„Ich verstehe dich nicht, Daleta“, sagte ich bestürzt, „unsere Kräfte reichen gerade für Andymon, und du erzählst von Millionen Planeten. Das ist Größenwahn.“
„Damit will ich nur sagen, daß es mehr gibt als einen winzigen Planeten und daß wir nicht versauern wollen. Wir sitzen nicht im Schiff und drehen Däumchen.“
Als ob wir Däumchen drehen würden. Langsam begann ich mich aufzuregen.
„Was ist mit euch“, platzte Gamma in meinen Ärger herein, „das ist doch keine normale Mittagsruhe?“ Sie wies auf die sieben scheinbar schlafenden Gestalten mit den Adapterhauben auf dem Kopf. „Ihr habt euch zusammengeschaltet, was? So wie man Totaloskope zusammenschalten kann! Ihr habt eure Gehirne vereinigt!“ Gamma fragte nicht mehr, ihre Stimme klang von Wort zu Wort sicherer.
Daletas breites Gesicht lief rot an. „Ja doch. Ein menschliches Gehirn hat einfach nicht genug Kapazität. Wenn ihr euch anschließen wollt, dann hätte aller Streit ein Ende, dann würdet ihr begreifen, was ich nur so unvollkommen ausdrücken kann.“ Sie ergriff Gammas Hand.
„Nein, danke. Ich weiß, wie es ist; ich war einmal mit Beth zusammengeschaltet. Ich will eine Person bleiben, meinen eigenen Willen behalten.“
„Schade“, sagte Daleta, dann schaute sie forschend Fith an.
Fith hob abwehrend die Hände und stammelte: „Du, du bist wohl verrückt.“
„Daleta — ich finde das weder natürlich noch menschlich.“ Ich schaute ihr in die schmalen Augen. Ihr Blick hielt dem meinen stand. „Fühlst du denn nicht, jetzt, wenn du keinen Adapter auf hast, daß euer Übergehirn euch gänzlich aufsaugt? Oder…“ Ich beobachtete ihre Pupillen genau, sie schien unter keinem posthypnotischen Befehl zu stehen.
„Ich fühle mich einsam, laßt mich, ich will zurück.“ Sie griff enttäuscht nach ihrem Adapter.
„Daleta, was wird aus diesem Mond? Was werdet ihr tun? Könnt ihr denn Andymon ganz vergessen?“
„Euer Planet langweilt mich. Und der Mond gehört uns - und die Technik darauf, das ist unser Anteil am Erbe des Schiffs. Könnt ihr nicht Ruhe geben?“
„Aber wir brauchen auch die Ressourcen von Gedon, es ist alles auskalkuliert, ihr könnt uns nicht im Stich lassen.“ Ich hatte sie wieder an den Schultern ergriffen, sie entwand sich mit einer geschickten Bewegung.
„Was ihr unbedingt benötigt, werden wir euch nicht verweigern.“ Sie legte sich hin und setzte den Helm auf. Ihre Züge entspannten sich.
Wir blickten uns an. Fith gestikulierte wie ein Signalmast. „Aber das geht nicht, wir können sie nicht so liegenlassen. Wir müssen sie retten!“
„Wir können nichts und niemanden retten. Hier ist alles unter ihrer Gewalt. Du könntest sie töten — wenn du eingreifst.“
Fith blickte wild um sich.
Wir gingen. Und sprachen kein Wort mehr, bis wir in der Fähre saßen. Dort brach Fith das Schweigen. „Das war sehr dumm von mir, daß ich vor ihren Ohren davon geredet habe, nicht wahr?“
„Nein doch“, sagte Gamma, dann räusperte sie sich. „Wir dürfen nichts tun, nichts gegen ihren Willen. Irgendwann einmal wollten sie es so, haben die Schaltung aufgebaut als neuen Kitzel vielleicht gegen die Langeweile des Wartens. Und Daleta stand unter keinem fremden Einfluß.“
„Ich begreife das nicht“, Fith schüttelte seine krause Mähne, „ich begreife das nicht.“
„Vielleicht“, spekulierte ich mutwillig, um meine Machtlosigkeit zu überspielen, „vielleicht ist das die Zukunft des Menschen, die intellektuelle Leistungsfähigkeit potenziert sich beim Zusammenschalten. Wer weiß, in ein paar Jahren sind sie uns allen über, und dann werden wir sie nachahmen.“
„Niemals“, preßte Fith zwischen den Zähnen hindurch, „niemals. Ohne mich.“
Schweigend steuerten wir das Schiff an. Der Hangar, die leicht gewölbten Korridore, das alles strahlte Ruhe und Geborgenheit aus.
Fortan ignorierten wir die vierte Gruppe, es sei denn, wir benötigten Material von Gedon. Wie Daleta versprochen hatte, bekamen wir es pünktlich.
