Die weiter entfernt sitzenden Geschwister verstummten und schauten Delth bewundernd an. Ich sprang auf. „Ich komme mit!“ „Macht keinen Unsinn! Auf den Planeten fliegen? So wichtig können die paar Daten nicht sein, daß es sich lohnt, für sie den Hals zu riskieren“, rebellierte nun Gamma. Sie faßte mich am Arm und zog mich auf meinen Stuhl zurück. Mit zornig funkelnden Blicken hielt sie mich auf meinem Platz fest.
„Delth, das lasse ich nicht zu, es ist zu gefährlich, von drei Sonden ist eine verschollen!“ Alfas Stimme hatte eine ungewohnte Festigkeit.
Teth nickte, er hatte die Sonden maßgeblich konstruiert. Doch dann sagte er: „Ach was, die kleinen Sonden, die halten natürlich nicht viel aus. Lander sind stabiler, manövrierfähiger.“
Delth hatte seinen Entschluß sicher längst gefaßt. Er schaute mich an. „Ich werde allein fliegen, Beth. Ich habe so viele Meßstationen in den Lander gepackt, da bleibt für dich kein Platz.“
Ich ärgerte mich, eine Station mehr oder weniger… Delth stand abrupt auf und verließ, ehe wir weiter auf ihn einreden konnten, den Speisesaal.
„He, Delth, warte!“ rief ich ihm hinterher. Gamma stellte sich mir mit der ganzen Autorität ihrer kleinen Person entgegen.
„Ihr müßt ihn zurückhalten“, sagte Alfa, blickte dabei von mir zu Zeth, zu Ilona.
Ich zuckte mit den Schultern, und Zeth erhob sich unschlüssig. „Wenn er unbedingt will..
„Ich habe schreckliche Angst um ihn“, gestand Alfa.
Aber was konnte denn schon passieren? Bislang hatten all unsere Unternehmungen ein glückliches Ende gefunden. Rammas hatten uns umsorgt, Guros auf uns aufgepaßt, der Computer des Schiffs hatte unsere Schritte vorausberechnet und Gefahren aus dem Weg geräumt.
Angst? Wir und Angst? Lächerlich!
„Ich versteh dich ja, Alfa“, antwortete, für uns überraschend, Eta, „er ist immer noch so unvorsichtig. Aber hast du ihm nicht angesehen, daß er etwas tun muß? Ihm wird das Schiff auch zu eng, er redet nur nicht darüber. Und dazu die letzten Wochen… Alles läuft ihm gegen den Strich. Wir überstimmen ihn mit dem Mondprojekt, verpulvern die Treibstoffreserven. Er braucht jetzt wieder einmal Selbstbestätigung.“
„Ach du“, Alfa blickte nicht auf, „wo hast du denn die spitzfindigen psychologischen Argumente her? Mach doch eine Psychoanalyse mit ihm, vielleicht kannst du seinen Komplex ausbügeln!“
Eta warf Besteck und Geschirr unwirsch in den Schlucker. Gemeinsam, aber ohne ein Wort zu tauschen, gingen wir zur Flugleitstelle, Alfa kam als letzte.
Vielleicht, dachte ich, als ich den brodelnden Planeten auf dem Bildschirm sah, hat Alfa doch recht, es ist zu gefährlich. Ich überlegte, wie man Delth noch zurückhalten könnte, da zeigten die Instrumente bereits, daß der Hangar evakuiert wurde, das große äußere Schott sich öffnete und das Solenoid den Lander hinauskatapultierte. Sekunden später begann das chemische Triebwerk zu arbeiten. Delth war gestartet. Er schaltete Bild und Ton auf unseren Kanal und fragte, weshalb wir so stumpf und trübe herumsäßen. Keiner antwortete ihm.
Zuerst verlief der Flug so glatt wie im Simulator, der Lander stampfte ein wenig, das war alles. Wir schauten schweigend zu. Das Bild wurde schlechter, und in Delths Atmen mischte sich das Stöhnen der Stürme. Der Lander bockte und wurde von einer starken Abwärtsströmung erfaßt. Delth fing ihn gekonnt ab. Seine Lippen wurden schmal, und auf der Stirn bildete sich eine tiefe Falte. Dann setzte der Lander mit einem Ruck auf. Schlamm spritzte gegen die Fenster.
Delth gelang es, eine Meßstation auszuklinken, die sich selbsttätig verankerte und auf ihren gedrungenen Silikonfiberbeinen einen wilden Tanz vollführte. Und er schaffte es, durchzustarten und sich wieder in die quirlenden, strudelnden Wolkenfetzen zu werfen.
Sekunden später erlosch der Bildschirm, wir hielten die Luft an. Doch der Ton blieb. Delth stöhnte, preßte dann hervor: „Muß ein Blitz gewesen sein oder was von dem Vulkan da vorn.“
„Genug, Delth, kehr zurück!“ Eta brach unser Schweigen.
