammen. Der Besitzer riß an der Leine, um das Tier auf den Boden zu zwingen. Mit einem scharfen» scheket!«rief er den Rüden zur Ruhe. Ein massiger nachtschwarzer Hund mit breitem Gebiß.»Platz, Nebbich«, sagte der Mann, worauf das Monster seufzte und die Schnauze auf die Pfoten bettete.

Ethan sagte:»Wäre es zuviel verlangt, dem Hund einen Maulkorb anzulegen?«

«Nebbich ist völlig harmlos.«

«Haben wir gesehen! Ich verstehe nicht, was ein Kampfhund in einem Cafe zu suchen hat.«