„Sieht aus, als wären wir nicht angemeldet“, sagte Gamma befriedigt.
Sekunden später jagten wir in langen Känguruhsprüngen über die betonierte Fläche des Raketodroms. Wir steuerten auf die mir vertrauten Unterkünfte zu. Ohne aufgehalten zu werden, gelangten wir in die einstige Zentrale, jetzt offensichtlich außer Betrieb. Wir suchten die Gänge ab. Vor einer geschlossenen Tür knarrte uns eine Automatenstimme an: „Laufendes Experiment. Nicht stören. Laufendes Experiment. Nicht stören. Laufen… Begebt euch zum Aufenthaltsraum. Begebt euch…“
Wir begaben uns. Mit unserem Eintritt flammte der große Videoschirm des Raumes auf. Daletas Kopf erschien. „Was wollt ihr hier? Weshalb stört ihr uns? Fliegt zurück!“
„Also, nun mach mal einen Sprung ins Nichts, Daleta!“ Fiths Stimme überschlug sich fast. „Was soll der Schwindel mit dem Reaktorversagen? Was geht hier vor sich? Wo steckt ihr überhaupt?“
Eine Störung ließ Daletas Kopf eine Sekunde flirren. „Gut. Ein Experiment ist etwas energiereich ausgegangen. Wir forschen hier. Wenn ihr schon keine Lust habt, Wissenschaft zu betreiben, dann hindert uns wenigstens nicht daran. Was wir tun, ist unsere An…“
Gamma hantierte an den Kontrollen herum, Daletas Bild erlosch mitten im Satz.
„Warum unterbrichst du die Verbindung, Gamma, ich versteh…“ „Wenn es dir Vergnügen bereitet, Fith, dich mit einem Computerprogramm zu unterhalten, einem ziemlich schlechten dazu, kann ich es ja wieder einschalten.“
Wir setzten die Skaphanderhelme auf und trabten ins Freie. Andymon schien im letzten Viertel. Vorbei an mit Leuchtfarbe numerierten Bauteilen strebten wir auf den nächsten Bau zu, dessen Schleusengang offen vor uns lag. Doch ehe wir ihn betreten konnten, raste ein Roboter auf uns zu und versperrte den Weg. „Achtung! Gefahr für Menschen! Nicht betreten! Gefahr für Menschen!“ „Pah“, sagte Fith in sein Mikrofon, „die Gefahr möchte ich kennenlernen“, und er versuchte, den Roboter beiseite zu schieben.
Der rührte sich nicht von der Stelle, und ein zweiter kam heran wie ein neugieriger Zuschauer.
„Gut“, sagte Fith, „du bist stärker. Aber welche Gefahr lauert da drinnen?“
„Gefahr für Menschen“, erwiderte der Roboter stur.
„Also, du Blechkopf weißt es nicht. Geh hinein und stelle fest, um welche Art der Gefahr es sich handelt.“
„Gefahr für Roboter“, versuchte der zu argumentieren, aber der Befehl überspielte seine Selbsterhaltung. Der Roboter kehrte nicht zurück.
„Die können uns hier alles vorgaukeln“, bemerkte Fith und befahl dem offensichtlich für seinen Vorgänger einspringenden Roboter, uns zu begleiten. Ein wahrscheinlich überflüssiger Befehl.
Wir waren kaum hundert Meter vorwärts gekommen, da flimmerte über einer nicht identifizierbaren Struktur vor uns ein dünnes blaues Wölkchen auf, strahlte zunehmend intensiver.
„Gefahr!“ sagte der Roboter und schleppte uns, ehe wir es uns versahen, hinter einen massiven Mast.
Er brauchte uns nicht zu erklären, um welche Art Gefahr es sich handelte, die an unseren Skaphandern angebrachten Geigerzähler schlugen an. Harte Gammastrahlung. Ich erhaschte einen Reflex des Wölkchens auf einer spiegelblanken Metallfläche. Es veränderte seine Form, schrumpfte und verpuffte dann. Offensichtlich wollte man uns von Gedon hinwegkomplimentieren.
Als es verglüht war, verließen wir unsere Deckung, hüpften auf die nächste Konstruktion zu. Wenige Sekunden später wurden wir erneut Zeuge eines merkwürdigen Schauspiels. Ein neben der Sichel Andymons kaum zu erkennender haarfeiner Strich zog sich hinter einem Gebirge hervor schnurgerade ins All. Ein zweiter flammte irgendwo aus dem Kosmos heraus auf, schnitt den ersten. Den Bruchteil einer Sekunde lang blitzten beide Strahlen auf, tausendmal heller, brannten sich als Feuerschwert in unsere Retina ein.
„Gefahr für Menschen“, kommentierte der Roboter.
