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Direkt am Felsen stehend, verteilte ein Guro Sandwiches und Getränke.

„Na, Guro“, scherzte ich mit ihm, „so sieht man die Kinder wieder, groß und eigensinnig. Und man selbst wird nur noch als Butler gebraucht.“

„Komm“, sagte Gamma zu mir, „sonst antwortet er noch: Ja ja, so ist das Leben.“

Der Guro reichte uns Käsesandwiches und sagte ganz wie in alten Tagen: „Stopft euch jetzt nicht voll, nachher gibt es auch noch etwas. Merke: Voller Magen hört nicht gut.“

Allmählich versammelten wir uns gegenüber den großen Lautsprecherboxen, die Zeth für Eta aufgebaut hatte. Sie selbst stand auf einem flachen Podest vor der elektronischen Steuereinrichtung, zu der mehrere Manuale gehörten. Lebhaft winkte sie mit beiden Armen, an denen die weiten Armei hinabglitten. Nur die Geräusche des Naturparks, der Wind, die entfernten Laute des großen Waldes waren zu hören. Wir nahmen Platz im warmen Gras.

„Bitte, Zeth!“ sagte Eta.

Er, der neben einer Lautsprecherbox stand, zeigte das glücklichste Lächeln, das ich je auf seinem Gesicht gesehen hatte. In den Händen hielt er ein winziges Kästchen. Plötzlich leuchtete die Naturparksonne einen Sekundenbruchteil grell auf, daß das Haar auf den Köpfen der Geschwister vor mir bleich war und die Dinge ihre Kontur verloren.

dann starb ihre Helligkeit dahin, bis nur ein rötlichwarmes Dämmerlicht blieb; viel zu dunkel für die Tageszeit.

Aus der Dämmerung, die alles umhüllte, unwirklich und unwichtig scheinen ließ, drang Etas Stimme. Sie machte uns geradeheraus mit der Tatsache bekannt, daß es schon vor ihr Komponisten gegeben habe — auf der Erde — und erklärte dann, daß sie nicht beabsichtige, uns mit wesentlich mehr als tausend Takten Musik zu überfordern. „Ich mache mir’s nun ein Weilchen bequem. Was ihr jetzt hört, ist eine echte Aufzeichnung einer uralten Aufführung direkt aus den Speichern des Schiffs. Vielleicht helfe ich eurer Phantasie auf die Sprünge, wenn ich euch sage, daß diese Musik anläßlich eines Friedensfestes entstand.“

Ich schloß die Augen, um alles zu vergessen außer den feierlichen und zugleich so fröhlichen Tönen, die weit durch den Naturpark drangen. War es nicht eine Freude, zu leben? Umgeben von Freunden, ein Ziel vor Augen? Ich fühlte mich so heimisch, so sicher. Vor meinen geschlossenen Augen tanzten bunte Kreise, rote, grüne, in den Klang der Musik mischten sich ferne zischende und fauchende Geräusche. Ich blickte auf: Licht tropfte vom Himmel, Meteore schossen zuerst, von einem goldenen Schweif getragen, empor, zerplatzten dann in einem bunten Regen. Unsere kleinen Geschwister jubelten und eilten, die fallenden Sterne einzufangen. Die klare Musik, das klare Licht, tausend mühselige Tage hatten sich für diese eine glanzvolle Nacht gelohnt. Dann waren die Gedanken verflogen, und meine Sinne empfanden nichts anderes als dieses Schreiten von Ton zu Ton, dieses Gleiten von Feuerkugel zu Feuerkugel. Mit einem letzten feierlichen Klang erstarb die Musik.

Ehe ich wieder zur Besinnung kam, redete Eta schon: „Und nun, ohne Feuerwerk, eine indianische Impression von den unheimlichen Lauten des irdischen Urwaldes.“

Der Kontrast, der schmerzlich grelle Kontrast, hätte nicht größer sein können. Eine Stimme, schrillste Höhen erklimmend und in dröhnende Tiefen hinabsinkend, bald zärtlich, bald von explodierender Gewalt, beschwor den wildesten Dschungel. Papageien schwirrten auf und flogen vorbei, die uralten Bäume raunten sich ihre Geheimnisse zu, und tief im Sumpf schrien dessen amphibische Bewohner. Mir war, als erlebte ich meine kindlichen Wanderungen durch den dichtesten Naturparkwald noch einmal und sähe dabei doch alles ganz anders. Schon glaubte ich, die Töne der irdischen kunstvollen Dschungelwelt, die so seltsam sich mit unserer vereinten, verebbten, da brachen sie mit kreatürlicher Unmittelbarkeit von neuem los, ehe sie endgültig verstummten. Ja, dachte ich, von dort kommen wir -dann war es vorbei.

