Выбрать главу

Wir liefen weiter, es war, als hätten wir immer so laufen können durch diese rauhe, urtümliche, widerspenstige Welt, so unvergleichlich mit der gepflegten Ökologie des Schiffs.

Später entdeckten wir zur Rechten eine Höhle, einen nach oben spitz zulaufenden Spalt im steilen Hang. Gammas Hand drückte die meine. „Vorsicht!“

Wir mußten uns niederbeugen, um die Höhle zu betreten. Doch dann wölbte sie sich zu einem vorweltlichen Dom. Plötzlich flammte es im Licht unserer Helmscheinwerfer hell und rot auf, so daß wir überrascht zurückschraken.

Wie eine bizarre Koralle stand der Kristallbaum vor uns, strahlte je nach Einfallwinkel des Lichts in tiefstem Ultramarin, in hellem Kirschrot. Seine unzähligen spitzwinkligen Verästelungen gleißten karmin und violett, nur die feinsten äußersten Kanten umsäumte ein metallisches Grün.

Wir gingen näher und riefen dabei eine Sturzflut roter Spektren hervor. Wie zart die Ästchen waren, wie Filigran ineinander verflochten! Und wie aus klarem Glas, rosa durchsichtig, sie brachen das Licht, ließen immer neue Reflexe auf ihrer glatten, exakt begrenzten Oberfläche tanzen.

Ein Naturspiel, das schon Jahrmillionen hier stand im ewigen Schatten der Höhle, nie von einem Lichtstrahl getroffen, nie leuchtend, nie von einem Augenpaar bestaunt, ein schwarzer Schemen, dunkel und tot, ein vergebliches Wunder. Kurz, allzukurz erwachte der Kristallbaum nun zum Leben im Schein unserer Helmleuchten — wenige Wochen später würden Schlammassen die Höhle überschwemmen.

„Da ist nichts zu machen“, sagte Gamma zögernd. „Wir haben uns entschieden. Das ist der ursprüngliche Andymon, und ich hätte nie geglaubt, daß er so etwas Prächtiges hervorbringen könnte. Aber er muß vergehen, all diese Pracht hier wird vergehen, denn wir wollen hier leben. Er war nie zu etwas nütze, dieser Kristallbaum, wir dürfen ihm ebensowenig nachtrauern wie den Staubstürmen, die unsere Beobachtungsautomaten verschütten. Und wenn er noch so schön ist, Urandymon, wir brauchen einen Planeten, auf dem wir leben können.“

Ich nickte, eine sinnlose Geste im Skaphander. Flammende Wellen aus Purpur und Zinnober liefen über die ebenfalls mit roten Kristallen besäten Höhlenwände.

„Ja“, erwiderte ich, „was aber, wenn der Kristallbaum belebt wäre, was, wenn gleich unsere erste Sonde Leben auf Andymon vorgefunden hätte? Geologische Gebilde zertreten wir mit Berechtigung, was aber mit Leben?“

Gamma schwieg lange. Ich starrte auf den armdicken Stamm des Kristallbaumes, er zeigte mir tausend Facetten, blutrot und fast braun und strahlend hell reflektierend; bei jedem Atemzug, jeder kleinen Bewegung veränderte sich das Mosaik, das sie bildeten. Schon wollte ich meine Frage wiederholen, da antwortete Gamma: „Es wäre wohl ein Problem des Entwicklungsniveaus, so wie wir uns nicht in die Angelegenheiten fremder Zivilisationen einmischen, sowenig würden wir hochentwickeltes Leben vernichten. Angenommen, es gäbe nur Einzeller, da hätte ich keine Bedenken. Aber vielleicht ist ein belebter Planet, und seien es auch nur primitivste Ansätze, Vorformen, wissenschaftlich so wertvoll, daß eine Besiedlung ungerechtfertigt wäre. Du kennst die Schätzungen, wie rar Leben im Kosmos ist.“

Sich vergessen, in Träume verlieren und vollsaugen mit Bildern, mit Erinnerungen. Nur keine Farbnuance, keine ungewöhnliche Verästelung übersehen. Überflutet von einem unwirklichen Licht, so standen wir, bis mich der Skaphandercomputer daran erinnerte, daß es Zeit sei, zum Fahrzeug zurückzukehren. Wir hatten Geologenwerkzeuge bei uns und einige Plasttüten. Es widerstrebte mir, den Kristallbaum zu verletzen, überall ragten kleinere Büschel aus dem Boden, wir sammelten mehrere Kilo ein.

