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Die genauen Umstände von Delths Tod haben wir nie erfahren. Der nächstgelegene Vulkan konnte den Lander kaum mit Lavaströmen bedeckt haben — es würde in diesem Falle auch länger gedauert haben, bis die Treibstoffvorräte explodierten. Ob eine Überlastung der Grund war? Wir konnten es nicht überprüfen. Von dem Lander wurde nie das geringste metallene Bruchstück gefunden.

Unabhängig voneinander kamen Gamma und ich zu ein und derselben Vermutung, wenn wir uns in Delths Situation versetzten: Der Lander steckt fest, du kannst ihn nicht mehr verlassen, mußt aber annehmen, daß ein Gefährte einen selbstmörderischen Rettungsflug unternimmt — was hättest du in dieser Situation unternommen? Es ist nicht leicht, einen Lander zur Explosion zu bringen, aber in diesen Dingen war Delth beschlagen.

Eine Spekulation, die wir niemandem mitteilten und die für alle Zeiten unbestätigt bleiben wird. Denn Delth ist tot, tot, tot. Selbst meine Erinnerung an ihn verliert mit den Jahren an Schärfe. Und sein Bild hat sich in den Köpfen meiner Geschwister gewandelt. Nie wurde er mehr als unser Kommandant anerkannt als jetzt. Aber ob unsere fernen Nachfahren noch wissen werden, woher der Name stammt, den der größte Ozean des Planeten trägt? Für mich jedoch gibt es kein Andymon ohne Delth.

Ich hasse Andymon

Delths Tod ließ uns nicht nur trauern, er war ein Schlag gegen unsere kleine Gemeinschaft, von dem sie sich nie völlig erholte. Ein Platz in der früher oft so fröhlichen Runde am Speisetisch blieb frei — bald beteiligte sich auch Alfa nicht mehr an den gemeinsamen Mahlzeiten, und eines Tages fanden Gamma und ich, als wir zum Frühstück gingen, nur noch Zeth vor. Unsere Geschwister hatten den Anblick des einen leeren Stuhles nicht ertragen.

Wir sahen einander oft tage- oder wochenlang nicht, wir vergruben uns in Arbeit oder Scheinbeschäftigung. Ilona fand Freunde in der Szadeth trat ein. Er trug auch im Schiff ständig kurze Hosen, obwohl die Temperatur in den Aufenthaltsräumen normalerweise zwanzig Grad Celsius nicht überschritt.

„Hallo, Beth! Hallo, Gamma!“ sagte er. „Ich hatte keine Lust, über Intercom mit euch zu reden, wenn ich die paar Meter laufen kann.“

„Ja, Szadeth, was gibt’s denn? Habt ihr die Pläne für den ersten Stützpunkt fertig?“ fragte ich aus reiner Höflichkeit.

Er setzte sich mit größter Selbstverständlichkeit in unseren Schaukelstuhl und wippte darin. Die Vierzehnjährigen aus seiner, der sechsten Gruppe hatten sich mit der Planung des ersten Landeunternehmens auf Andymon eine logistische Aufgabe vorgenommen, die vielleicht über ihre Fähigkeiten ging - im Augenblick. Jahre verblieben, um auch das letzte Detail auszuarbeiten. Wenn sie nur nicht die Lust daran verloren, wie Alfa befürchtete.

Szadeth schwang ganz nach vom und hielt inne. „Die Großen sind gemein! Es war unsere Idee, die Landung zu planen und wie man für die Fähren dann einen Landeplatz baut und das alles. Und jetzt fangen Cheth und mit ihm die gesamte fünfte Gruppe an, alles auszurechnen. Das ist gemein!“ Er- gab dem Schaukelstuhl einen Stoß und wippte von neuem. Eine Sandale rutschte ihm vom Fuß, die andere hielt er mit den bloßen schwarzen Zehen krampfhaft fest.

„Und weshalb kommst du damit zu mir?“ fragte ich. „Ihr müßt euch selbst gegenüber der fünften Gruppe durchsetzen. Ihr habt doch Argumente und Münder zum Reden.“

Ich verstand tatsächlich nicht, weshalb er sich ausgerechnet an mich wandte. Mit seiner und Cheths Gruppe hatte ich nur den normalen Kontakt, es gab kein Projekt, an dem ich gemeinsam mit ihnen arbeitete. Aber Szadeth hatte mich zu seinem Fürsprecher ausgewählt, und wenn es ihm schon nicht gelungen war, die fünfte Gruppe zu überzeugen, so brachte er es immerhin fertig, mich zu bereden. Ich mußte ihm versprechen, mit ihm morgen Cheth aufzusuchen. Als er endlich ging, stöhnte ich laut.