„Paß auf, du Hilfsguro“, fuhr ihn Fith ärgerlich an und fuchtelte mit den Armen, „wir spielen nicht mehr mit. Von jetzt ab kannst du ‚Gefahr für Menschen‘ schreien so oft und so laut, wie du willst. Nicht wir haben zu verschwinden, sondern diese Gefahren.“
Gamma tauschte einen langen Blick mit mir, und ich wußte, was sie dachte: Wenn hier wirklich ein Computer durchdreht, kann es sein, daß er selbst Menschenleben nicht mehr respektiert. Wenn der vierten Gruppe etwas zugestoßen war…
Schließlich fanden wir die gesuchte neue Unterkunft. Die Schleusentür wollte sich nicht öffnen. Erst als Fith auf die Türsteuerung einhämmerte, fuhren die Stahlplatten zur Seite. Fith sprach kein Wort und setzte auch den Helm nicht ab. Er mißtraute wie ich der Innenatmosphäre.
Wir eilten durch die Gänge, schauten in die Zimmer. Sie waren bewohnt. Dann entdeckten wir die vierte Gruppe. Sie lagen in Formsesseln, und über ihre Schläfen stülpten sich schwere Adapter, wie sie in den Totaloskopen Verwendung fanden.
„Tja, einen müssen wir wohl losmachen“, sagte Fith.
Wie auf Befehl begann eine der scheinbar schlafenden Gestalten den Adapter abzulegen. Es war Daleta. Sie richtete sich ächzend in ihrem Formsessel auf. Ihre glatten schwarzen Haare hatte sie hochgesteckt, trotzdem reichte sie Gamma nur bis zur Schulter.
„Warum verfolgt ihr uns, könnt ihr uns nicht in Ruhe lassen?“
„Wir haben uns Sorgen um euch gemacht“, sagte Gamma in besänftigendem Ton.
„Wir brauchen keine Rammas mehr!“ Daleta rieb sich mit beiden Händen die Augen.
Gamma und ich setzten unseren Helm ab, Fith behielt seinen auf, man konnte nie wissen…
Daleta lachte uns verärgert ins Gesicht. „Ihr habt ja immer noch Angst, ihr Helden, vor irgendeinem Computerphantom, das uns versklavt hat, vor einem Gruppengehirn, was? Keine Sorge, wir haben hier alles unter Kontrolle.“
Gamma trat auf Daleta zu. „Sekunde“, sagte sie, zog einen Magnetsensor aus dem Futteral am Gürtel und fuhr damit langsam um Daletas Kopf. „Keine Elektroden drin“, verkündete sie trocken.
Daleta atmete tief, um sich zu beruhigen, und sagte dann langsam: „Also, es war keine Lastraketenexplosion. Ich gebe es zu. Wir hatten etwas Pech mit einem Experiment.“
„Das interessiert uns jetzt nicht mehr“, erwiderte ich.
Fith stand schweigend mit geschlossenem Helm da und schaute zu.
„Vielleicht kannst du uns erzählen, was ihr hier treibt“, fuhr ich fort.
„Wir sind euch keine Rechenschaft schuldig, auch wenn ihr ein paar Jahre älter seid. Außerdem wißt ihr es nun.“
Ich überlegte, ob Daleta und ihre Gruppe unser Kommen vielleicht provoziert hätten, sicherlich wäre es ihnen nicht schwergefallen, uns überzeugend abzuwimmeln. So aber… Ob sie die Aussprache wollten und bewußt oder unbewußt heraufbeschworen hatten?
Daleta ereiferte sich immer mehr. „Ihr modelt ja nur an eurem Planeten herum. Und das dauert und dauert. Seht ihr denn nicht, daß ihr so nie zum Ziel kommt? Und wenn Tausende von Raumschiffen wie unseres von der Erde ausgesandt worden wären, die Galaxis läßt sich so nicht erobern, sie ist erloschen und ausgebrannt, ehe die Menschheit sie auch nur halb umrundet hat. Ihr seid schlicht langweilige Kleingärtner, phantasielose Bastler, wildgewordene Konstrukteure. Ihr habt noch kein einziges Elementarteilchen entdeckt, nicht eine Formel erfunden, die die Wissenschaft der Erde nicht schon vor Zehntausenden von Jahren kannte.“
Ich hatte mein Erstaunen über die Heftigkeit ihres Ausbruchs überwunden, packte sie an den Schultern und rüttelte sie. „Daleta, hör mir zu, das ist auch nicht unsere Aufgabe. Andymon bedeutet dir wohl nichts?“ Ich ließ sie wieder los.
„Ach, Andymon…“ Die schnellen, fahrigen Bewegungen ihrer Finger machten mich ganz nervös. „Das ist ja nur ein Planet, einer unter Hunderten von Millionen. Wenn ihr ihn selit, vergeßt ihr alles andere, habt nur noch im Kopf, ihn zu einer imitierten Erde zu machen. Damit ihr euch dann auf das weiche Moos unter die schattenspendenden Bäume legen und pennen könnt. Euer Horizont ist doch nur dieser dreckige Planet.“