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Einmal noch, nach einem halben Jahr, wurden wir alle aufgerüttelt, und unterdrückter Jubel verbreitete sich. Es war der Tag, an dem ein subpolarer Meßpunkt die ersten Niederschläge meldete. Wenige Tage später regnete es auf ganz Andymon, Millionen Tonnen Wasser, vermischt mit Staub, Salzen, Kohlenwasserstoffen, prasselten auf Andymon nieder. Es wurde eine Sintflut ohne Ende, unsere Meßgeräte ertranken reihenweise oder wurden von Schlamm verdeckt. Und Andymon erwachte langsam, aber unaufhaltsam zu seismischer Aktivität.

Vom Schiff aus war nichts davon zu spüren, auf dem Bildschirm sah der Planet aus, wie er immer ausgesehen hatte, ein fleckiger, gestreifter, graubraunrötlicher Ball. Lediglich Zahlen verkündeten die gewaltigen Veränderungen, die begonnen hatten — und auch sie zumeist nur in der letzten Dezimale. Und wir liefen im Kreis, die endgültige Route hatte sich herausgebildet.

Dann kamen die Hochrechnungen. Ich selbst hatte bislang bewußt darauf verzichtet, zu überschlagen, wie lange wir noch im Schiff ausharren müßten. Mit gutem Recht. Es war deprimierend. „Noch acht Jahre nach der optimistischsten Schätzung“, beklagte sich Nya, „noch acht Jahre, wie soll ich das aushalten, das ist ja fast die Hälfte meines Lebens.“

Wir rannten, als könnten wir so die Zeit schneller vorantreiben. Acht Jahre Däumchendrehen - und um Andymon kreisen, den trägen Planeten. Wir redeten nicht mehr von ihm. Und wenn, dann vermieden wir den viel zu angenehmen, sehnsuchtsvollen Namen, sagten einfach „der Planet“. - „Nein, der Planet macht nichts Neues, woher sollte er auch!“

Uns fiel ebenfalls nichts Neues ein, wir liefen nur, öfter, länger und schneller. Für unsere Bahn rund um den Naturpark mußte eine Begrenzung angegeben werden, damit sie sich nicht übermäßig verbreiterte.

Bis jetzt hatten wir immer harte Ziele und eilig zu erledigende Aufgaben gehabt, es hatte keine Rast gegeben - und nun?

Selbstverständlich wurde der Planet überwacht, aber das besorgten Automaten. Zwar konnten wir einiges untersuchen: die Monde Andymons, die anderen Planeten des Systems. Einige Sonden wurden zusammengesetzt und gestartet, doch es dauerte Monate und Monate, ehe sie auch nur in die Nähe der Planeten gerieten. Und wir liefen inzwischen im Kreis.

Nur die Monde lagen so nahe, daß an einen Besuch zu denken war. Doch Delth hielt uns zurück. „Wir haben viel Zeit, denkt daran. Das Schiff hat keine unbegrenzten Ressourcen, der Wasserstoffvorrat geht zur Neige, ein paar Dutzend Flüge sind noch möglich, mehr nicht, wir müssen mit unserer Energie haushalten.“

Wir rannten und verausgabten unsere überschüssige biologische Energie.

Eine Weile fruchteten Delths Ermahnungen, und die erste Gruppe stand geschlossen hinter ihm. Jeder im Schiff kannte bald den Stand der Reserven an Material, chemischem Treibstoff, Bausteinen für Sonden und Stationen. Uns war, als dürften wir nicht mehr voll durchatmen. Haushalten müssen, das war ein Fremdwort in unseren Ohren. Bislang galt uns die Technik des Schiffs, seine Macht als unerschöpflich, unaufbrauchbar. Nicht nach Belieben im All herumfliegen zu dürfen, das war, als ob man uns das Rennen durch den Naturpark verbot.

Es existierten natürlich andere Wege, die große Langeweile zu überbrücken. Die Flucht ins Totaloskop stand immer offen.

Die fünfte und die sechste Gruppe hatten nur wenige Monate mit uns zusammengearbeitet, jetzt wäre es an der Zeit gewesen, daß sie sich hinter die Lehrmaschinen setzten, bastelten. Doch das schien ihnen nun zu abgeschmackt, zu realitätsfern und zu kindisch. Sie hatten mit uns Großen auf einer Stufe gestanden, hatten Andymon mit erkundet, die kompliziertesten Geräte bedient, sogar bei der Entwicklung der Superalge geholfen — und sollten jetzt wieder büffeln? Wer hätte ihnen das befehlen können? Etwa die Großen? Die gerade nicht! Etwa die Guros? Dieses Kinderspielzeug? Die blöden Automaten, deren Knöpfe man mittlerweile kannte? Lächerlich!