Diesmal wußte Eta länger zu warten.

„Wie ihr mich kennt, hebe ich das Beste bis zum Schluß auf. Zumindest das Beste, das je mit Unterstützung des Schiffscomputers komponiert wurde. Das Stück heißt ‚Tausend Tage‘. Es kommt frisch vom Band — mehr als die erste elektronische Orgel kann ich mit meinen zwei Händen nicht spielen. Dafür wird Zeth mich begleiten.“ Sie blickte verschwörerisch lächelnd zu ihm hinüber.

Zeth — ich staunte, unvorstellbar, daß dieser auch nur einen einzigen richtigen Ton treffen würde.

Knallhart setzten die synthetisierten Töne Etas ein, jagten voran. Sie saß an der elektronischen Orgel, ihre Hände flogen über die Manuale. Im sich überstürzenden Rhythmus der Musik flackerte unser Tageslicht. Zeths Begleitung! Die Sinustöne schwollen an und verloren sich in Oberschwingungen.

Bei geschlossenen Augen, um unter Zeths optischen Schlägen weniger zusammenzuzucken, versuchte ich, die Disharmonien in Bilder umzusetzen. Tausend Tage in der Puppenhülle des Schiffs, die wir bereit waren abzustoßen. Tausend Tage im ungewissen, ob unsere Arbeit Früchte tragen würde. Tausend Tage fern von Andymon. Das Ziel Andymon selbst in Frage gestellt. Mit der Musik drehten sich meine Gedanken im Kreis, einen Moment sah ich das Schiff sich vervielfachen, nein, das All voller Schiffe wie das unsrige, uralten und welchen, die gerade gebaut wurden, aber ehe ich noch die Bedeutung des Bildes erhaschen konnte, zerbrach es unter einem Schwall von Tönen. Dann brach der Boden unter mir auf, und alles endete in barmherziger Dunkelheit. Sie blieb noch eine Weile über uns hängen, dann beleuchtete Zeth den inneren Hohlraum unserer Welt wieder.

Gamma blickte mich blinzelnd an und zog die Achseln hoch. Die Geschwister um mich schienen ebenfalls ratlos. Erwartungsvoll stand Eta vor ihren Geräten. So laut ich konnte, klatschte ich in die Hände, nach einer Sekunde folgten mir Alfa und Gamma, dann die anderen. Sollen zukünftige Kritiker über Etas Opus urteilen, wir durften sie nicht ohne Beifall auf dem Podest stehenlassen.

Beim anschließenden zweiten Imbiß zog ich Zeth und Eta zur Seite und fragte sie eindringlich, ob es möglich wäre, das erste Stück und das Feuerwerk zum Abschluß des Abends zu wiederholen. Eta nickte, vielleicht entnahm sie meinen Worten mehr, als ich sagen wollte.

Später entdeckten wir, daß sich der Naturpark in Aufruhr befand. Wolken von Vögeln flatterten über den Bäumen. Aus dem Urwald klangen lauter als sonst die Schreie der Tiere. Nicht in hunderttausend Tagen hatte es eine derartige Unruhe im Inneren des Schiffs gegeben.

Ausreißer

Über vier Jahre umkreiste das Schiff schon Andymon, lang genug, um die Besitzergreifung des Planeten gründlich vorzubereiten: durch Bergwerke und Materiallager auf den Monden und durch Pläne von der Errichtung der ersten Siedlung bis zur Infrastruktur ganzer Kontinente. Ständig kamen die Geschwister auf neue Ideen, gerade jetzt hatte Teth die Architektur einer Millionenstadt entworfen. Ein Zuviel an Plänen — aber so war unser Warten zielgerichtet ausgefüllt.

Startbereit zum großen Einsatz, konnten wir Andymon betrachten. Der Planet, so greifbar nahe, füllte gewöhnlich alle Bildschirme und blieb doch unzugänglich, als wäre er Lichtjahre entfernt. Nur selten wurde ich gefragt: „Beth, wie lange dauert es noch?“, denn das Warten war uns in den Jahren zur Gewohnheit geworden.

Samecha, die Kleine aus der fünften Guppe, stellte mir diese Frage einmal, als ich sie dabei überraschte, wie sie ein Bild malte: Andymon nach ihren Wunschvorstellungen.