Hastig und schweigend kehrten wir zurück, immer noch unter dem Zauber des Kristallbaumes stehend. Der Planet, der sonst in gelben und braunen Tönen geprunkt hatte, erschien uns nun blaß und grau. Vom Rover aus verständigten wir die Geschwister. Eine Stunde später waren wir an Bord des Schiffs. Andymon betraten wir erst nach der Umgestaltung wieder.

Wir diskutierten Möglichkeiten der Rettung des Kristallbaumes, doch es war zu spät, wäre wohl auch früher nicht sinnvoll gewesen. Die Geschwister brachten weitere Proben mit, ganze Kisten voller gläserner Äste. Wenige Tage später hörten wir, daß der Kristallbaum „dahinwelke“, grünlichgrauer Schleim überziehe seine Oberfläche — die Superalge hatte ihn entdeckt. Es war ein Zeichen auch für die letzten, endgültig ins Schiff zurückzukehren.

An Versuchen, den Kristallbaum synthetisch nachzuzüchten, hat es nicht gemangelt. Er wurde bis ins kleinste analysiert, seine Kristallstruktur und die Natur der physikalischen Effekte, die zu seiner Entstehung führten, sind bekannt. Aber bislang hat keiner eine Methode gefunden, das Jahrzehntausende dauernde natürliche Wachsen, das Anlagern von Atomschicht um Atomschicht, beschleunigt nachzuahmen. Auch zerfielen die meisten unserer Proben bald. Zu starke Lichteinwirkung, Temperaturschwankungen, falsche Zusammensetzung der Luft, so vieles war diesem zarten Kristall gefährlich.

Jetzt, viele Jahre später, bringt Ainth Imitationen des Kristallbaums aus Piacryl in Umlauf, die er als Kunstwerk, als Plastik bezeichnet. Ich fürchte, daß schon die nächste Generation auf den Gedanken verfällt, zu bestimmten Festen diese künstlichen Kristallbäume aufzustellen.

In hundert Jahren vielleicht werden sie nach ihm suchen, unsere Nachfahren, in den tiefen Klüften und verborgenen Höhlen unwirtlicher Gebirge. Wunder vergehen nicht. Und der Glückliche, der ihn erblickt, wird einen Wunsch frei haben, wie die Sage erzählt.

Lauf im Kreis

Diese Jahre, in denen wir auf der Stelle zu treten schienen! Ra, die Sonne Andymons, umkreiste das Zentrum der Galaxis. Andymon umkreiste Ra. Das Schiff umkreiste Andymon. Und wir umkreisten das Schiff.

Einmal um den Naturpark, wenn du die Ungeduld nicht mehr erträgst. Einmal um den Naturpark, wenn dir dein Zimmer, die Labors, die Aufenthaltsräume zu eng werden. Einmal um den Naturpark, wenn du den Planeten auf dem Bildschirm nicht mehr sehen kannst — oder die mürrischen Gesichter deiner Geschwister.

Was sind wir in dieser Zeit gelaufen! Einen breiten Trampelpfad rund um unsere Miniaturwelt haben wir hinterlassen. Und wie oft mag ich ihn entlanggerannt sein durch die bescheidenen Urwälder des Naturparks, vorbei am See, durch die Wiesen mit hohem Gras, Vögel mit meinem Keuchen aufscheuchend. Oft allein, manchmal mit Gamma, selten nur zusammen mit anderen Geschwistern. Und wenn das Herz bis zum Hals schlug und jeder Atemzug stechend die Lunge durchfuhr, konnte ich den Planeten für die Stunde des Schwitzens vergessen und in der Bewegung Ruhe finden.

Dabei hatten wir in den ersten Tagen und Wochen nach der Aussaat mit anhaltender Begeisterung auf den sich verändernden Andymon geblickt. Es tat sich etwas! Unser Plan, in Aktion gesetzt, schlug an. Mit welcher Euphorie verfolgten wir die täglichen Berichte zum Zustand der Andymonatmosphäre, die die Ausbreitung unserer Alge genau beschrieben. Der Abfall des Luftdrucks um ein Millibar, eine kaum meßbare Veränderung der chemischen Zusammensetzung — es funktionierte. Aber dann, nach wenigen Wochen, schien alles zu erstarren, die Sättigungskonzentration der Alge war erreicht, die Umwandlung hatte ihr maximales Tempo gefunden. Wir lasen die Zahlen, fragten uns: Ist das wirklich der Bericht von heute? Es ging nicht mehr vorwärts. Die Umgestaltung des Planeten brauchte ihre Zeit. Damals schon begannen die ersten durch den Naturpark zu rennen.