Es war eine stille Rebellion, sie verschlossen ihre Ohren und verschwanden im Naturpark, nicht um zu rennen, sondern um möglichst weitab von den Kindern und von uns ein eigenes Leben zu führen, ein Leben mit freiester Liebe, die für sie noch der Kitzel der Älteren war. Wir betrachteten sie als Urhorde, in deren Angelegenheiten man schon deshalb nicht eingreifen konnte, weil man dabei riskierte, zusammengeschlagen zu werden.

Doch soviel wir auch im Kreis laufen würden auf der harten, graslosen Narbe, langfristig gab es für uns nur ein Ziel, eine Aufgabe, ein Interesse: Andymon. Und wenn der Planet uns jahrelang enttäuschte, nun, das würde vorübergehen, wir würden zu ihm zurückkehren, vorausgesetzt, wir verbrauchten uns nicht in der langen Zeit des Wartens.

Zu den Monden

Um Andymon kreisen zwei Monde, Gedon und Ladym. Nachts, wenn ich aus dem offenen Fenster schaue, kann ich in diesen Tagen den einen oder den anderen als hellen gelben Knopf oder kleine Sichel am dunklen Himmel sehen. Nicht halb so groß wie der Erdmond, vermögen sie auch unsere Sonne nur zu einem geringen Teil zu verdecken, Andymon kennt keine totalen Sonnenfinsternisse, sondern nur Monddurchgänge. Kneife ich die Augen zusammen, um die Monde schärfer zu sehen, kann ich auf der winzigen Scheibe Gedons hellere Gebiete und dunkle Flecken ausmachen. Und dort, an einem dieser Ausläufer, befand sich unser erster Stützpunkt.

Auch damals, in der Zeit, in der wir den Planeten nicht betreten konnten und in der alles zum Stillstand gekommen zu sein schien, wandten wir unsere Blicke häufig zu den Monden.

Einmal, als ich mit Delth gemeinsam die leere Zentrale betrat, leuchtete Gedon vom Hauptschirm herab. Unwirsch schaltete Delth den Schirm ab. „Sie starren mir zu oft in die Monde, die Kleinen. Erst aus voller Brust ‚Vivat Andymon!‘ rufen und ihm dann bei der ersten Schwierigkeit untreu werden.“

Ich zuckte mit den Schultern. Jede Gruppe hatte ihre Spezialaufgaben und Vorlieben. Weshalb sollten sich Daleta, Gimth, Mega und die anderen aus der vierten nicht für die Monde interessieren?

„Dabei gebe ich zu, die vier Mondorbiter waren — rein wissenschaftlich gesehen - ein großer Erfolg, aber…“ Er zögerte, trat an einen Computer und tippte Befehle ein. Auf dem Display erschienen vielfarbige Diagramme. „Das sind unsere Energie- und Materialreserven. Sparsam verwendet, können sie noch für viele Generationen reichen.“

„Generationen?“ Ich hatte ein Gefühl, als ob mein Herzschlag für eine Sekunde aussetzte.

„Generationen. Ich muß jedenfalls in Betracht ziehen, daß keine evolutionären Wunder geschehen, noch dazu bei Andymon. Und Jotas und Ilonas Hochrechnungen… Sie haben vielleicht nur ihre Wunschträume hochgerechnet.“

Ich unterbrach ihn. „Auch Gamma hat…, die Szenarien sind wohlfundiert und…“

Er winkte ab. „Ich hoffe das gleiche wie du. Aber ich mißtraue meinen Hoffnungen. Einer muß klaren Kopf behalten. Darf sich nicht blenden lassen. Muß alle Möglichkeiten sehen. Vivat Andymon!“

Wie ein wütender Klavierspieler hieb Delth auf die Berührungselektronik der Tastatur ein. Neue Abschätzungen flammten auf den Displays auf.

„Vielleicht müssen wir sogar das Schiff auf Eis legen. Für Jahrtausende womöglich. Die Inkubatoren abstellen. Die Systeme entaktivieren. Und auf unser Ende warten. Das Schiff muß so tot sein wie während der Großen Reise, darf erst wieder erwachen, Menschen erzeugen, wenn der Planet die Metamorphose hinter sich hat. Vivat Andymon… Aber dazu benötigt das Schiff Energie, viel Energie, fast die gesamten Reserven.“ Er lachte bitter. „Und nun kommen sie, brav, emsig, treuherzig. Legen mir ein Bündel Pläne vor: Errichtung von Stationen auf Gedon und Ladym. Abbau der Erze. Aufbau von Kraftwerken zur Erzeugung von Wasserstoff — Wasserstoff, der unserem Schiff fehlt. Hört sich herrlich an, nicht wahr?“

Und wieder liefen Zahlen und schematische Darstellungen in schneller Folge über den Display. Ich beugte mich über Delths Schulter, um sie genauer lesen zu können.