Es vergingen Jahre, bis ich den Kontakt zu den Geschwistern auf Gedon zum zweitenmal auf nahm.
Für tausend Tage eine Nacht
Von Monaten, die nur mit unablässiger, eintöniger, höhepunktloser Arbeit ausgefüllt sind, bleibt nicht viel in der Erinnerung, es sei denn ein fades Gefühl. Einem solchen Zeitraum hatte Eta — wer sonst als Eta? — versucht, ein wenig Glanz zu verleihen.
Schon die Einladung entsprach ihrem Stil. Ein Serviceroboter klopfte an unsere Tür, was gewöhnlich weit außerhalb des Aufgabenbereiches dieser Automaten lag, und überreichte mit blankgeputzten Zangen ’. Neugierig öffnete ich den Umschlag und entnahm ihm eine Karte. Sie war goldumrandet und trug in violetter Tinte eine steile, akkurate Handschrift:
EINLADUNG
In unsrer Welt, nur „Schiff“ genannt, sind rastlos wir im Kreis gerannt tausend Tage — ohne Frage:
Jetzt wird erst einmal ausgespannt.
19 UHR - PAPAGEIENFELSEN - ETA und ZETH
Es gab kein anderes Gesprächsthema bis zum Abend, und Eta und Zeth ließen sich wohlweislich nicht sehen. Welche tausend Tage? rätselten wir. Eine neue, eigenwillige Zeitrechnung, deren Bezugspunkt nicht auf der Hand lag. Tausend Tage, das sind nicht ganz drei Jahre, wir rechneten zurück: die Aussaat, der Beginn der neuen Zeit für Andymon!
Zur festgesetzten Stunde trafen wir einzeln, in Paaren oder in kleinen Gruppen im Naturpark ein und begaben uns erwartungsvoll zum Papageienfelsen. Dort empfing uns Eta, sie war völlig unbekleidet, abgesehen von einer gelben Blüte in ihrem Haar.
„Hallo, Gamma, Beth. Kommt, zieht euch aus, wir planschen ein wenig. Und mit sauberen Ohren hört ihr die Musik dann besser.“ Unterhalb des Felsens befand sich ein großes, halbmeterhohes Plastbassin, das eigens für diesen Abend aufgestellt worden war. Wir legten unsere Kleidung ab und stiegen zu der dritten Gruppe, die vor uns gekommen war, in das heiße Wasser, über dem Dampf aufstieg. Nach und nach füllte sich das Bad, ich glaube, es fehlte niemand bis auf die vierte Gruppe — und Delth. Die Jüngsten waren schon vor uns im Bassin gewesen und tollten bereits wieder auf der Wiese.
Eta erhob sich aus dem Wasser, die Gespräche verstummten. Betont geziert sagte sie: „Ich begrüße euch, verehrte Geschwister, zu unserer Tausendtagesfeier. Das heilige Wasser des Bades soll eure müde Haut vom Schweiß und Staub dieser Tage reinigen und euren schwieligen Geist von der Mühsal und Plage.“
Wir lachten. Wohlig drang die Wärme in unsere ausgestreckten Gliedmaßen. Wir schauten auf die bewegte Oberfläche des Wassers, auf die Geschwister und in die Weite des Naturparks. Mit der Wärme strömte Ruhe auf uns ein, mit dem Körper wurden auch die Gedanken träge. Alles abstreifen! Die Arme hängenlassen, die Muskeln erschlaffen lassen! Die Augen schließen und den zarten, kaum wahrnehmbaren Duft des Wassers - und der Erde, der Gräser, der Bäume um uns riechen. Wir sind alle eins und eins mit dem Schiff.
„Beth, schläfst du?“ Gamma hielt mir ein Glas unter die Nase. „Hier, trink davon, das ist gut. Eta hat sich wirklich was ausgedacht.“
Der mit einem Schuß Alkohol versetzte Orangensaft schmeckte ausgezeichnet. Und nun bekam ich auch Hunger.
Einer nach dem anderen verließen wir das Bassin und frottierten uns mit müden Armen trocken. Wir krochen nicht wieder in die vom Schweiß und Staub der tausend Tage durchdrungene Kleidung. Eta und ihre Helfer hatten vorgesorgt: In der Wiese lagen weite, lange Gewänder im Farbton der Blüte in Etas Haar, und die Gewänder trugen auf der linken Seite in schwarzen Lettern unsere persönlichen Symbole. Nachdem ich mich angekleidet hatte, sah ich mich suchend nach Gamma um und bemerkte dabei Eta, die auf einem Felsvorsprung saß und zufrieden lächelnd auf die gelben Gestalten herabschaute, die ausgelassen auf der Wiese herumsprangen.