Aber Delth setzte eine weitere Station ab. Lange Zeit hörten wir nur sein Atmen.
„Was ist, Delth?“ fragte Alfa.
„…nichts…“ Auch der Ton wurde schlechter, er setzte plötzlich aus, kam einen Moment wieder. Dann war es endgültig still.
„Ich habe ihn im Radar“, meldete Teth, „aber der Funkkontakt ist total weg…, auch von der Systemüberwachung.“
Wir hatten nichts beschlossen, und doch rannten Alfa und ich zu den Landern. Wir hätten es viel früher tun sollen. Eine Minute später katapultierte der Solenoid zuerst meinen, dann Alfas Lander aus dem Schiff. Wir flogen parallel und mit Höchstschub. Vor uns zerfetzten die Wolken Andymons. Laser und Radar malten verwirrende Bilder. Der Lander schlingerte, schien sich zu weigern, tiefer in das Chaos einzudringen. Weshalb hatten wir von Delths Lander nicht die Überlastungssignale erhalten? Ich hatte keine Zeit zu überlegen, aber plötzlich wußte ich, daß er die Sicherungen entfernt hatte.
„Delths Lander ist weiter in meinem Radar, ortsfest“, informierte uns Teth. Die gewaltige Elektronik des Schiffs tastete nach Delth — und nach uns.
Schweiß lief mir in die Augen, ich konnte nicht nach Alfas Lander schauen, mein eigener beschäftigte mich vollauf. Das war kein Übungsflug. Meine Knochen schmerzten vom ständigen Schütteln, ich ignorierte es, benötigte all meine Sinne für den Abstieg. Mir kamen die Sekunden des Fluges wie Stunden vor. Ich drückte meinen Lander nach unten, daß er wie ein Stein durchsackte. Die nur im Radar sichtbare Planetenoberfläche raste auf mich zu.
Plötzlich wußte ich, daß ich nicht allein um Delths, sondern auch um mein Leben flog. Es war warm im Lander, doch fror ich. Unvorstellbar, nicht mehr dazusein, nicht mehr zu existieren, nach dem Sprung ins Nichts nicht heil zu erwachen wie in den Totaloskopen. Anzeigen leuchteten rot: ÜBERLAST, ÜBERLAST, ÜBERLAST, und die wechselnden Beschleunigungen zerrten an meinem Körper. In den wenigen Augenblicken, in denen ich nicht reagieren, steuern mußte, fühlte ich trotz schweißbedeckter Stirn den Frost: Ein Fehler, und alles ist aus.
Dann hörte ich Teth wieder, er schrie gegen den Sturm, das Dröhnen der überlasteten Motoren an: „Beth, zurück, sofort zurückkommen, Beth, zurück!“
Ich dachte nicht daran, ich kämpfte! „Warum? Warum?“ rief ich.
„Beth! Zurück! Delth ist tot! Delth ist tot!“
„Was?“ Ich wollte es nicht fassen, sie konnten gar nichts wissen, der Kontakt war unterbrochen, nichts konnte Delth auslöschen. Er saß kämpfend, schwitzend in seinem Lander, so wie ich in dem meinen.
„Der Lander ist explodiert. Beth! Sofort zurück! Delth ist tot…!“ Als sei ich taub, schrie er es immer wieder.
Schlagartig riß ich die Höhensteuerung herum. Der Andruck raubte mir fast die Sinne. Meter um Meter schraubte sich der Lander höher, dann, völlig außer Atem, sah ich wieder den geliebten klaren Himmel der Sterne.
Parallel, wie wir gestartet waren, landeten Alfa und ich. Betäubt stieg ich aus meinem Lander, wartete vor ihrem. Sie kam nicht. Ich stieg hinein, sie lag schluchzend auf der Steuerung. Ich strich ihr über den Kopf, versuchte etwas zu sagen.
Ilona schob mich zur Seite. „Sie hat durchgehalten bis zum Schluß…“
Dann injizierte Ilona ihr durch die Plasthaut des Skaphanders ein Beruhigungsmittel. Wir öffneten die Verschlüsse, nahmen ihr den Helm ab, zogen an den Skaphanderarmen. Völlig unbeteiligt wie eine Ankleidepuppe stand Alfa da, hob auf unseren Befehl mechanisch den Fuß, daß wir die Schuhe lösen konnten. Endlich lagen der Leichtskaphander, ein Bündel Vielschichtfolien, Elektronik, Pneumatik auf dem Boden. Ilona umarmte Alfa und führte sie in ihre Kabine. Als ich Gamma, die immer noch in der Flugleitstelle saß, fand, hatte sie verweinte Augen.