Gamma lachte und gab mir einen Kuß. Ich wollte ihre sehr angenehmen Tröstungen gerade voll auskosten, da meldete sich Jota über das Intercom. Ihr fiel gar nicht auf, daß ich sie nicht wie sonst freundlich grüßte. Sie befand sich im Biolabor, in dem sie Gerüchten zufolge sogar manchmal schlief. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich nicht die gewohnte Sorge um ihre Superalge und die Andymonatmosphäre ab, sondern Freude.

„Bist du allein?“ fragte sie unvermittelt.

Gamma antwortete an meiner Stelle.

„Das macht nichts“, sagte Jota unverblümt, „ich will nur nicht, daß es sich jetzt schon herumspricht.“

„Was?“ fragten Gamma und ich wie aus einem Mund.

Jota holte weit aus, berichtete zum x-tenmal von ihren Warnungen und Befürchtungen. Ihre Arbeitsgruppe hatte Alfas und meinen Lander nach der mißglückten Rettungsaktion beinahe völlig auseinandergenommen auf der Suche nach möglicherweise eingedrungenen Atmosphäre- und Algenproben. Wieso sie überhaupt etwas finden konnten, blieb mir ein Rätsel. Genau und umständlich schilderte Jota ihre Tests mit den wenigen Milligramm erhaltenen Materials und ihre überraschenden Ergebnisse.

Ungeduldig trat ich von einem Bein aufs andere.

„Es scheint so, als ob die Mutante mit der höchsten Stoffwechselaktivität sich gegenüber den anderen durchsetzt. Sie würde die Atmosphäre in kürzerer Zeit als vorgesehen umwandeln. Zahlen wage ich hier nicht zu nennen. Das bleibt alles Spekulation, bis wir weitere Proben und atmosphärische Meßwerte haben. Trotzdem: zum erstenmal eine positive Nachricht vom Planeten. Aber bitte, macht weder euch und vor allem nicht den anderen Hoffnungen. Die Sache muß unter uns bleiben. Es ist alles noch zu ungewiß, in ein paar Tagen, schlimmstenfalls Wochen, wissen wir mehr.“

Wenn es noch nicht soweit ist, weshalb sagst du es dann uns? wollte ich fragen, doch da hatte sie das Intercom bereits ausgeschaltet.

„Hört sich ja sehr positiv an“, kommentierte Gamma.

Auch ich war erfreut, doch zugleich verwirrt. „Also, Gamma, ich begreife das nicht“, sagte ich, „jeder will irgend etwas von mir. Schön, ist interessant, aber weshalb wartet Jota nicht die paar Tage, bis das Ergebnis sicher ist? Ja, und neuerdings spielt mir jeden Morgen ein Spaßvogel die kurzgefaßte Beschreibung des Schiffszustandes auf den Display. Und Fith beschwert sich bei mir, daß sich die vierte Gruppe auf Gedon von den anderen absondere und es keinen Spaß mehr mache, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Was soll ich damit? Und Alfa liegt mir immer mit ihren Stimmungen in den Ohren. Ja, sie hat Delth verloren, und ich verstehe, daß sie sich mit irgend jemandem aussprechen muß. Aber kann sie nicht auch mal mit einem anderen reden? Jetzt Szadeth mit den völlig normalen Kabbeleien der Kleinen. Ich sehe es kommen, nächstens klopft ein Guro oder, noch besser, eine Ramma und beklagt sich, daß die Babys zuviel Unfug treiben!“

Gamma lachte lauthals. „Mein armer Beth, ja, ich glaube, es kommen schwere Zeiten auf dich zu. Wenn dich sogar der Schiffscomputer entdeckt hat!“

Ich schaute sie fragend an. Gamma kostete es aus, mich verwirrt zu sehen. Ich lief dreimal um unser Zimmer, setzte mich dann in den Schaukelstuhl. Nach Szadeth war jetzt die Reihe an mir zu wippen. „Schieß los“, sagte ich zu Gamma.

Sie stellte die Musik leiser. Dann weihte mich Gamma in ihre Theorie vom Reservemann Beth ein. Sie versuchte, mir die Rollen, die unseren Geschwistern aus der ersten Gruppe zufielen, zu erläutern: Alfa als „Gruppenmutter“, Zeth als „relativer Einzelgänger“ und „geborener verbissener Techniker“ und so weiter. Es klang mir zu einfach, und doch, einen Zipfel der Wahrheit hatte sie unbedingt erhascht.

„Du hast vergessen zu erwähnen, daß Spekulationen aller Art deine Sparte sind!“ rächte ich mich.

Mißbilligend blickte sie mich an. Sie trat an den Schaukelstuhl und stützte sich mit den Händen auf die Armlehnen.

„Ruhig, du bist der Joker. Delth ist tot. Folglich übernimmst du Delths Funktion. Einer muß den Überblick haben. Beweis: der Schiffscomputer überspielt dir seinen Statusbericht. Er hat dich längst identifiziert, Kommandant! Und jetzt mußt du lernen, dieser Rolle gerecht zu werden.“